XVIII. Ein zerstörter Dämon

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Während Erziraphael fort war, saß Crowley im Bett und konzentrierte sich wieder auf seinen Flügel. Es machte ihn krank, auf die Federn zu starren, die von Sekunde zu Sekunde grauer wurden. Er hatte den Gedanken, den unschuldigen Gedanken, dass er es heilen könnte. Als könnte er ihn dort anbringen, wo er vorher war, und so weitermachen, als wäre der Vorfall nie geschehen.

Der Engel hatte anscheinend versucht zu heilen, was er konnte, hatte sich aber nicht die Mühe gemacht, den Flügel wieder an sein Schulterblatt zu bringen. Es hätte für ihn sowieso nicht funktioniert, vermutete Crowley. Also versuchte er es selbst.
Der Flügel begann zu haften, und seine Haut öffnete sich wieder, um sich mit dem alten Gewebe zu verbinden. Er spürte, wie das Blut mit einem fast unerträglichen stechenden Schmerz zurück in die Extremität floss, vergleichbar mit dem Weihwasser, welches man ihm mit Tee angeboten hatte. Er dachte, das bedeutete, es würde funktionieren und ließ vorsichtig los. Doch die Knochen verbunden sich nicht und die Haut zeriss unter dem Gewicht des schweren Flügels. Der Flügel fiel auf das Kissen hinter ihm und Crowley stieß einen lauten Wutschrei aus, bevor er den Flügel bei den schwarz-grauen Federn packte und von ihm weg auf den Boden warf. Er hatte ihn verloren und würde ihn nie zurückbekommen.

Kurz danach kehrte der Engel zurück und Crowley hatte jeglichen Sinn für sich selbst verloren. Er schämte sich, dass sein Freund ihn immer wieder weinen sah, dass er nicht aufhören konnte. Alles, was er wollte, war, dass Erziraphael ihn wachrüttelte und an sich zog, aber letztendlich schrie er nur in das Gesicht seines Freundes und jagte ihn weg.
,,Es ist deine Art!", schrie Crowley ihn an, als er bemerkte, dass Erziraphael im Raum war, ,,deine Art, die sowas tut - grausam und böse! Es gibt keinen Dämon in der Hölle, der halb so schlimm ist wie sie, verdammte Engel! Ich hasse euch alle!"

Die Worte fühlten sich wie Messerstiche an und Erziraphael hielt die Tränen zurück und schluckte den Kloß in seiner Kehle herunter, als er sich zwang und auch traute, mit dem Teetablett näherzukommen.
Er musste den Flügel umgehen und sah einen Ausdruck des Schreckens auf Crowley's Gesicht, als er seinen Fuß zu nah an die Federn setzte.
,,Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid, Crowley."

Dieser ignorierte seine Worte und schnupperte an ihm, als müsse er sich ein weiteres Mal davon überzeugen, dass es wirklich Erziraphael war. Ja, das war definitiv er nach diesem neuen Parfum zu urteilen, welches er erst seit diesem Jahrzehnt verwendete.

Dann nahm er die Tasse vom Tablett und führte sie sofort an seine Lippen - schlürfte die heiße Flüssigkeit ohne zu zögern herunter, die ihm nichts ausmachte. Es war kein Weihwasser.

Sie tranken schweigend und der Engel bot an, noch mehr Tee zu kochen, aber Crowley schüttelte den Kopf und stellte seine Tasse beiseite. Er sagte, er wolle schlafen und bat Erziraphael noch vor dem Gehen, ihm seinen Flügel zu geben.
,,Er ist ... Er ist zerstört, Crowley", sagte Erziraphael traurig, nicht sicher, wie er das Thema ansprechen sollte.
Es war nicht länger ein Teil seines Körpers. Er musste ... entsorgt werden.
,,Ich weiß verdammt noch mal, dass er kaputt ist! Ich war da! Ich war dabei, als sie ihn mir genommen haben! Ich weiß verdammt noch mal, dass er zerstört ist - jetzt gib ihn her!"

Erziraphael seufzte leise und stellte das Teetablett weg, um das Durcheinander von Blut, Knochen und schwarzen Federn vorsichtig aufzuheben. Es fing schon an zu riechen ...

Dann gab er ihn Crowley in die Arme, der ihn auf eine Weise auf das Bett legte, die etwas natürlich aussah. Dann legte er sich selbst darauf und schloss die Augen.

Dann ging Erziraphael mit dem Teetablett und keinem anderen Wort aus dem Raum. Er saß unten in seinem Laden und konnte sich nicht konzentrieren, konnte nicht lesen und an nichts anderes denken, als an diesen Flügel ... Den Flügel, den seine Art aus Crowley's Rücken gerissen hatte. Warum hätten sie so etwas getan? Und wer? Michael? Gabriel?
Er war pompös und arrogant genug, um sich etwas so Grausames auszudenken, dass er Crowley ein Jahrzehnt lang folterte und ihn dann ein zweites Mal auf die Erde fallen ließ, ohne dass seine Flügel ihn an seine frühere himmlische Gnade erinnerten.

Crowley versuchte derweil zu schlafen, jedoch rasten seine Gedanken. Es war egal, ob er Erziraphael liebte. Dieser würde ihn bald sowieso alleine lassen. Sobald er genug bei Kräften sei, um nach Hause zu gehen, würde Erziraphael wahrscheinlich erleichtert aufatmen. Das war alles, woran Crowley denken konnte, als sie Tee tranken und über seinen Flügel stritten. Erziraphael wollte ihn wegnehmen und Crowley konnte nicht verstehen, warum. Es war so leicht für den Engel, so leicht, auf die ergrauten Federn zu schauen und nichts als Fäulnis zu erkennen. Er wusste nicht, wie sehr Crowley an ihnen hing, wie oft er sich um sie kümmerte, weil er stolz auf sie gewesen ist. Erziraphael wusste nicht, dass seine Flügel das einzige waren, was ihn von jedem anderen Dämon unterschied. Zumindest ließen seine Flügel ihn bis zu einem gewissen Grad so aussehen wie früher. Mit intakten Flügeln war er der Engelsform nicht ganz unwürdig. Die Allmächtige musste sie ihm aus einem bestimmten Grund gelassen haben. Und das einzige, was ihn von den Engeln unterschied, waren seine geschlitzten Pupillen und die Farbe seiner Flügel. Doch nun sah er ihnen gar nicht mehr ähnlich. Jetzt gab es keinen dunklen Engel mehr, nur einen abscheulichen, gelbäugigen Dämon. Erziraphael verstand nicht, wie sich das anfühlte. Er wusste nicht, warum Crowley ihn seinen Flügel nicht nehmen und in den Müll werfen lassen konnte.

𝕴𝖓𝖊𝖋𝖋𝖆𝖇𝖑𝖊 • 𝕲𝖔𝖔𝖉 𝕺𝖒𝖊𝖓𝖘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt