Ich öffnete langsam meine Augen. Mein Kopf dröhnte und in meinen Ohren rauschte es unangenehm. Hatte ich gestern wirklich so wild gefeiert? Ich richtete mich langsam auf und bemerkte mein offenes Hemd. Hatte mich diese Dirne gekratzt? Feine rötliche Linien zogen sich über meine Brust. Ich seufzte laut auf und ließ mich wieder in den weichen Polster fallen. Genervt verschränkte ich die Hände und stützte sie auf meiner Stirn ab. Wenn mich Mary so gesehen hatte, dann konnte ich noch so gut lügen, sie würde mir keines meiner Worte glauben.
Was tue ich jetzt? Sie würde mir nie ihr Vertrauen schenken. Wie sollte ich sie nach England an den Hof meines Vaters bringen ohne, dass er sie für sich beanspruchte? Ich kenne meinen Vater: Er wird sie sofort haben wollen. Sie wird sofort seinen Harem erweitern und bis er die Lust an ihr verliert sein Betthäschen sein.
Langsam und darauf bedacht möglichst keine ruckartigen oder zu schnellen Bewegungen zu machen, stand ich auf und sah mich kurz um. Nichts. Ich ging in das kleine Nebenzimmer, in welchem Mary noch gestern geschlafen hatte: auch nichts. Sie war nicht da. In mir sammelte sich schon wieder eine leichte Wut.
Es wäre ja auch viel zu einfach gewesen, wenn sie einfach brav hier gewartet hätte bis ich wach werde. Oder mich geweckt hätte. Nein, sie musste ja die Chance nutzen und hauste bestimmt hier irgendwo auf dem Schiff umher. Gratulation an mich selbst, ich bin sogar zu eitel meine Kajüte richtig abzuschließen. Es ist zum Haare raufen!
Während ich immer wieder auf und ab ging, überlegte ich wo sich den Mary hin geschlichen haben könnte. Ich hatte ehrlich gesagt wenig Lust das gesamte Schiff nach ihr abzusuchen. Besonders, weil ich auch der gestrigen Dirne möglichst aus dem Weg gehen wollte. Ich knöpfte mir mein Hemd zu und entschied dabei auch heute Abend unbedingt ein Bad zu nehmen. Vielleicht war es kein Wunder, dass Mary so Abstand gehalten hatte. Außerdem sollte ich ihr auch eins anbieten sonst würde man sie auch meiden.
Bei dem Gedanken an ein heißes Bad und Mary, spürte ich meine Gedanken wieder abdriften und ganz andere Szenarien erfinden, die naja nicht unbedingt bei ihrer Suche behilflich waren. Ich fasste also den Entschluss sie doch auf dem ganzen Schiff zu suchen und mich danach mit den Gedanken um das heiße Bad zu beschäftigen. Sofort als ich die Tür öffnete, bereute ich es schon den es lief natürlich keine geringere darauf zu als die Dirne von gestern. Ich merkte sofort wie sie sich gespielt unauffällig durch die blonden Haare fuhr und mich lüstern musterte.
"Wie ich sehe seit ihr nach der gestrigen Nacht erholt?", wisperte sie.
Ich murmelte etwas unverständliches und fragte einfach: "Habt ihr ein schwarzhaariges Mädchen gesehen? Sie ist noch jung und ihr Name ist Mary"
Ihre rechte Augenbraue hob sich kurz und es schien als würde sie etwas angestrengt überlegen.
"Ihr meint eure Schwester?", fragte sie mit einem komischen Unterton.
"Meine...Schwester?", wiederholte ich etwas verwirrt.
"Eben war ein Mädchen bei mir, auf welches die Beschreibung passen würde. Sie behauptete felsenfest, dass sie eure Schwester sei, aber wie ich sehe, war das wohl gelogen", erklärte sie ruhig.
Hatte Mary sich wirklich als meine Schwester ausgegeben?
"Wo ist sie hingegangen? Hat sie etwas gesagt?", fragte ich nun etwas besorgter.
Diese Dirne kam mir etwas falsch vor.
"Sie wollte nach oben an Deck, aber...", sie stockte etwas.
"Aber?", fragte ich mit Nachdruck.
"Sie hat von gestern herausgefunden...und .... und sie wollte direkt nach oben an Deck... ich glaube sie hat noch gefragt... ob ... ob das Meer wohl kalt ist?", stieß sie mit zitternder Stimme hervor.
Ich spürte wie meine Adern gefroren und mein Herz stehen blieb. Sie würde doch nicht wirklich ihrem Leben ein Ende setzen oder? Nicht auf so eine Weise? Und doch nicht wegen meiner Tat gestern? Ich befand mich in einer Schockstarre und war unfähig mich zu bewegen bis mich der nächste Gedanke wie ein Blitz traf. Ich musste an Deck! Ich musste so schnell wie möglich zu ihr bevor es zu spät war!
Ohne noch einmal auf die Blondine zu achten, rannte ich den Flur entlang bis zur Treppe. Ich glaube ich war noch nie so schnell in meinem Leben eine Treppe hoch gerannt. Völlig atemlos kam ich an Deck an und sah mich um. Ich spürte wieder den Schwindel und die aufkommende Übelkeit, doch das war jetzt egal. Ich musste Mary finden!
"Habt ihr ein schwarzhaariges Mädchen gesehen?", rief ich den Matrosen zu.
Doch egal wen ich fragte niemand schien sie gesehen zu haben. Ich rannte an den Rand der Reling und schaute auf das offene Meer. Sogar, wenn sie hinunter gesprungen war, ich würde sie nicht mehr erkennen können.
"Ihr habt wirklich kein Mädchen hier gesehen?", fragte ich verzweifelt.
Alle befragten Matrosen schüttelten ihre Köpfe. Francis kam auf mich zu und musterte mich eindringlich.
"Was ist los?", fragte er ruhig.
"Mary, ich kann sie nicht finden", flüsterte ich.
Ich spürte schon den tadelnden Blick von Francis.
"Was ist, wenn sie sich etwas angetan hat?", fragte ich mit zitternder Stimme.
"Dann lernst du hoffentlich welche Konsequenzen dein Handeln hat", bemerkte er immer noch ruhig.
Ich vergrub den Kopf in meinen Händen und versuchte einen klaren Kopf zu bewahren. Ein weiterer Gedanke streifte meine Sinne und ohne mich noch einmal nach Francis umzuschauen, rannte ich wieder unter Deck zu meiner Kajüte.
Hoffentlich ist sie jetzt da! Ich kann es mir nicht verzeihen, wenn sie sich etwas getan hat!
Ich stieß die Tür auf und zu meinem Glück saß Mary direkt auf dem Diwan ihr schluchzendes Gesicht in ihren Händen vergraben. Ich stieß ein paar Mal die Luft aus von der ganzen Erleichterung, die mich überkam. Ich stürzte vor ihr auf den Boden und klammerte mich an ihren Schoss. Ich konnte meine aufkommende Freude über ihren Anblick nicht verkneifen.
"Oh Gott, ich dachte ich hätte dich verloren!", stieß ich hervor.
Sie hob den Kopf und sah mich mit ihren tränenverhangenen Augen an.

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Die Tochter des Bauern
Fiksi SejarahMary, ein junges Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen wird eines Tages wegen ihrem Vater von einem geheimnisvollen Mann und seinen Männern entführt. Was sie dabei noch nicht weiß: Es ist nicht alles so wie es scheint und sie vielleicht auch nicht die...