Kapitel 8

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                                                         Kapitel 8

Sichtwechsel:

Ich schreckte aus dem Schlaf auf, weil ich hörte wie die Haustür ins Schloss fiel. Einen Moment lang war ich verwirrt. Seit wann konnte man die Haustür in meinem Zimmer hören? Dann erst bemerkte ich, dass mein Nacken steif und das Zimmer lichtgeflutet war. Stöhnend schwang ich meine Beine über die Kante des Sofas. Ich war gestern doch tatsächlich im Wohnzimmer eingeschlafen! Ein Blick auf die Uhr rüttelte mich noch wacher als die Tür kurz zuvor. Ich musste mich beeilen! Wieder kroch die Wut auf meine ‚Eltern‘ in mir hoch. Auf die Arbeit verschwinden, bevor ich wach wurde konnten sie, aber mich wecken, damit ich nicht zu spät in die Schule kam, unmöglich. Ich wusste sehr wohl, dass bei anderen Familien alle fünf Minuten jemand hereinschneite um sicher zu gehen, dass die geliebte Tochter oder der geliebte Sohn auch aus den Federn kam. Das war mir das letzte Mal einen Tag nach meiner Einschulung passiert. Ich versuchte nicht allzu fies über meine Eltern zu denken, schließlich gab es auch deutlich miserablere Eltern als sie. Ich war noch nie geschlagen worden, hatte nie gefroren oder Hunger gehabt, hatte immer alles bekommen was ich wollte…bis auf ihre Aufmerksamkeit. Ich hatte bereits alles Erdenkliche versucht um auf mich aufmerksam zu machen, am Anfang hatte ich gehofft sie mit besonderen Leistungen stolz zu machen. Ich hatte mich immer in der Schule bemüht und dem entsprechend gute Noten mit nach Hause gebracht, doch es war alles geblieben wie bisher. Als ich merkte, dass all meine Bemühungen umsonst waren, veränderte ich meine Taktik um 180°. Ich sammelte mehr Einträge ins Klassenbuch als der Monat Tage hatte und schaffte meine Versetzung nur knapp. Das einzige was mir meine Untätigkeit in der Schule bescherte waren Nachhilfestunden, die meine Eltern auf das Drängen verschiedener Lehrkräfte hin organisierten.

Ich schüttelte den Kopf um die Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen und drehte das Wasser auf. Als ich aus der Dusche stieg, schlüpfte ich eilig in ein schwarzes Jerseykleid, eine Feinstrumpfhose und schwarze Western Boots. Ich föhnte meine Haare ansatzweise trocken und tuschte mir in Rekordzeit die Wimpern, trug Kajal und Rouge auf tupfte etwas Lipgloss auf meine vollen herzförmigen Lippen. Dann hetzte ich in mein Zimmer, stopfte mein Schulzeug in eine graue Tasche und lief in die Küche, wo ich mir einen Apfel schnappte und meine Schlüssel die auf dem Tisch lagen. Eilig riss ich noch meine graue Bikerjacke von der Garderobe und dann schlug auch hinter mir die Tür zu. Im Auto stellte ich missmutig fest, dass es anscheinend eine Gewohnheit von mir wurde ständig auf den letzten Drücker zur Schule zu fahren. Wenigstens wartete heute keine böse Überraschung auf mich vor dem Haus!

Leider stellte ich wenig später fest, dass die böse Überraschung heute nicht ausblieb, sondern sie sich stattdessen bloß verlagert hatte und zwar auf den Schulparkplatz. Als ich Seth dort so abwartend an sein Auto gelehnt sah, wusste ich nicht wie ich mich gleich ihm gegenüber verhalten sollte. Das seltsame Gefühl von gestern war nicht über Nacht verschwunden, auch wenn es mir deutlich lieber gewesen wäre, und außerdem spuckten immer noch die Bilder von Seth und Edward in meinem Kopf herum. Ich parkte meinen Wagen in seiner Nähe, aber dennoch weit genug weg, damit es nicht zu auffällig war. Ich stieg aus und beschloss ihn gar nicht zu beachten und das Gefühl in mir geflissentlich zu ignorieren. Ich lief an seinem Auto vorbei.

„Du siehst ihn nicht an. Du sagst nichts. Du gehst einfach vorbei. Er ist ein Arsch. Vergiss das nie.“, versuchte ich mir flüsternd selbst einzureden.

„Hey Claire!“, rief eine verruchte Stimme. Ich sah auf und blickte direkt in seine dunkelbraunen Augen. Ich schluckte.

„Seth.“, sagte ich schlicht.

„Wie geht’s?“, fragte er grinsend und stieß sich von der Motorhaube ab, an der er lehnte.

„Bis gerade eben gut.“, ich war erstaunt wie einfach es war sich wie immer zu benehmen. Ich flüchtete mich wohl einfach bereits zu lange in den Sarkasmus.

„Sag mal hast du nicht Lust heute nach der Schule mit an den Strand zu fahren?“, lud er mich ein und seine Augen strahlten dabei. Hatte ich irgendetwas verpasst?

„Mit dir?“, fragte ich misstrauisch und zog eine Augenbraue hoch. Seth lachte auf.

„Jetzt guck nicht so angstvoll Bambi! Nessie und Jake…“, antwortete er, doch ich schnitt ihm empört das Wort ab.

„Nenn mich nicht Bambi!!“, fauchte ich. Das Gefühl hatte sich irgendwo in die hinterste Ecke meines Körpers verkrochen, wo ich es nicht mehr spürte.

„Schon gut, schon gut. Vielleicht sollte ich lieber auf Kätzchen umsteigen…“, witzelte er, doch ein bitterböser Blick meinerseits ließ ihn verstummen. „Ist ja gut, ich bin schon still! Also was ich eigentlich sagen wollte: Nessie, Jake, Emmet, Rosalie und Alice und Jasper kommen auch mit.“ Ich zögerte kurz, falls das so eine Art Päarchennachmittag werden sollte war das keine gute Idee. Andererseits wollte ich unbedingt Renesmees Freund Jacob kennenlernen…

„Ich überleg‘s mir.“, antwortete ich schließlich und setzte mich wieder in Bewegung. Ohne mich noch einmal umzudrehen ging ich auf das Schulgebäude zu. Doch auch ohne hinzusehen, spürte ich Seths Blicke auf mir.

Ich trat aus dem Gebäude und prompt wurden meine Schritte zögerlicher. Ich hatte mich eigentlich dazu entschlossen die ‚Cullen-Sippe‘ zum Strand zu begleiten. Es war schließlich ein schöner Tag, regelrecht sonnig für die ansonsten hier herrschenden Wetterbedingungen. Gut, man konnte es vielleicht nicht mit Miami vergleichen, schließlich hing noch immer eine Wolkendecke über uns am Himmel und Sonnenstrahlen bahnten sich nur vereinzelt ihren Weg hindurch, aber immerhin besser als nichts. Es könnte um einiges schlimmer sein. Also warum zweifelte ich auf einmal wieder an meiner Entscheidung? Ich wusste, dass es eigentlich total idiotisch von mir war überhaupt Zeit in diesen Gedanken zu investieren, aber ich war machtlos. Obwohl ich die Antwort kannte: Seth war mir ein Dorn im Auge. Aus dem ganz einfachen Grund, weil ich immer noch keinen blassen Schimmer hatte, wie ich das Gefühl deuten sollte und daher auch nicht wusste wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Ich atmete tief durch und hob mein Kinn. Ich würde jetzt, verdammt noch mal, an diesen Strand fahren und den Nachmittag rocken! Ganz gleich, ob Seth oder irgendjemand sonst Ärger machen würde. Ich kicherte leise, ich würde zu gerne Seth’s Gesicht sehen, wenn er mich auf einmal nett und freundlich erleben würde. Meine Stimmung verbesserte sich schlagartig und ich fasste einen Entschluss. Ich würde heute am Strand so gut gelaunt sein, dass Seth sich fragen wird, ob ich eine Zwillingsschwester habe oder einfach nur aus irgendeiner Anstalt ausgebrochen bin. Ich lachte noch einmal kurz, dann lief ich beschwingten Schrittes auf mein Auto zu, wo besagter Junge bereits auf mich wartete.

„Und hast du dich entschieden?“, fragte er auch sobald ich den Wagen erreicht hatte. Ich öffnete die Fahrertür und warf meine Tasche in das Wageninnere. Sein Tonfall verriet, dass er ziemlich sicher war meine Antwort zu kennen.

„Also ich fahr jetzt erst mal nach Hause…“, antwortete ich langsam. Seine Miene wurde ausdruckslos. „…zieh mir meine Badesachen an, pack ein paar Sachen zusammen und dann kann mich in einer Stunde jemand abholen.“, beendete ich meinen Satz und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Seine Augen nahmen innerhalb von Sekundenbruchteilen die Größe von Autoreifen an und sein Unterkiefer grub sich beinahe in die Erde, soweit stand sein Mund offen. Ich versuchte so regelmäßig wie möglich zu atmen, um das Lachen zu unterdrücken. Er starrte mich noch immer an.

„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte ich unschuldig. Es schien ihm auch die Sprache verschlagen zu haben, denn er nickte nur ungläubig. Ich zuckte mit den Achseln und lächelte wieder.

„Dann ist ja gut. Ich fahre jetzt nach Hause, bis nachher.“, verabschiedete ich mich freundlich und stieg ein. Einen Moment lang hatte ich überlegt ihn zum Abschied zu umarmen, aber dann wäre er vermutlich zusammengeklappt. Mit einem selbstgefälligen Lächeln auf den Lippen machte ich mich auf den Heimweg. Seths Gesicht war einfach unbezahlbar gewesen.

Last Moment - Bis(s) zum letzten AugenblickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt