Es klopfte an der Tür. Ruckartig zog ich meine Hand unter Richards weg und rückte von ihm ab. Einer seiner Soldaten steckte seinen Kopf durch den Türspalt und verlangte nach Richard.
"Wenn du mich entschuldigst", verabschiedete er sich von mir und verschwand aus dem Raum.
Ich schritt an die Tür heran und lehnte mein Ohr dagegen um auch wirklich sicher zu gehen, dass er weg war.
Wieso um alles in der Welt hatte ich nicht auf ihn eingeschlagen als er so nah an mir war? Er hatte Meredith auf dem Gewissen!
Ich konnte mein schluchzen nicht weiter unterdrücken. Langsam bahnten sich dicke Tränen den Weg meine Wangen hinab und ich musste mir meinen Mund zu halten um leise hinein zu schreien. Der Mensch, der mir noch am meisten bedeutet hatte auf dieser Welt war heute gestorben. Niemand war mir so wichtig gewesen wie sie. Ich strich mir mit dem Ärmel meines Kleides die Tränen von den Wangen.
Ich muss jetzt stark sein! Ich werde einen Weg hier raus finden!
Mit neuer Energie begann ich nachzudenken dabei fiel mir wieder der Zettel ein.
Was wohl auf dem Zettel steht?
Ich fasste in mein Mieder und fischte ein leicht vergilbtes Stück Pergament heraus. Neugierig faltete ich es auf.
23.04.1525 Paris
Wieso stand mein Geburtsdatum auf dem Zettel? Was hatte Paris damit zutun? Und wieso hatte Richard diesen Zettel bei sich?
Immer noch stirnrunzelnd faltete ich den Zettel wieder zusammen und ließ ihn achtlos auf den Boden fallen.
Was auch immer das zu bedeuten hat, es ist bestimmt besser, wenn ich so tue als hätte ich ihn nicht gesehen.
Ich sah mich wieder in dem großen Raum um. Zu viel war in den letzten Stunden passiert und ich wusste auch einfach zu wenig. Was hatte das hier alles zu bedeuten? Und wieso schien ich so wichtig zu sein? Nachdenklich ging ich wieder auf den Tisch zu und schaute mir die Karten an. Dabei fiel mir auf, dass Richard sein Schwert samt der dazugehörigen Scheide vergessen hatte. Ich vergewisserte mich mit mehreren verstohlenen Blicken zur Seite, dass ich auch wirklich alleine war und fing an die Sachen zu durchsuchen.
Irgendetwas musste ich ja finden.
In der Scheide fand ich nichts außer seinen Initialen auf der Außenseite des festen Leders. Aber für was stand denn R.L ? Darunter konnte ich in geschwungener Schrift eine Widmung erkennen:
Für meinen Sohn Richard, mögest du mit diesem Schwert dein Königreich weise regieren
Was für ein Königreich? Richard war doch kein Prinz oder gar König! Bestimmt hatte er das Schwert einfach diesem Prinzen gestohlen und benutzte es jetzt wie sein eigenes.
Bei diesem Gedanken eröffnete sich mir eine böse Wahrheit: Richard ist bestimmt auch kein Kaufmann! Sonst hätte er nicht so lange überlegen müssen! Es sind allesamt Gauner!
Ich wurde fast wahnsinnig bei dem Gedanken. Ich saß auf einem Schiff komplett alleine mit Gaunern auf hoher See. Und ich wusste noch nicht einmal genau wo sie mich hinbringen wollten geschweige denn wieso. Richards Worten, dass wir Kurs nach England hielten, schenkte ich auch keinen Glauben mehr. Ich legte das Schwert wieder so hin wie ich es vorgefunden hatte und schaute nach etwas anderem. Dabei entdeckte ich eine zweite Tür hinter der Eckseite des Tisches. Ich bewegte mich vorsichtig in die Richtung und öffnete die Tür.
Hoffentlich finde ich jetzt nichts dahinter und niemand findet mich.
Ich lugte vorsichtig mit dem Kopf hinein und entdeckte ein kleines Schlafzimmer. Neugierig fing ich an das Bett nach möglichen Papieren abzusuchen, doch es war alles leer. Sogar im Schrank befand sich nichts außer ein paar alten Decken. Verzweifelt ging ich wieder in den ersten Raum und lief nachdenklich hin und her. Ich hätte eigentlich schon Spuren in die Täfelung treten können als ich von draußen plötzlich Stimmen vernahm.
Richard kam also wieder!
Und mit ihm auch mein neuer Plan. Ich nahm sein Schwert mit beiden Händen vom Tisch und stellte mich leise hinter die Tür. Wenn er jetzt durchlaufen würde, würde ich ihm eins mit dem Schwert verpassen. Ich platzierte mich in Position und wartete schon auf meinen Einsatz. Als sich der Schlüssel in der Tür bewegte, holte ich mit dem Schwertknauf so weit aus wie ich konnte und traf sogar jemanden.
Sofort ohne mich danach umzuschauen rannte ich aus dem Zimmer und wurde direkt von dem Mann mit den hellen Locken empfangen. Er musterte mich kurz amüsiert und schaute dann nach Richard der mehr oder weniger lebend auf dem Boden der Kajüte lag.
"Ich denke wir gehen jetzt beide wieder rein ohne noch so einen Fauxpas, oder?", fragte er ruhig.
Ich wollte etwas erwidern, doch da fiel mir auf, dass ich ja das Schwert mit der Wucht auf den Boden fallen gelassen hatte und jenes sich jetzt direkt neben Richard und damit in unmittelbarer Ferne zu mir befand. Niedergeschlagen nickte ich und schritt dann als erste in die Kajüte ohne die Gelegenheit zu verpassen den Weg über Richards Rücken zurück zu legen. Ob ich dadurch fester aufgetreten war als sonst war hierbei unwichtig.
Der andere Mann zog Richard in die Kajüte, hob das Schwert auf und wies mich an mich auf den dunklen Diwan zu setzen. Während er die Tür wieder zuschloss, setzte ich mich auf den Diwan und verschränkte unschuldig die Hände in meinem Schoss. Der Mann zog Richard weiter und hob ihn auf das Bett.
"Umgebracht habt ihr ihn nicht", bemerkte er mit einem kurzen Testen seines Pulses. Dann drehte er sich um und setzte sich direkt neben mich, aber mit genügend Abstand, sodass wir gegenüber sitzen konnten.
"Was hat euch dieser Mann erzählt?", fragte er mich wieder ruhig.
"Warum sollte ich mit euch reden, wenn dieser Mann" ,ich zeigte wütend auf Richard; "Mich belogen hat, meine Freundin getötet hat und sich sogar noch für etwas ausgegeben hat was er nicht ist?"
"Das ist ein guter Einwand", meinte der Mann und hielt mir seine Hand hin, "Ich bin Francis, das auf dem Bett dort drüben ist der Thronfolger Englands und mein bester Freund, wie ist euer Name?"
Ich prustete los: "Der Thronfolger Englands?"
"Wie er leibt und lebt", bejahte Francis nickend.
"Haltet ihr mich wirklich für so einfältig?", brauste ich auf, "Ich kann verdammt nochmal lesen und eins und eins auch zusammen zählen!"
Francis schien angestrengt über seine nächsten Worte nachzudenken, doch dann meinte er schlicht: "Es ist die Wahrheit. Ich weiß dieser Mann sieht nicht wirklich danach aus und auch sein ganzes Auftreten spricht dagegen, aber er ist es"
Ich schaute ihn fragend an. Diesen Humbug sollte ich ihm doch nicht wirklich glauben, oder?

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Die Tochter des Bauern
أدب تاريخيMary, ein junges Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen wird eines Tages wegen ihrem Vater von einem geheimnisvollen Mann und seinen Männern entführt. Was sie dabei noch nicht weiß: Es ist nicht alles so wie es scheint und sie vielleicht auch nicht die...