Kapitel neun: You are wonderful.

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Je mehr Zeit ich mit ihm verbrachte, desto einfacher fiel es mir, normal mit ihm umzugehen. Ich versuchte mich zwar zurück zu halten und ihm nicht dauernd die Hand auf den Arm zu legen, aber ich versagte dann und wann kläglich. Doch es schien okay, denn wann immer ich tatschte, dann tatschte er einfach zurück. Inzwischen waren wir wohl sowas wie Freunde und ich war dankbar darum, denn es war mehr, als ich je erwartet hätte, doch es war auch gleichzeitig schwerer, denn er war so nah und doch so fern.

Wieder musste ich an Hoseok und seine Gefühle denken. Hyung liebte mich wirklich, er hatte viel auf sich genommen und mich nie allein gelassen, auch wenn es einen Zeitpunkt gegeben hatte, wo das vielleicht das Beste für ihn gewesen wäre. Doch ich verstand auch, dass er bei mir geblieben war. Uns verband so viel, wahrscheinlich überwog die Pro-Seite einfach. Im Moment noch überwog auch bei mir die Proseite. Ich war zwar traurig darüber, Tae nicht wirklich haben zu können, ja, darüber, dass er meine Gefühle wohl nicht erwidern würde, aber ich freute mich eben noch mehr über die lockere Freundschaft zu ihm, die mir bisher jede Menge Spaß geliefert hatte.

Manchmal gestattete ich mir, etwas delulu zu werden. Ich wusste, dass das wahrscheinlich nicht gut für mich war und auch so total bescheuert, aber... warum war er hier?

Wie sollte ich mir nicht einbilden, dass er irgendwie meine Nähe suchte, wenn er mit hinter der Bühne hockte und sich von meinem Gemurmel nicht stören lies? Zuerst: hinter der Bühne hing eigentlich nur der Dramaclub rum, aber wir wollten mal nicht so sein, wenn er meinte, dass er auch gern hier rumhängen wollte vorm Training. So verbohrt waren wir nicht, aber dennoch musste man zumindest mit wem befreundet sein, um hier hinten rumspringen zu dürfen.

Wir waren im Moment die einzigen beiden hier und ich lief mit meinem Script auf und ab und murmelte den Text vor mich hin, doch so ganz konzentrieren konnte ich mich natürlich nicht, denn ich spürte den Blick Taehyungs dunkler Augen auf mir. Ich war es gewöhnt, dass man mich beobachtete und eigentlich machte mir das nicht mehr viel aus, aber bei ihm war es was anderes. Er machte mich nervös. Ich versuchte trotzdem mich nicht allzu sehr ablenken zu lassen und das zu tun, was ich immer tat.

Ich gab mir Mühe, mir die Situation vorzustellen, es vor meinem inneren Augen anzusehen und zu fühlen, was die Personen fühlen mochten und änderte ihre Reaktion immer anhand daran, wie ich den bloßen Satz, der mir das Werkzeug war, formte, immer wieder anders Leben einhauchte, bis ich das Gefühl hatte, dass das rüber kam, was ich wirklich ausdrücken wollte. Doch irgendwie war ich noch nicht zufrieden. Ich drehte mich wieder um und begann los zu laufen. Ich wusste nicht mehr, wann ich mir das angewöhnt hatte, doch wenn ich in Bewegung war konnte ich mich besser konzentrieren und die Worte besser fühlen.

Erneut fing ich von vorn an, zumindest, bis mich die tiefe, warme Stimme, die ich auch so oft in meinen Träumen hörte, aus den Gedanken riss. "Was ist das Problem?", fragte Taehyung und ich drehte mich zu ihm um. "Du bist noch da", stellte ich fest. In der letzten Viertelstunde war ich dann doch mal zur Konzentration gekommen und irgendwie hatte ich fast damit gerechnet, dass es ihm irgendwann zu langweilig wurde und er ging. Doch er war noch da. Er lachte leise auf und ich erwiderte das mit einem schüchternen Lächeln. Ich hörte ihn wirklich gern lachen. Er klopfte neben sich und ich folgte der Einladung, jedoch nicht, ohne meinen inneren Fanboy mal wieder sorgsam verschnürt in eine Ecke meines Unterbewusstseins zu schieben.

Eine Pause konnte nicht schaden. Ich setzte mich zu ihm und legte mir das Script auf den Schoß. "Es ist eine Schlüsselszene", erklärte ich und gestikulierte ein wenig, "und ich kriege sie einfach nicht ganz auf die Reihe? Ich meine, was tut er, dass sie so reagiert, wie sie reagiert?" Es war eben mehr als nur Text runterrattern, zumindest für mich.

Geschafft lehnte ich mich zurück und sah an die Decke. Ich stützte mich auf meinen Armen ab und sah ihn wieder an, ohne meine Position großartig zu ändern. Er sah mich ebenfalls an und seine Augen funkelten interessiert. "Ich meine ich verstehe, was er sagt", fuhr ich ermutigt fort, "ich verstehe auch, dass sie ihn toll findet, aber dennoch will ich erfassen, was an ihm wirklich so toll ist. Ich brauche Hyuna hier. Es ist immer einfacher, wenn ich zu jemandem sprechen kann, während ich übe. Ich arbeite wirklich gern mit ihr, sie ist fast so besessen vom Schauspiel, wie ich."

Ich setzte mich wieder ganz auf und tätschelte ihm kurz den Oberschenkel, lies das aber auch gleich wieder. Auch das hatte wohl irgendwann von Hoseok Hyung auf mich abgefärbt. Kaum hatte ich meine Hand zurück gezogen, legte sie sich von ganz von selbst auf seinen Unterarm. Meinen Körper hab ich voll im Griff, jawohl. Kein Zweifel daran. Niemand war beherrschter als ich, niemand vor mir und nach mir würde auch niemand mehr kommen!

"Hyung, hast du nicht Training?", fragte ich sanft und ließ ihn wieder los. Gut gemacht Jungkook und jetzt lass deine Fingerchen bei dir, Herrgott. "Erst in einer Stunde", antwortete er und ich lächelte leicht. "Ich bin hier hinten geblieben, weil es echt schön ruhig hier ist, wenn man mal von dir und dem Satz, den du ungefähr drölftrillionen Mal wiederholt hast absieht. Ich habe weiergelesen. Aber das Ende fehlt."

Ich wurde rot. Zum einen, weil es mir irgendwie peinlich war, auch wenn es das nicht musste, zum anderen, weil er immer noch mein Buch las, ohne es zu wissen und allmählich bekam ich ein schlechtes Gewissen deswegen. Wann wollte ich ihm das sagen? Ich musste es irgendwann tun, wenn ich es wieder haben wollte und bei aller Liebe, ich wollte nicht, dass eine Lüge zwischen uns stand, oder dass er es von wem anderes erfuhr, auch wenn das kaum möglich war.

Der Einzige, der es wusste, war Hoseok und der würde mich nie verraten und nie jemandem ein Sterbenswörtchen erzählen. Also konnte höchstens ein dummer Zufall mich entlarven. Aber so weit wollte ich es nicht kommen lassen. Dennoch fehlte mir der Mut, denn ich hatte keine Ahnung, wie er reagieren würde, wenn ich jetzt, nach Wochen, ankam und ihm sagte, dass das Buch mir gehörte und ich es wieder haben wollte.

Ich runzelte die Stirn. Wenn ich mein Buch nicht wieder bekam, dann würde es auch kein Ende geben. 

"Und du willst es unbedingt wissen?", hakte ich nach und er lachte leise. "Ja, auch", er schwieg kurz und sah mich an, "denke ich mal. Ich bin noch gar nicht so weit, aber ich habe hinten ein paar Seiten gelesen und es kann nicht mehr viel fehlen. Vielleicht zwei, drei Kapitel?" Naja gut, es waren fünf, wenn ich nicht noch mal die Plotline kaputt machte, aber er war gar nicht so schlecht darin gewesen, es zu schätzen. "Das Ding ist", fuhr er fort, "sie ist fast fertig. Aber sie hat es verloren. Ich kann mir wahrscheinlich nur grob ausmalen, wie viel Zeit und Arbeit sie darein gesteckt hat. Stunden, wenn nicht Wochen sitzt sie an ihrer Arbeit und jetzt ist alles weg. Ich will es ihr wirklich zurück geben."

Er war so umsichtig. So empatisch. Ich fragte mich, ob er selber wusste, wie gut er war. Das macht meine Affinität zu ihm nicht gerade besser. "Du bist wundervoll", entwischten mir meine Gedanken und sein Blick schnellte zu mir. Ich senkte meinen schnell. Ich sollte nicht so viel reden. "Was?", fragte er und ich errötete. Nervös ging ich mir in die Haare. "Nichts, war nur ein Gedanke, du bist ein guter Mensch, weißt du?" Ich wagte ein schüchternes Lächeln. Er lächelte zurück und ich senkte den Blick verlegen wieder. Immerhin schien Taehyung es mir nicht übel zu nehmen.

"Du sagtest, du musst zu jemandem sprechen?", hakte er nach und wechselte damit zurück auf das vorangegangene Thema. Ich nickte und legte meine Hände auf das Script in meinem Schoß. "Meistens klappt es dann besser", bestätigte ich und in seinen Blick trat was lauerndes. "Sprich zu mir", sagte er und ich musterte ihn erstaunt. "Ich weiß nicht, ob ich das kann", murmelte ich und merkte nur, wie meine Wangen wieder einmal mehr warm wurden. 

"Bist du nun Schauspieler, oder was?", triggerte er mich an und ich musste zugeben, dass, so simpel das war, es funktionierte. Was war ich doch einfach gestrickt. Wahrscheinlich konnte man mich, wenn man das richtige wedelte, auch in einen weißen Van locken, auch wenn ich es besser wissen sollte. 

"Stell dir vor, ich hätte Titten", setzte er galant hinzu.

Okay, was zum Henker?

Picture Me. || Jungkook Version ||Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt