Kapitel 2
Ich lag in meinem Bett und hörte draußen die Äste gegen meine Fensterscheibe schlagen. Regentropfen trommelten in einem unregelmäßigen Rhythmus gegen das Glas. Direkt vor meinem Fenster stand ein großer Ahorn und immer wenn der Wind etwas stärker wurde begannen die Äste die Scheibe, in Begleitung eines sehr unangenehmen Geräusches, zu bearbeiten. Als kleines Kind hatte ich immer Angst davor gehabt, ich hatte das Geräusch als gruselig empfunden. Meine Mum war dann immer zu mir gekommen, hatte mir heiße Milch mit Honig gebracht und mir das Märchen von Rotkäppchen erzählt, allerdings in meiner eigenen abgewandelten Version. Ich fand es ungerecht, dass in den Märchen immer der Wolf derjenige war, der alle auffraß. Deswegen hatte ich ihn zum Wachhund von Rotkäppchen erklärt und so erzählte meine Mum mir es auch immer.
Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wusste gar nicht, was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen von rotem Samt, und weil ihm das sowohl stand und es nichts anders mehr tragen wollte, hieß es nur das Rotkäppchen. Eines Tages sprach seine Mutter zu ihm »Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring das der Großmutter hinaus; sie ist krank und schwach und wird sich daran laben. Mach dich auf, bevor es heiß wird, und wenn du hinauskommst, so geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas, und die Großmutter hat nichts. Und wenn du in ihre Stube kommst, so vergiss nicht, guten Morgen zu sagen, und guck nicht erst in alle Ecken herum.«
»Ich will schon alles gut machen. « sagte Rotkäppchen zur Mutter, und gab ihr die Hand darauf. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf. Rotkäppchen aber, wusste nicht, was dies eigentlich für ein böses Tier war, und fürchtete sich nicht vor ihm. »Guten Tag, Rotkäppchen«, sprach er. »Schönen Dank, Wolf.« »Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?« »Zur Großmutter.« »Was trägst du unter der Schürze? « »Kuchen und Wein: gestern haben wir gebacken, da soll sich die kranke und schwache Großmutter etwas zugut tun und sich damit stärken. « »Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter? « »Noch eine gute Viertelstunde weiter im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus, unten sind die Nusshecken, das wirst du ja wissen. « sagte Rotkäppchen. »Das ist ein weiter Weg und der Wald ist nicht sicher. Es treibt sich viel böses Gesindel hier herum. « »Mutter hat mir darum auch verboten vom Weg abzukommen. Ich soll direkt zur Großmutter gehen. « »Dann geh nur, aber sag…soll ich nicht mit dir gehen? Mit mir an deiner Seite, soll’s dir wohlergehen. An mich wird sich keiner trauen. « »Wohl war, also gut. « So lief das Rotkäppchen, an seiner Seite der Wolf, der sonst bei allen als Bösewicht verschrien, zum Hause der Großmutter. Die freute sich über das Essen und den Wein und bald war’s Zeit für das Rotkäppchen wieder heim zukehren. Es verabschiedete sich von der Großmutter und versprach bald wieder zukommen. »Sag Rotkäppchen es wird bald dunkel, soll ich dich nicht nach Haus begleiten? «, fragte der Wolf, der geduldig hinter der Nusshecke verharrt war. »Ach, du bist noch da! Ja freilich sollt es dir nichts ausmachen. «, stimmte das Rotkäppchen erfreut zu und so gelang es auch sicheren Weges zur Mutter zurück.
Ich lächelte bei der Erinnerung. Wölfe waren schon immer meine Lieblingstiere gewesen. Sie hatten etwas Geheimnisvolles. Sie lebten zwar in einem Rudel und waren doch Einzelgänger. Außerdem faszinierten mich ihre Augen. Manche Leute behaupteten die Augen seien Tore zur Seele, an und für sich stritt ich das aus Prinzip ab. Schließlich müssten dann die meisten Mädchen Klumpen in der Seele haben, wenn ihre schlecht aufgetragene Wimperntusche anfing zu bröckeln! Doch bei Wölfen war ich mir da gar nicht mehr so sicher… Ihre Augen wirkten eigentlich viel zu klug für ein Tier und es sah für mich beinahe so aus, als hätten sie für alles Verständnis. Deshalb hatte ich es auch nicht ertragen, dass Wölfe immer die Bösen in Märchen gewesen waren.
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Last Moment - Bis(s) zum letzten Augenblick
FanficDie 16-jährige Claire Lacriox Havering hat sich mit ihrem "Normalo" Leben abgefunden. Doch plötzlich taucht eine Gruppe Jugendlicher an ihrer Schule auf, die Claire sofort in ihren Bann ziehen. Die eine Hälfte blass und unheimlich gut aussehend, die...