Diese bösen Schrebergärten!

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Nach einer doch recht langen Pause ist es wirklich angenehm ein Thema anzusprechen, welches mich im Vergleich zu seinem Vorgänger nur zum Teil an der Intelligenz der Menschheit zweifeln lässt. Heute widme ich mich den Schrebergärten dieses Landes, oder besser gesagt:  Den Kleingartenbesitzern, auf die man es nun abgesehen hat:


Fehlender Wohnraum in GroßstädtenEnteignet die Kleingärtner!

Es wird zu wenig gebaut, auch, weil es zu wenig freie Flächen gibt. Baut Wohnungen auf Kleingärten! Denn deren einstiger Sinn hat sich längst erledigt.


Neben dem gar nicht mehr so neuen taz-Gebäude am südlichen Ende der Berliner Friedrichstraße entstand vor einigen Wochen ein Urban-Gardening-Projekt. Nach und nach füllte sich die Brachfläche mit aus Holzbrettern zusammengeschusterten Hochbeeten, Hütten und Sitzgelegenheiten. Es blühen und gedeihen das Gemüse und die Kräuter. Und, ja, bis vor Kurzem fühlte es sich irgendwie gut an, wenn man da jeden Morgen vorbeiradelte. So urban, ökologisch, modern.

Schon nach kurzer Zeit prangte ein roter Graffitischriftzug provokativ am Holzzaun: „Wohnungen statt Gurken und Tomaten". Seitdem denkt man sich beim Vorbeiradeln: Ja, klar, weg mit den Beeten, her mit den Wohnungen! Doch so einfach ist das ja alles nicht, denn man kann sich jetzt schon vorstellen, wie es läuft, wenn das kleine Urban-Gardening-Paradies mal tatsächlich bedroht ist, weil irgendwer was anderes – vielleicht sogar Wohnungen, die sich auch Normalos leisten können – auf dem Grundstück bauen will. Dann radelt man eines Morgens vorbei und sieht Hunderte Empörte, die sich an die Hochbeete gekettet haben. Vielleicht sind es sogar dieselben, die am Wochenende in Neukölln für bezahlbaren Wohnraum auf die Straße gehen.


Nun nehmen die Urban-Gardening-Projekte in deutschen Großstädten nur Flächen im Promillebereich ein. Außerdem funktioniert das Gemeinschaftsbeet auch auf Dächern, weshalb wir die Kollektivstadtgärtner an dieser Stelle Kollektivstadtgärtner sein lassen wollen und lieber das eigentliche Problem in den Blick nehmen: die Schrebergärten. Die nämlich gehören tatsächlich mit Wohnhäusern bebaut! Denn es gibt ein Recht auf bezahlbaren Wohnraum, aber keines auf das eigene Kartoffelbeet.

Also weg mit den Parzellen, von denen es allein in Berlin 70.000 gibt. nehmen sie ein – oft in bester Wohnlage. Gleichzeitig fehlen hier über 300.000 bezahlbare Wohnungen, weil zu wenig gebaut wird. In dieser Woche hat das eine erneut gezeigt: In den vergangenen drei Jahren wurden etwa in Köln nur 46 Prozent der Wohnungen gebaut, die eigentlich nötig wären, in Berlin sind es immerhin 73 Prozent. Oft fehlt es an freien Flächen.

Und trotzdem trauen sich PolitikerInnen nur selten an die Schrebergärten ran. In Berlin werden etwa bis 2030 keine Wohnungen auf Kleingartenkolonien gebaut, lediglich ein paar Turnhallen, Kitas und Schulen. Dafür müssen ganze 429 Parzellen verschwinden – weniger als 1 Prozent also. Immerhin gibt es für die BesitzerInnen rund 7.000 Euro Entschädigung.

Und was ist mit dem Stadtklima?

SchrebergärtnerInnen sind unangenehme Gegner, sie sind viele – knapp eine Millionen sind im organisiert – und haben eine entsprechend starke Lobby. Sie wähnen sich auf der sicheren Seite: ihrer Tradition! Und es stimmt ja, die Schrebergärten hatten lange Zeit Sinn, dienten der Gesundheit, der Erholung und der Ernährung von Arbeiterfamilien.


Man wollte Menschen, die beengt wohnten, wenigstens ein kleines Stück Scholle geben. Heute hat sich diese Form von Kleinsteigentum erledigt. Der Schrebergarten ist verstaubte Bundesrepu­blik, ist Spießertum und Egoismus. Ist Abschottung gegen Fremde, Angst vor Veränderung und überhaupt auch oft rechts, bedenkt man die zahlreichen verwitterten Deutschlandflaggen, die über fast jeder Gartenkolonie wehen.

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