2. Kapitel

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SHE DOESN'T LIVE IN DARKNESS;
DARKNESS LIVES IN HER.

Eingehend betrachtet Gwendolin ihre Fingernägel, während die Schulpsychologin sie über den Tisch hinweg beobachtet. Und Marin Morrell kann ziemlich eingehend starren.
"Wie haben Sie sich zurecht gefunden, Ms Ginger?"
"Ganz gut!" Gwendolin hebt den Kopf und sieht Ms Morrell fest in die Augen. "Man tut genau das, was ich will."
"Und das wäre?"
Lächelnd überschlägt Gwendolin die Beine.
"Mich in Ruhe lassen."
"Sie wissen, dass das nicht gerade Fortschritte sind?!"
"Sagt wer? Sie? Die Ärzte? Ich bin nicht selbstmordgefährdet. Das war ich nie! Ich hasse nur sozialen Umgang mit Menschen. Aber davon gibt es noch viel mehr."
"Aber keiner hat durchgemacht, was Sie durchgemacht haben." Ms Morrell legt leicht den Kopf schief. Gwendolin hasst diesen Blick. Als würde das Miststück etwas wissen und versuchen einen durch gezielte Fragestellung selbst darauf zu bringen.
Gwendolin lehnt sich in ihrem Stuhl zurück.
"Das wünsche ich nicht einmal meinem ärgsten Feind."
Ms Morrell nickt leicht, offenbar mit der Antwort zufrieden. Als hätte sie einmal etwas richtiges gesagt. Ein paar Minuten herrscht schweigen, in denen Gwendolin vollkommen erstarrt auf ihrem Stuhl sitzt und den Blick der Psychologin erwidert.
"Sind wir fertig?"
"Mögen Sie Tiere, Ms Ginger?"
Von dieser Frage verwirrt, runzelt Gwendolin kurz die Stirn.
"Wenn wir hier von süßen, kleinen Tieren reden, dann ja!"
"Was ist mit, zum Beispiel großen Hunden?"
"Ich renne so schnell es geht in die andere Richtung und klettere auf den nächst besten Baum."
Ein paar Minuten sehen die beiden Frauen einander wieder schweigend an.
"Einem Bekannten von mir gehört die örtliche Tierklinik hier. Warum gehen Sie dort nicht ein paar Mal die Woche hin?"
Gwendolin kneift leicht die Augen zusammen.
"Was springt dabei für mich heraus?"
Mit einem kurzen Auflachen senkt Ms Morrell kurz den Kopf, bevor sie sich wieder dem bohrenden Blick ihrer Schülerin stellt.
"Wir reduzieren ihre Stunden hier. Anstatt einer Sitzung helfen Sie in der Klinik mit den Tieren. Aber nur wenn Sie dort auch wirklich hin gehen. Wenn ich Sie beim Schummeln erwische, machen wir fünf Sitzungen die Woche."
Mit geschürzten Lippen nickt Gwendolin einige Male langsam.
"Klingt fair. Wann soll ich dort hin gehen?"
Ms Morrell lehnt sich ein Stück zurück und reibt sich das Kinn.
"Sie versuchen nicht mir auszuweichen? Oder zu verhandeln?"
Mit einem Seufzer lehnt Gwendolin sich vor.
"Hören Sie Ms Morrell. Wenn Sie mir diese Beschäftigung geben, habe ich die Möglichkeit etwas anderes zu tun, als bei den Martins herum zu sitzen und mich zu fragen, wie es hätte sein können. Also, wann soll ich in die Tierklinik?"
Ms Morrell blinzelt einige Male.
"Also gut, ich rufe Dr Deaton gleich an und Sie machen sich auf den Weg."
Gwendolin zuckt nickend die Schultern und steht auf.
"Alles klar!" Sie nimmt ihre Tasche und geht zur Tür.
"Ach, und Ms Ginger", Gwendolin bleibt stehen.
"Passen Sie auf sich auf. Da draußen treibt sich noch ein Mörder herum."
Gwendolin lächelt freundlos.
"Bei meinem Glück überlebe ich den auch noch problemlos." Dann schließt sie die Tür hinter sich. Draußen sitzt Lydia und wartet auf ihre Stunde. Die beiden Frauen wechseln einen kurzen Blick, dann geht Gwendolin weiter. Unbewusst wandert ihre Hand zu ihrem Nacken und sie kratzt sich.

Es hat eine Weile gedauert, doch schlussendlich hat Gwendolin die Tierklinik gefunden. Von der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtet sie das Gebäude ein paar Minuten. Kunden gehen mit ihren Patienten ein und aus. Schließlich gibt sie sich einen Ruck und überquert die Straße. Eine Glocke ertönt, als sie die Klinik betritt. Zögerlich sieht sie sich um, bis eine Stimme erklingt.
"Was kann ich für Sie tun?"
Gwendolin wendet den Blick von einer der vielen Pinnwänden ab und sieht auf. Der Arzt ist ziemlich groß, aber im Vergleich zu ihr sind alle groß. Dunkle Augen, eine Glatze und braune Haut. Er hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Schulpsychologin.
"Ich bin Gwendolin Ginger. Hat Ms Morrell angerufen?"
Das Gesicht des Arztes hellt sich auf.
"Gwendolin, natürlich! Komm doch rein." Er öffnet ein kleines Gatter, das Wartezimmer von Rezeption trennt. Gwendolin tritt ein und als das Gatter sich hinter ihr schließt, spürt sie wie diese kribbelnde, nagende Angst zu schrumpfen beginnt, bis sie fast gänzlich verschwindet. Eine Verspannung zwischen ihren Schultern löst sich auf, von der sie gar nicht gewusst hat, dass sie da war.
"Wie hast du dir das hier vorgestellt?" Er führt sie nach hinten und sie folgt ihm.
"Sie müssen mich nicht bezahlen oder so..." Gwendolins Stimme wird leiser. Dr Deaton beobachtet sie von der Seite, während er sie zu der Tür führt, hinter der die Katzen sind.
"Ich brauche nur einen Ort, an dem man mich in Ruhe lässt."
"Verständlich!" Lächelnd öffnet er ihr die Tür. Gwendolin lässt das sanfte Gefühl von Frieden zu und betritt den Raum für die Katzen. In den nächsten Minuten erklärt der Doc ihr welche Katzen was für Krankheiten haben und worauf sie achten muss, wenn sie sich mit ihnen beschäftigt. Gwendolin hört aufmerksam zu und merkt es sich.
Das Klingeln der Glocke lässt sie beide aufsehen.
"Ich muss zurück an die Arbeit." Lächelnd wendet er sich zum Gehen. Gwendolin sieht ihm hinterher, dann stellt sie ihre Tasche in eine Ecke und lässt sich zu Boden gleiten. Unzählige Katzenaugen starren sie neugierig an. Vorsichtig öffnet sie einer der Körbe und wartet. Ein grau-schwarz gescheckter Kater mit einem weißen Fleck auf der Nase und einem etwas zerfetzten Ohr. Sein Schwanz ist einbandagiert. Das Tier streckt seine Nase aus dem Käfig und als Gwendolin nichts tut, schiebt es sich ganz heraus. Langsam, da sie ihn nicht verscheuchen will, streckt sie die Hand aus und streicht mit den Fingerspitzen durch das seidigweiche Fell. Er schnurrt und räkelt sich an ihrer Hand.
Katzen mögen sie wirklich.
Nach ein paar Sekunden tappt das Tier auf ihre Schenkel und rollt sich auf ihren Beinen zusammen. Gwendolin atmet tief durch, lehnt den Kopf an und steckt sich einen Kopfhörer ins Ohr. Mit dem anderen lauscht sie auf die Klinik, die beruhigende Stimme des Doktors, der sein Handwerk versteht und die erleichterten Herrchen, wenn sich heraus stellt, dass alles gar nicht so schlimm ist, wie es zu Beginn aussah. Schläfrigkeit nistet sich langsam in ihr ein. Die vorigen anstrengenden Tage fordern nun ihren Preis. Erst ihre Entlassung, dann der lange Flug und ihr erster Schultag. Letzte Nacht hat sie nicht schlafen können. Eine weitere Auswirkung der Dämonen in ihrem Innern. Schlaflosigkeit. Wenigstes bis sie langsam anfängt etwas sicherer zu fühlen. Auch wenn sie sich eingestehen muss, dass sie sich bisher nirgends so sicher gefühlt hat, wie hier in der Tierklinik.
Immer wieder fallen Gwendolin die Augen zu, bis sie sie nicht mehr offen halten kann. Mit dem zarten Gefühl von Sicherheit und Frieden und dem weichen Fell des Katers unter den Fingerspitzen schläft Gwendolin ein.

Wie Katz und HundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt