5. Das Medaillon

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Zögerlich, aber dennoch mit rasendem Herzen und einem verstärkten Kribbeln im Bauch betrat Nava das Klassenzimmer für Zaubertränke. Obwohl sie diesen Moment bis vor wenigen Stunden kaum abwarten konnte, fiel es ihr ausgesprochen schwer ruhig zu bleiben. Der Gedanke, sich aufgrund mangelnder Begabung vor dem Mann lächerlich zu machen, bei welchem sie das unter allen Umständen vermeiden wollte, überkam sie in Form von unbändiger Nervosität und einem damit einhergehenden Zittern, das man ihr deutlich ansehen konnte. Diese bittere Verzweiflung erreichte ihr höchstes Ausmaß, als sie Severus Snape erblickte, der bereits eifrig dabei war, alle nötigen Vorbereitungen zu treffen. „Guten Morgen, Professor", grüßte Nava, woraufhin besagter augenblicklich zu ihr aufsah. Sie wusste nicht, warum sie sich derart kindisch verhielt und ihn mit ‚Professor' ansprach, doch Snape schien es zu gefallen, denn er lächelte breit. „Da sind Sie ja, Nava. Sind Sie bereit für Ihren Unterricht?", fragte er und obwohl Nava seine Absicht durchschaute, ein kleines Spiel mit ihr zu spielen, nickte sie eifrig. Sie würde tun, was immer er sagte. „Ich hoffe, Sie sind ausgeschlafen, denn das Brauen eines einwandfreien Zaubertrankes verlangt vor allem Konzentration und Wachsamkeit", fügte er hinzu und sah Nava nun etwas ernster in die Augen, als sie zu ihm an den Tisch trat. „Verstehe. Ich werde mir Mühe geben", versicherte sie dem Professor, der daraufhin wieder seine emotionsleere Miene aufsetzte. „Wir beginnen zunächst mit etwas Leichtem, ein paar Fläschchen Murtlap-Essenz. Können Sie mir sagen, wie man sie gewinnt und für welchen Zweck sie verwendet wird?", begann er und kramte eines der Gefäße aus dem Regal hervor. „Die Essenz wird aus dem Rückengewächs von Murtlaps hergestellt, das ausgepresst und eingelegt wird. Der fertige Trank ist ein Heilmittel gegen schmerzhafte Folgen von Hexereien und dergleichen und wirkt sowohl bei äußerlicher Anwendung als auch dann, wenn man einige Tropfen davon zu einer einzunehmenden Zaubertrankmixtur gibt", spulte Nava ihr vorhandenes Wissen ab und endete, als Snape ihr das Gefäß mit dem darin enthaltenen anemonenähnlichen Rückengewebe eines Murtlaps vor die Nase stellte. „Richtig", bestätigte er ihre Antwort, doch als sie gerade den Deckel lösen wollte, gab er ihr einen Klaps auf die Finger und schob ihre Hand zur Seite. „Na, na, na, nicht so voreilig. Als erstes bereiten wir die Lösung zum Einlegen vor", sagte er nachdrücklich und hob seine rechte Augenbraue, als Nava ihn aufgrund seines raschen Eingriffes verwundert anblickte. „Aber ist die Reihenfolge hierbei nicht völlig irrelevant?", fragte sie skeptisch und merkte zu spät, dass sie damit gerade einen wunden Punkt bei Snape getroffen hatte. „Nein, eben nicht! Oder zweifeln sie an meiner Autorität, Miss Dumbledore?", fuhr er sie barsch an – etwas zu barsch, wie er erkannte, als Nava vor Schreck zusammenzuckte.

„Nein, t-tut mir leid", stammelte sie piepsig eine Entschuldigung, welche Snape einen Stich in die Brust versetzte. Sie sollte nicht wieder denken, etwas falsch gemacht zu haben, nur aufgrund seiner mangelnden Selbstbeherrschung, die er ihr gegenüber an den Tag legte. Er konnte nicht leugnen, dass es ihn amüsierte, seine Position als Professor in dieser Sache unbeschränkt auszuleben, doch auch wenn Nava willentlich mitzuspielen schien, sollte er sich im Zaum halten, sie wie eine Schülerin zu behandeln. „Hören Sie auf, sich dauernd bei mir zu entschuldigen!", forderte Snape kühl und wandte seinen Blick von ihr ab. Stille tat sich auf, während Nava den finster dreinblickenden Mann neben sich beobachtete. „Ich war überzeugt davon, dass sie in Wirklichkeit ein äußerst liebenswerter Mensch sind, der seine Gefühle nur nicht offen zeigen will und dessen Herz man etwas erwärmen muss", meinte Nava ruhig und legte ihre Hand mit zartem Druck auf seine Brust – genau dorthin, wo sich sein fühlbar schlagendes Herz befand. „Doch vielleicht sind sie tatsächlich so verbittert wie alle denken." Enttäuscht ließ sie ihre Hand sinken, als Snape keine Reaktion zeigte. So sehr er sich auch dagegen sträubte, konnte er das tiefe Bedauern, das sich in ihm aufbaute, nicht zurückhalten. Dieser Moment erfüllte ihn erneut mit all seinem Kummer und Leid, das er so gewillt war zu vergessen. Er dachte an seine Fehler, an all die Taten, die er zutiefst bereute, doch vor allem dachte er an sie: Lily. Wie gern hätte er jetzt mit reiner Seele ein neues Leben angefangen, ein Leben voller Glück, Zufriedenheit und Liebe, doch er konnte fühlen, dass der Schmerz über ihren Tod noch immer tief in ihm verborgen lag. Navas Blick wurde zärtlich, der Groll in ihrem Innern schmolz dahin, als sich die Augen des sonst so gefühlskalten Professors mit Tränen füllten, die er mit ein paar Wimpernschlägen wegblinzelte, bevor sie seine Wangen hinunterlaufen konnten. Sie wollte ihn umarmen, ihn trösten, damit sich sein trauriges Gesicht wieder aufhellte. Doch etwas hielt sie zurück, etwas, wodurch sie glaubte, dass Snape weder Trost noch Mitleid wollte. „Lassen Sie uns fortfahren", sprach er in sanftem Ton und widmete sich dem Behältnis, das zur Vorbereitung der Einlegeflüssigkeit vorgesehen war. Nava hielt sich vorerst zurück, folgte nur stumm seinen Anweisungen.

Der Schein trügtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt