6. Durchkreuzte Pläne

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Ungeduldig lief Nava durch das Zimmer. Auf und ab. Auf und ab. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, die sie jetzt schon auf ein Zeichen wartete. Mehrmals schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, diese unnötige Qual zu beenden, indem sie auf eigene Faust hinuntergehen und nachsehen würde. Sollte der Troll jedoch weiterhin sein Unwesen treiben, konnte sie ernsthaft in Schwierigkeiten geraten. Nach gründlichem Abwägen aller Möglichkeiten beschloss Nava, wie mit Professor Snape abgemacht, noch etwas länger zu warten. Sie stöhnte aufgebracht, ließ sich unsanft auf ihren Stuhl plumpsen. Auch wenn sie es für die klügere Entscheidung hielt, auf diese Weise jedwedem Risiko zu entgehen, sorgten Ungewissheit und Ratlosigkeit beinahe für den Verlust ihrer Beherrschung. Der Ablenkung halber griff sie kurzerhand nach dem kaputten Medaillon, welches sie beim Betreten ihrer Räume mürrisch auf den Tisch gefeuert hatte. Dass ihr liebstes Stück endgültig dahin war, wollte sie einfach nicht wahrhaben, musste sich aber zugleich eingestehen, dass sie innerlich längst darüber hinweg war und etwas vollkommen anderes ihre Gedanken beherrschte. Nach dem heutigen Tag wusste Nava ohne Zweifel, was sie für Severus Snape empfand und er wusste es auch. Es passte ihr gar nicht, dass Dumbledore bereits Wind davon bekommen hatte und es ihr dazu noch direkt unter die Nase rieb, doch was geschehen war, ließ sich so schnell nicht ändern. Fest stand jedenfalls, dass es nun kein Zurück mehr gab, ohne einen bleibenden Schaden zu hinterlassen.

Behutsam legte Nava den Anhänger samt Kette in die Schreibtischschublade, um diesen mit all den Erinnerungen, welche sein Anblick erweckte, wegzuschließen. Im nächsten Moment ertönte ein helles Klopfen. Ruckartig sprang Nava auf und eilte schleunigst zur Tür, wissend, dass die Warterei endlich ein Ende hatte. Sie verschwendete keine Zeit, um darüber nachzudenken, wer vor ihren Räumen stand, denn außer Severus Snape erwartete sie heute niemanden mehr. Überstürzt drückte sie die Klinke herunter und ließ den Schwarzhaarigen eintreten. „Geht es Ihnen gut?", fragte Snape gleich darauf und sah Nava prüfend in die Augen. „Ja, es ist nichts passiert." Lautlos schloss sie die Tür hinter sich. Wie aus dem Nichts überkam sie der absurde Gedanke, dass sie tatsächlich besorgt um den Professor gewesen war. Sie erinnerte sich zurück an den Zeitpunkt auf der Brücke, in welchem sie dicht an ihn gedrängt seine Nähe so sehr genossen hatte. Es war ein so unbeschreiblich gutes Gefühl gewesen, dass sie sich nicht davon abhalten konnte, es hier und jetzt nochmal zu tun. Den Bruchteil einer Sekunde später lag sie schon in seinen Armen, sog mit jedem weiteren Atemzug genussvoll den Duft der Kräuter ein, mit denen er tagtäglich hantierte. Es tat so gut ihn zu spüren, ihn festzuhalten und wohlauf zu wissen. Als Severus Snape plötzlich in der festen Umarmung verkrampfte und dabei scharf die Luft einsog, ließ Nava umgehend von ihm ab.

„Was ist?", fragte sie verwirrt und sah in das schmerzverzerrte Gesicht des Professors. „Nur ein Kratzer, nichts weiter", winkte dieser ab, doch Nava ließ sich nicht beirren. „Zeigen Sie es mir! Ich möchte es sehen."

Der forsche Ton, den sie anschlug, ließ keine Widerrede zu. Snapes tiefschwarze Augen durchbohrten sie wütend und verblüfft zugleich. „Es ist nicht der Rede wert, Miss Dumbledore. Warum spielen Sie sich so auf?", knurrte er gereizt und war keinesfalls darauf aus, ihrer harschen Bitte nachzukommen.

„Wenn es nur ein Kratzer wäre, wie Sie behaupten, Professor, gäbe es ja keinen Grund, mich nicht nachsehen zu lassen. Also SETZEN SIE SICH HIN!", forderte sie und betonte vor allem ihre letzten Worte. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass es funktioniert hatte, als sich Severus Snape langsam humpelnd und mit finsterem Blick zum Sofa begab. Sie folgte ihm schweigend, kniete sich vor seinen Beinen auf den Boden. „Tun Sie, was Sie nicht lassen können", grummelte Snape stur und deutete auf sein rechtes Schienbein.

Nava ignorierte den Einwand und machte sich umgehend daran, die betroffene Stelle freizulegen, indem sie das Hosenbein bis zum Knie hochkrempelte. Ihre Augen weiteten sich, als sie die Ursache des Schmerzes in vollem Umfang erkannte.

Der Schein trügtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt