V. Ein wenig Alkohol schadet nie

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Crowley schloss seine Augen und genoss, wie der Engel über seine Wangen strich. Er lehnte sich nach vorn und berührte mit den Lippen seine Wange; federleicht, vorsichtig. Es hatte etwas so Reines und Unschuldiges an sich, dass Crowley am liebsten darin versunken wäre. Sein Engel blieb still, bewegte keinen Muskel und hielt sogar den Atem an, den er nicht brauchte.

,,Ich muss gehen", flüsterte Crowley und es fühlte sich an, als würde ihm jemand das Herz aus der Brust reißen. Für diesen Schmerz war er selbst verantwortlich.
,,Was? Wohin?", erwiderte der Engel genauso leise, sogar zitternd. ,,Du kannst nicht gehen, Crowley. Du kannst nirgends hin."
,,Ich-", der Angesprochene leckte sich nervös über die Lippen, ,,ich muss nachdenken."
,,Das kannst du hier genauso gut. Bitte, bleib." Erziraphael blickte ihn besorgt an. ,,Du kannst dich auf die Couch legen und ich werde uns Tee machen, ja?"
,,Alkohol wäre mir lieber. Eine Menge Alkohol."
,,Dann bekommst du den", seufzte der Engel und holte Scotch, Wein und Whiskey aus einem Schrank.

Der hintere Raum des Ladens war mit den Klängen klassischer Musik gefüllt, die auf Erziraphael's Plattenspieler mit zu hoher Drehzahl abgespielt wurde.  Eine smaragdgrüne Couch und ein beigefarbener Sessel standen in einem Winkel zueinander, beide weich und plüschig.

Crowley ließ sich erschöpft auf die Couch fallen und Erziraphael nahm in seinem Lieblingssessel Platz, nachdem er die Flaschen und Gläser abgestellt hatte. Er schenkte sich und seinem Gegenüber etwas ein und reichte es ihm anschließend.

Es dauerte nicht lange, und die heiden hatten die Hälfte der Flaschen geleert. Einige davon lagen sogar auf dem Boden herum.

„Weißt du, Crowley. Dieser Sessel? Ja, der Sessel. Er ist so weich."
,,Ist er so weich wie Delfine?"
,,Mmmm ... Vielleicht?"
,,Nun ... Vielleicht ist nicht gut genug, Engel! Ich brauche ein Ja oder ein Nein!" Ihre Sprache, verschwommen und unsinnig, füllte den Raum.
,,Ich ... ich ...", stotterte Erziraphael, etwas unfähig, einen vernüftigen Gedanken zu formen, und ein bisschen überrascht von Crowley's Ausbruch.
,,Alles muss man selber machen ...", nuschelte Crowley und drehte sich auf der Couch herum, bis er eine etwas aufrechte Position erreicht hatte und schwankend aufstehen konnte. Er ging die paar kurze Schritte ungleichmäßig zu Erziraphael und schlug eine Hand auf die Armlehne. Er verfehlte Erziraphael's Bein um einen Zentimeter und der Engel zuckte leicht zusammen.
,,Nein", schmollte er, nachdem er ein paar Sekunden lang auf die Armlehne geklopft hatte. ,,Nicht so weich ..."
Er lehnte sich weiter an die Rückenlehne von Erziraphael's Sessel und es fehlte ihm anscheinend die nötige Kraft, wieder zu seiner Couch zu gehen.

,,Crowley", fing Erziraphael an und regte seinen Nacken, um ihn anzusehen und die Aufmerksamkeit des Dämon zu erregen. ,,Ich war schon laaange nicht mehr so ... ​​betrunken. Ewigkeit."
,,Das ... Ja, das letzte Mal zählt nicht, wie?"
,,Oh, nein. Soll ich, das heißt, sollen wir ... nüchtern werden?"
,,Quatsch", Crowley machte eine wegwerfende Handbewegung. Er wollte sich noch ein Weilchen in diesem Gefühl sulen, frei von Problemen.
,,Ich meine, es ist irgendwie nett. Oder, Erzi?"

Erziraphael nickte beschwipst und stimmte schweigend zu. Der rosige, betrunkene Nebel war wirklich ziemlich friedlich. Alles schien gleichzeitig gedämpft und in Erleichterung geraten zu sein. Der Laden war ruhig, bis auf die schwache Statik der Platte. Das Lied war beendet, aber noch keiner der beiden hatte den Verstand gehabt, es auszuschalten oder die Platte umzudrehen.

Der eine stand, der andere saß ziemlich bequem, schläfrig fast. Ein sehr kleiner Teil Crowley's Gehirns sagte ihm, er solle einschlafen, doch wäre das nicht unhöflich gewesen?
Er konnte wirklich nicht genug von dem Engel bekommen. Er war wunderschön und perfekt und so unschuldig. Alles an ihm, von den Spitzen seiner blassen Haare bis zu den polierten Schuhen, schrie: ich bin das Schönste auf Erden!

Crowley atmete leise aus, er war schon immer ein bisschen sanftmütig für einen Dämon (die einzige Person, die das jemals zu ihm gesagt und es als Kompliment gemeint hatte, ist zufällig auch die einzige andere Person im Raum), und obwohl er von keiner Person an Seelenverwandte glaubte, fühlte sich der Engel auf bestimmte Weise wie seine andere Hälfte an, seine bessere. Erst war er nur ein Bekannter, das einzige freundliche Wesen in Eden. Dann wurde er im Laufe der Jahrtausende ein Freund und dann ein bester Freund. Sie waren jedoch immer gezwungen, Abstand zu halten und Berichte an ihre Seiten mitzuteilen. Jede ihrer Bewegungen wurde überwacht.

Einerseits verabscheute Crowley die Zuneigung, die er empfand. So sollte definitiv kein Dämon für jemanden fühlen, nicht aus irgendeinem Grund.

,,Crowley?" Aziraphale hob seinen Kopf wieder mit einem verwirrten kleinen Grinsen auf seinem Gesicht an. Crowley hasste ihn dafür.
,,Oh, es ist nichts, Engel", antwortete er und hoffte, dass es nicht allzu verschleiert klang.

Crowley wusste, dass sich Engel normalerweise nicht auf … Beziehungen jeglicher Art einlassen (obwohl es einige gab, die dies zweifellos taten). Selbst wenn er fragen würde, würde Erziraphael höchstwahrscheinlich etwas in der Art von "Nein" sagen. Solange Crowley sich erinnern kann (und das ist eine sehr lange Zeit), war er noch nie an Sex interessiert oder wirklich an irgendetwas Ähnlichem. Er runzelte die Stirn; es war alles so verdammt unfair.
Er würde ihn nur verderben und im Schlimmsten zum Fallen bringen.

,,Vielleicht sollte ich mich wieder hinlegen", murmelte Crowley und stieß sich von dem Sessel ab, damit er genug Schwung hatte, um die Couch auch wirklich zu erreichen.
Er schloss seine Augen und drehte sein Gesicht in die Richtung des Engels.

,,Schlaf ruhig, wenn du willst", kam es lallend von Erziraphael. ,,Ich habe nichts dagegen."
,,Hm", gab Crowley von sich und schloss erschöpft seine gelben Augen. ,,Wenn du nicht hier bist, wenn ich wieder aufwache, dann kannst du was erleben."
Er murmelte die Worte bloß, und war darauf bedacht, sie nicht drohend klingen zu lassen - es gelang ihm nicht. Doch bevor er Erziraphael's Antwort hören konnte, überkam ihm bereits Schwärze und eine gewisse Leere.

𝕴𝖓𝖊𝖋𝖋𝖆𝖇𝖑𝖊 • 𝕲𝖔𝖔𝖉 𝕺𝖒𝖊𝖓𝖘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt