IV. Der Albtraum vom Buchladen

1.5K 157 5
                                    

Crowley hatte seit Armageddon kein Auge zumachen können. Doch jetzt, wo Erziraphael bei ihm war, wollte er es versuchen. Auch wenn er keinen Schlaf brauchte, um zu überleben. Aber im Laufe der Jahrhunderte, in denen er auf der Erde lebte, hatte er sich ziemlich - vermutlich aus Langeweile -, daran gewöhnt.

Sein Körper war völlig erschöpft und es dauerte nicht lange, bis ihm sein Bewusstsein entglitt und er sich in seinen Albträumen verlor. Doch dieser, den er diesmal durchleben musste, war anders, neu. Es roch nach verbranntem Holz und Ledereinbänden von alten Büchern und ... Fleisch. Crowley würgte in seinem Traum, versuchte sich nicht zu übergeben, als die Flammen ihn zu verschlucken drohten. Der Rauch brannte in seinen Augen, die Iris' seines Schlangen-Ichs geweitet.

,,Erziraphael?", schrie er und ließ seinen Blick hastig durch den Buchladen wandern. Er war so außer sich, dass er den Körper beinahe übersah. Doch er war dort und regte sich nicht. Völlig leblos.
,,Nein, nein, nein, nein." Crowley stolperte unter Tränen auf den Körper zu, ließ sich neben ihm auf die Knie fallen und packte ihn beim Brustkorb.
,,Erziraphael!" Er schüttelte wie ein kleiner Junge an ihm, der gerade das allerwertvollste verloren hatte, das er jemals besaß.
,,Engel", murmelte er leise, fassungslos. Doch er bekam keine Antwort und starrte weiter auf die verschmorte Haut seines besten Freundes. ,,Nein, nein ... nein! Komm zurück, du Idiot! Hörst du mich? Tu mir das nicht an!"
Er brüllte sich die Kehle wund, doch niemand hörte ihn. Sein Engel war tot.

Crowley erwachte sehr plötzlich und sein Gesicht war feucht. Es war unklar, ob von Schweiß oder seinen Tränen.
,,Erzi--raphael!", schrie er mit verzerrter Stimme. Sein Herz hämmerte ihm laut und kräftig gegen die Brust, sein Atem ging schnell und schwer.

Er nahm sich einen Moment Zeit, um sich im Raum umzusehen. Er war Zuhause, in seinem eigenen Bett und in Sicherheit. Aber ... Erziraphael war nicht hier. Der Engel war nicht hier!
War gestern bloß ein Traum und das hier sollte die Realität sein? Nein, bitte nicht.

Es war mitten in der Nacht, gemessen am Lichtmangel, der in sein Fenster drang. Laut der kleinen Analoguhr auf seinem Nachttisch war es fast halb fünf. Das machte ihm im Moment nicht viel aus. Nichts war wirklich von Bedeutung, außer zu wissen, ob es seinem Engel gut ging oder nicht.

Crowley trat vor seine Wohnung, ging zum Bentley und schloss die Tür hinter sich mit einer Handbewegung ab. Er setzte sich auf den Fahrersitz, schloss ruckartig die Tür und nahm sich einen Moment Zeit zum Atmen.

Staub. Trümmer. Hitze. Erziraphael.

Er schüttelte den Kopf, als würde er die Erinnerungen aus seinem Kopf schütteln. Lou Reeds Stimme summte durch den Lautsprecher, als er zum Buchladen fuhr. Er konnte sich nicht konzentrieren und fuhr beinahe einige der Passanten um, die sich zu dieser Zeit bereits auf den Straßen Londons befanden.

Es dauerte nur ein paar Minuten, bis er beim Buchladen ankam - zum Teil, weil er ziemlich nahe wohnte, aber auch, weil er mit einer Geschwindigkeit von 90 Meilen pro Stunde aufwärts fuhr. Er konnte ein schwaches Licht durch die Schatten und Schlitze der Jalousien sehen, kein Feuer, kein Rauch, nichts, was bedeuten musste, dass Erziraphael hier war.
Crowley atmete erleichtert auf und parkte den Bentley an der gegenüberliegenden Straßenseite. Als er an den Laden herantrat, starrte er mit Tränen in den Augen zur Tür. Er konnte Asche auf seiner Zunge schmecken, als er versuchte, die Erinnerungen wieder zu verdrängen. Diesmal klappte es aber nicht ganz. Er fühlte sich leer und verloren.

Das Klopfen war ein bisschen zu kraftvoll, dachte er. Aber es war ihm im nächsten Moment egal; er musste ihn sehen. Er hörte leise Schritte, dann drehte sich der Schlüssel und die Tür öffnete sich mit einem Knarren.

„Crowley", erkannte Erziraphael ihn und entspannte sich ein wenig.
,,Du bist ziemlich früh hier." Er bemerkte, dass Tränen in Crowleys Augen aufstiegen, da dieser durch die Aufregung vergessen hatte, seine Brille aufzusetzen; das Lächeln des Engels verblasste.
,,Was ist passiert? Komm rein."
Erziraphael bewegte sich leicht und bedeutete dem Dämon, hineinzugehen.

Was passiert war?!
Nicht einmal einen Schritt durch die Tür, und Crowley wusste, dass er es nicht länger aushielt. Seine Haut brannte. Er spürte, wie der Rauch aufstieg und seine Lungen füllte.

Erziraphael schloss die Tür hinter sich und als er sich umdrehte, brach Crowley in sich zusammen und wurde von Trauer überwältigt. Erziraphael's Augen wurden größer und er fing seinen Freund auf, ließ ihn auf die Knie sinken, wobei er dessen Kopf gegen seine Brust drückte.

„Sprich mit mir, du machst mir Angst."
,,Ich mache dir Angst?", brachte Crowley fassungslos hervor. Er sah zu Erziraphael auf, die Augen geschwollen, todmüde und von schrecklicher Verzweiflung geplagt.
„Ich dachte, du wärst tot, Engel."
Das Wort „tot" war scharf wie Glasscherben. „Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren. Weißt du, wie sich das anfühlt? Sechstausend Jahre und dann nichts. Du ... du bist einfach gegangen! Ich war alleine."

Erziraphael schloss die Augen und kämpfte gegen Tränen an. Er hätte wissen müssen, dass es wieder Albträume waren.
,,Es tut mir so schrecklich leid, Crowley. Jetzt bin ich hier. Ich ... ich lebe und bin in Sicherheit. Wir sind in Sicherheit."
Er hielt ihn fester, bat so weiter still um Verzeihung.
,,Ich musste noch etwas erledigen. Es konnte nicht warten", versuchte er zu erklären. ,,Ich wäre sofort wieder bei dir gewesen. Es tut mir leid." Er konnte sich selbst nicht vorstellen, was es bedeuten würde, Crowley zu verlieren. Also wie musste sich ein Dämon dann fühlen?

"Ich bin hier", flüsterte er erneut leise und fuhr mit seinen Fingern durch dessen zerzauste Haare.
Crowley genoss es, schmiegte sich an ihn und schlang seine Arme um ihn. Nie hatte er den Engel so umarmen dürfen, doch für alles gab es ein erstes Mal.

Nach einiger Zeit wich er zurück und wollte sich das Gesicht trocken wischen. Doch Erziraphael kam ihm zuvor und berührte mit seinen Händen die nassen Wangen des Dämon.
,,Ich gehe nicht mehr weg. Nicht jetzt - niemals."
„Versprich es mir, Engel."
,,Ich verspreche es."

𝕴𝖓𝖊𝖋𝖋𝖆𝖇𝖑𝖊 • 𝕲𝖔𝖔𝖉 𝕺𝖒𝖊𝖓𝖘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt