How Do You Do?

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Remington wird von Emerson unsanft aus dem Schlaf gerissen.
Sein kleiner Bruder schreit und tritt im Schlaf.
Remington sieht auf die Uhr.
01:17 Uhr.

Vorsichtig rutscht er zu seinem kleinen Bruder und rüttelt ihn an der Schulter.
,,NEIN!"
Panisch um sich greifend wacht Emerson auf.
Als er Remington sieht, beruhigt er sich ein wenig.
,,Hey", murmelt der Sänger leise.
Als er gestern nach Hause gekommen ist, hat Emerson schon geschlafen.
Er hat so zerbrechlich gewirkt, als er zusammengekauert im Bett lag.
Remington will das nie wieder sehen müssen.
,,Hey", erwidert Emerson endlich.
Seine Stimme zittert und er atmet nach wie vor schwer.
Remington kennt diese Anzeichen.

Er nimmt Emersons Hände und sieht ihm in die Augen.
In ihren blauen Tiefen schimmert deutlich die Angst und die Panik hervor und Remingtons Herz zieht sich zusammen.
,,Schau dich um, Em. Nenn' mir fünf Dinge, die du sehen kannst. Oder weißt, dass sie da sind. Egal welche. "
,,Das Bett, dich, die Lampe, mein Kissen, die Tür", zählt der jüngste stockend auf.
,,Und jetzt drei Sachen, die du hören kannst und eine, die du fühlen kannst. Bitte", wiederholt Remington die Wörter, die vor gar nicht langer Zeit zu ihm gesagt wurden.
Sein kleiner Bruder kommt seiner Bitte nach und allmählich normalisiert sich seine Atmung.

,,Danke, Remington", murmelt Emerson erschöpft und lässt Remingtons Hände los, ,,tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe. "
,,Hey, kein Problem. Inzwischen kenne ich mich damit etwas aus", Remington fährt sich unsicher durch die Haare, ,,wir sind doch Brüder, wir müssen zusammen halten. Oder? "
Em nickt und lächelt dann scheu.
,,Willst du darüber reden?", fragt Remington vorsichtig.
Er erkennt das Gesicht seines Bruders in der Dunkelheit kaum, aber er merkt, wie der Drummer mit sich ringt.

,,Wir haben wieder eine Karte bekommen", beginnt der jüngste zögernd, ,,sie war in der Zeitung, die ich lesen wollte. Ich weiß auch nicht, ich habe dieses Zeichen gesehen und... . "
,,...alle Erinnerungen sind auf dich eingeprasselt", beendet Remington den Satz für ihn.
Sein Bruder nickt zittrig. In seinen Augen sammeln sich Tränen.
,,Ich war wieder da. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich...Remington ich habe solche Angst!"

Behutsam nimmt Remington Emerson in den Arm und streicht über seinen Rücken. Er zeichnet immer und immer wieder ein Symbol, dass sich die Brüder als Kinder ausgedacht haben. Es steht für Geborgenheit.
Emersons Finger krallen sich fest in sein Tshirt und er wird von Schluchzern geschüttelt.

,,Ich musste mitansehen, wie sie einer Frau die Stimmbänder durchtrennt haben. Damit sie nicht schreien kann", schluchzt der jüngste an Remingtons Schulter, ,,sie haben ihr die Augen entfernt. Die ganze Zeit hat sie geschrien. Aber es kam kein Ton aus ihrem Mund."
Remington findet keine Worte für das Grauen, dass Lieseil seinem kleinen Bruder angetan hat.
Heiße, unendliche Wut steigt in ihm auf und füllt jeden Zentimeter seines Körpers.

,,Ich dachte...ich dachte, dass tun sie dir auch an. Als...als wir damals zusammen...zusammen... . "
Emerson findet keine Kraft weiter zu reden.

Remington streichelt weiter seinen Rücken. Er weiß, worüber Em spricht.
Eines Tages sind sie beide gemeinsam aus ihren Zellen geholt worden. Remington wünschte, er könnte sich an mehr erinnern. Er weiß nur noch, dass es Emerson zerstört hat.
Irgendetwas ist dort in dem Raum passiert, dass Emerson verfolgt.

Sacht wiegt Remington den Drummer, bis dieser wieder in einen unruhigen Schlaf fällt.
Remington deckt ihn zu und verlässt das Zimmer.
Immer noch pulsiert gleisende Wut durch seine Adern.

Fragmente von Erinnerungen blitzen in seinem Geist aus, als er durch die Flure geht.
Er sieht seine Pritsche, die Gitter zwischen den Zellen. Ein Mädchen.
Sebastian gefesselt und unter Drogen.
Die Badewanne.
Einen Wärter mit Gasmaske.
Emerson mit blutendem Fuß.

Endlich ist er dort angekommen, wo er hin will.
Mit Schwung reist er die Zimmertür zu Daniels Raum auf und knipst das Licht an.

Daniel schreckt verschlafen hoch und hält sich eine Hand vor die Augen.
,,Remington? Was ist los? Geht es Emerson nicht gut? "
Alamiert springt der Bassist aus dem Bett.
Remington geht auf ihn zu und packt ihn an den Schultern.
Drückt ihn mit aller Kraft gegen die Wand.
Immer noch schwirren die Teile seiner Erinnerungen in seinem Kopf umher.
Die Wut lässt ihn kaum klar denken.

,,NEIN, verdammt. Es geht ihm übel. Er hatte wieder eine Panik Attacke. Daniel, der Junge ist total am Ende. Das ist deine Schuld! ", knurrt der Sänger ihn an.
Daniel stellt jede Gegenwehr ein und ein tiefer Schatten zieht über sein Gesicht.
Remington wünscht sich nichts mehr, als dass sein Freund es leugnet. Dass X falsch liegt.
,,Es tut mir so unfassbar leid, Rem", flüstert dieser.
Wie in Zeitlupe zerspringt Remingtons Welt wie ein Spiegel. Der Riss, den sie hatte, bricht auf und hinterlässt einen einzigen, großen Scherbenhaufen.

Kraftlos lässt Remington Daniel los.
,,Warum?, krächzt er.
,,Ihr wart mein Auftrag", wispert Daniel und zieht sein T-shirt nach oben.
Quer über seinen Rippen steht
LIESEIL INC in krageligen Buchstaben tätowiert.
,,Ich...Sollte euch zu Lieseil bringen. Was ich auch getan habe. Aber ich habe es bereut Rem! In unserer gemeinsamen Zeit habe ich mich wie in einer Familie gefühlt. Ich... . "
,,Du hast zugesehen, was sie mit uns gemacht haben", krächzt Remington, ,,ich hielt dich für einen Freund, Daniel. Wir...du hast sogar noch den Retter im Video gespielt. Das nennt man dann wohl Ironie. "

,,Bitte Remington. Ich versuche, es wieder gut zu machen. Ich habe euch weg gebracht. Ihr seid sicher vor Lieseil... Ich.. ."
Daniel rauft sich verzweifelt die Haare.
,,Sicher? ", lacht Remington, ,,deshalb ist auch mein kleiner Bruder auch außer sich vor Angst!"
,,Ich wollte das nicht", murmelt Daniel, ,,ich dachte, es macht mir nichts aus... . "
,,Hast du doch Gefühle?!", brüllt Remington wütend, ,,ist dir überhaupt klar, wie gebrochen Emerson ist?! Wie wird er wohl reagieren, wenn er wüsste, dass du verantwortlich bist für seinen Zustand?! "

,,Sie wissen es."

Es herrscht Stille, in der Remington völlig außer Fassung seinen Bandkollegen ansieht.
,, Was?! "

Daniel sieht zu Boden.
,,Sebastian und Emerson wissen es. Emerson hat mich erkannt. Gleich nachdem ihr zurück wart. Wir wollten es dir sagen, aber... ."
,,Aber was....? Habe ich nicht die Wahrheit verdient?"

,,Du warst so mitgenommen, wir hatten Angst um dich, Remington. Es war irgendwie nie der richtige Zeitpunkt. Du kannst dich vielleicht nicht an alles erinnern aber... . "

,,Spar dir dein aber", faucht Remington.
Eine Leere breitet sich in ihm aus. Betäubt seine Gefühle.
Sie alle hatten ihn angelogen. Hatten es nicht für wichtig gehalten, ihn einzuweihen.
,,Ich hasse dich", spuckt er Daniel vor die Füße.
Remington lässt den Bassisten stehen und verlässt das Zimmer.
Daniel rennt ihm hinterher.

,,Remington! "

,,Lass mich!", schreit Remington.
Es tut so weh. So weh zu wissen, dass sein Peiniger die ganze Zeit hier gewesen ist und seine Brüder es gewusst haben.
Er flieht in sein Schlafzimmer und sperrt die Tür zu.

Er hört, wie Daniel ein paar Minuten davor stehen bleibt. Dann entfernen sich seine Schritte.
Remington sinkt an der Wand nach unten.
Er beißt sich in seine Hand, um seine Schluchzer zu ersticken.
Er will Emerson nicht wecken.
Einzig und allein die Dunkelheit ist stiller Zeuge seiner Tränen.

Fucking With My Head Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt