I. Im Ritz

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,,Auf die Welt."

Das leise Klirren ihrer aufeinanderstoßenden Gläser fühlte sich wie ein Sieg an. Sie sind auf die Probe gestellt worden, fast bis zur Zerstörung, fast bis zum Verlust von allem, was sie zusammen aufgebaut hatten, aber hier waren sie: im Ritz, als wäre Armageddon nur ein großer Albtraum gewesen.

Es spielte das gleiche alte Lied, das immer wieder gespielt wurde.
,,Kannst du das hören?", fragte Erziraphael mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. „Das Klavier ... Ich muss das Stück schon einmal vor langer Zeit gehört haben."
Er schloss die Augen und ließ es auf sich wirken. ,,Oh, ja. Ich kenne es. Süß, aber nicht zu süß. Traurig, aber nicht zu traurig. Ziemlich ausgeglichen, würde ich sagen."
,,Romantisch. Das Wort, nach dem du suchst, ist romantisch."
Erziraphael öffnete langsam die Augen und sah Crowley für einen Moment still an, dann nickte er langsam. Merkwürdig so ein Wort aus dem Mund eines Dämons zu hören.

Das Mittagessen war, wie sich herausstellte, einfach herrlich. Crowley aß ausnahmsweise etwas, da Erziraphael ihn dazu überreden konnte. Er hatte zudem vorgehabt, Erziraphael zum Nachtisch zu verleiten, weil er nicht wollte, dass dieser Moment jemals ein Ende fand, aber bevor er es überhaupt erwähnen konnte, bestellte der Engel das Grand Marnier-Soufflé.
,,Zum Teilen, bitte", sagte er dem Kellner mit einem Lächeln in Crowley's Richtung. Das warme, sanfte Grinsen war speziell für ihn reserviert und nur für die seltensten Bücher in Erziraphael's Buchladen.

,,Weißt du, Engel", überlegte Crowley zwischen zwei Schlucken Wein, ,,scheint mir, als hätten wir hier einen Neuanfang. Eine Chance, ein paar alte Verhaltensweisen abzuschaffen, ohne dass uns unsere alten Seiten im Nacken sitzen."
Erziraphael blinzelte eulenhaft. ,,Nun, ja", stimmte er langsam zu.

Crowley wusste, wie sich das für den Engel anhören musste und er beobachtete, wie sich die Panik auf dessen Gesicht breitmachte. Erziraphael akzeptierte Veränderungen nur langsam. Er konnte sich anpassen, doch er brauchte Zeit und Crowley gab ihm ein paar Minuten. Er setzte sein Glas ab und räusperte sich sanft. ,,Was ... was hattest du vor?"
,,Nun, für den Anfang, wie sieht der Plan nach dem Mittagessen aus?", fragte der Dämon.
,,Ich- ich nahm an, wir würden nach Hause gehen." Er wollte unbedingt wieder in seinem Buchladen sein, jetzt, wo er wieder hergestellt war.
Crowley nickte. ,,Denk daran, sie sehen nicht zu. Wir können nach Hause, doch wir könnten ... zusammen gehen - zu dir oder zu mir. Keine getrennten Wege mehr, keine Heimlichtuerei."
Erziraphael mehr als alle paar Jahrzehnte zu sehen, war Crowleys Vorstellung von Perfektion. Seltsamerweise hatte es die Woche bis zum Ende der Welt Spaß gemacht, den Engel so oft zu sehen, wenn nicht all der Druck und die Streitereien gewesen wären.

Erziraphael schaute verdutzt und als er verstand, lächelte er. Wir sind auf unserer Seite, hallten Crowley's Worte in seinem Kopf wider.
,,Du hast vermutlich recht, doch-"
Crowley ahnte sofort, was seinem Gegenüber auf dem Herzen lag, und er seufzte leise, bevor er erneut einen Schluck Wein nahm.
,,Ich wollte damit nicht vorschlagen, dass einer von uns seine Wohnung aufgibt."
„Oh, ich könnte niemals den Buchladen aufgeben", sagte der Engel und bevor Crowley etwas erwidern konnte, servierte der Kellner das Soufflé.
,,Ich weiß, Engel. Und das will ich auch gar nicht."

Erziraphael gab ein Nicken von sich, während er zu einem Löffel griff, um mit diesem das Dessert zu essen. Dessen Lächeln nach zu urteilen, musste es wohl schmecken.

War jetzt der richtige Zeitpunkt ihn zu einem Tanz aufzufordern? Nein, du Idiot, dachte Crowley und wandte seinen Blick enttäuscht ab. Er war dem Engel zu schnell, das wusste er. Er wollte ihm keine Angst machen und war nicht einmal der Meinung, dass er Erziraphael überhaupt verdiente. Immerhin war er ein Dämon. Doch dieses egoistische sündhafte Verlangen gehörte zu seiner Natur, weshalb er sich seinen Kopf nicht länger darüber zerbrach.

,,Crowley? Erde an Crowley", Erziraphael winkte vor dem Gesicht seines alten Freundes und hatte eine besorgte Miene aufgesetzt. ,,Alles in Ordnung?"
,,Was?" Er erwachte aus seiner Trance, drehte sich mit dem Oberkörper zu Erziraphael und zog fragend seine Augenbrauen in die Höhe, sodass sie sich von der Sonnenbrille abhoben.
,,Ja, ja. Alles bestens. Und sieh mich nicht so an, das hält man ja nicht aus."

Diese Augen, diese verdammten Augen. Wie konnte er nur immer so unschuldig und lieb schauen? Es würde Crowley noch in den Wahnsinn treiben ... oder zum Kotzen.
Manchmal waren dessen Blicke zu viel für den Dämon und er konnte nicht damit umgehen.

,,Hm", machte der Engel nachdenklich und senkte etwas bestürzt den Blick, ,,wie auch immer. Du solltest es wirklich probieren."
Erziraphael schob das Dessert über den Tisch zu seiner linken Seite, an der Crowley bereits seit tausenden von Jahren seinen Platz hatte.
,,Und nein, ich werde dich nicht eher gehen lassen", fügte er mit einem verschmitzen Grinsen hinzu, was dem Engel gar nicht ähnelte.

Crowley schmolz innerlich dahin, musste aber auch dagegen ankämpfen, seine Augen nicht zu verdrehen.
,,Schön, wie du willst. Und ich dachte immer, dass ich derjenige bin, der verführt."
Mit diesen Worten, die eine Anspielung auf den Garten Eden und sein Wesen sein sollten, streckte er einen Arm aus, bis er das Schälchen erreichte und seine Finger unbeabsichtigt über Erziraphael's streichen ließ. Es fühlte sich elektrisierend an und es durchfuhr Crowley wie einen Blitz, weshalb er leise schlucken musste. Er wollte nicht wahrhaben, dass er so etwas wirklich empfinden konnte. Es war völlig absurd.

In den sechstausend Jahren traten hier und dort mal flüchtige Berührungen auf, es war nichts besonderes und nur auf freundschaftlicher Ebene, doch diesmal war es anders, und er wollte mehr.
Jedoch verrauchte der Gedanke, da Erziraphael erschrocken zusammenzuckte. Dessen Wangen nahmen eine intensivere Farbe an und er räusperte sich leise, als er ihm seine Hand entzog. Er hob beide Hände zu seiner Fliege mit dem Schottenkaro und richtete sie - eine nervöse Geste, stellte Crowley fest.

,,Okay, also-", überspielte Crowley die peinliche Stille, führte den Löffel - Erziraphael's - zu seinem Mund und kostete.
,,Und?", erkundigte er sich nach einiger Zeit mit einem kleinen Lächeln bei ihm.
,,Nicht schlecht, aber ziemlich süß. Zu süß, wenn du mich fragst." Wie du, Engel.
Der Dämon verzog vor Ekel sein Gesicht, da er nicht glauben konnte, dass er das ernsthaft gedacht hatte. Er schüttelte den Kopf, nahm aber noch einen Löffel, um dem Engel eine Freude zu machen.
,,Mir gefällt es", meinte Erziraphael mit seinem bezaubernsten Lächeln, als er sich vorlehnte, um nach seinem Glas zu greifen.
Nach wenigen Schlücken war dieses leer und Crowley tat es ihm gleich.

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