Gelegentlich frage ich mich ob es noch anderen aufgefallen ist. Denn manchmal gerate ich in eine Situation in der ich automatisch wegschaue. In solchen Momenten fühle ich mich schlecht. Rückgradlos. Ich meine übrigens die wirklich schlimmen Situationen.: Ein Kind wird auf offener Straße gemobbt und man unternimmt nichts dagegen. Oder eine Person die sich in diesem Land nicht auskennt fragt nach Hilfe und wird ignoriert.
Ist es möglich dass das System uns förmlich dazu zwingt wegzusehen? Vermutlich schon. Im tagtäglichen Wettlauf gegen die Selbstbestimmung sind wir viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt und ignorieren dabei diejenigen die unsere Hilfe benötigen. Ich meine damit nicht einmal Obdachlose, oder ganz klar auffällige Menschen. Ich spreche von denen die unter dem Druck ihrer bloßen Existenz zusammenbrechen. Ein gutes Beispiel hierfür ist mein momentaner Sitznachbar in der S-Bahn. Er ist gerade einmal Mitte Zwanzig und hat bereits eine Chemo, eine Trennung und mehrere Wohngruppen hinter sich. Derzeit unterhält er sich vermutlich mit seiner Freundin, wenn auch mehr erzwungen als frei. Das Gespräch der Beiden wirkt aufgesetzt und nicht wirklich ehrlich. Anscheinend versuchen sie sich ihre Situation schön zu reden. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Wäre ich an der Stelle dieses Kerls, würde ich mich wahrscheinlich ähnlich verhalten.
Wenn er nicht gerade mit seiner Freundin telefoniert, starrt er ins Leere. Sein Gesichtsausdruck bleibt dabei unverändert. Nur ab und zu fährt er sich mit der Hand durch den kümmerlichen Rest Haare, die ihm von den Behandlungen geblieben sind. Er ist in sich selbst eingeschlossen, schützt sich gegen das allsehende Auge unserer " Alles ist so super schön" Gesellschaft. Wist ihr was mich fertig macht? Solange ich in dieser S-Bahn sitze habe ich Mitleid mit ihm. Aber sobald ich aussteige und brav mit den anderen Lämmern zusammen zum Busbahnhof trotte, werde ich das Schicksal dieses jungen Mannes ausgeblendet haben. Unser Kurzzeitgedächtnis neigt dazu unwichtige Informationen nach einer gewissen Zeit auszublenden. Bei der gigantischen Menge an Reizen denen wir mittlerweile ausgesetzt sind, muss unser Gehirn für uns relevante, von unrelevanten Informationen trennen. Uns allen geht es so. Jeder von uns funktioniert wie ein Sieb. Die wichtigen Dinge werden aufgefangen, der Rest hingegen.... Ausgeblendet.
Für mich ist es unbegreiflich, dass es in einer modernen Gesellschaft keine Möglichkeiten gibt, Themen wie Selbstmord, Pädophilie und andere psychische Erkrankungen effektiv zu behandeln. Sicher es gibt es mehr als genug Therapiemöglichkeiten, nur wie effektiv sind die? Es gibt dutzende Menschen in meinem Umfeld die sich einer Therapie unterzogen haben. Sie alle beharren bis heute auf die Ineffektivität dieser Behandlungsform. Was nach Einzelfällen klingt, sind nichts weiter als die Bestandteile eines sich immer stärker drehenden Teufelskreises.
Angenommen ein Jugendlicher beginnt mit 17 Jahren aus diversen Gründen eine 3 jährige Therapie. Nach diesen 3 Jahren ist er zwar geheilt, nur kann er auf dem Arbeitsmarkt rein gar nichts vorweisen. Es würde mich wundern wenn es einen Arbeitgeber gäbe, der sich nicht die Zähne an einer derartigen Krankengeschichte ausbeißt. Es ist widerlich und unmenschlich, Personen mit so einer Vorgeschichte nicht die gleichen Chancen zu geben. In den Augen der Konzerne sind wir sowie nicht viel mehr als austauschbare, atmende Roboter!
Aus der einstigen Lösung ist auf einmal ein Problem geworden. Unsere mittlerweile erwachsene Person wird nämlich arbeitslos und landet somit in den Händen unseres Sozialsystems, aus dem es keinerlei Entkommen gibt. Tragischerweise geht es vielen Menschen so und nicht alle kommen wieder auf die Füße. Kann man den Betroffenen ihr Leiden ansehen? Manchmal, aber nicht immer. Ein Großteil der Leute versteckt die eigenen Probleme vor der Außenwelt. Man kann es ihnen schlecht verübeln. Wer von uns traut sich schon in aller Öffentlichkeit Schwäche zu zeigen? Richtig! Niemand. Wir schenken den jeweiligen Personen ( deren komplette Auflistung an Problemen zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde) keinerlei Beachtung, da es uns selbst nicht besser geht. Falls ihr euch selbst überzeugen wollt meine verehrten Leser, schlage ich hiermit einen Test vor: Steigt in einen Bus oder in eine Bahn und seht euch, bevor ihr euch setzt, ganz genau um. Ihr werdet mit Sicherheit folgendes feststellen:
Die Menschen zeigen keinerlei Emotionen. Sie sitzen wie fremdgesteuerte Puppen auf ihren Sitzen und starren auf ihr Handy. Sie tun es um das System nicht zu stören. Offen ausgelegte Gefühle und Meinungen sind nicht allen genehm.
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Deutschland im Jahr 2019- Ein Einblick
De TodoIn stürmischen Zeiten ist eine eigene Sicht der Dinge ein wertvolles Gut. Ich bin nur einer von vielen Personen in diesem Land, die sich ihre Gedanken zum täglichen Miteinander, dem Zustand dieses Landes und dessen Zukunft macht. Dieses Buch dient a...