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Ich habe nie geglaubt, dass die tiefen Ecken meines Verstandes zu solch kreativen Schandtaten fertig sind. Doch wärend der Truck von Carlos Bruder der endlosen Straße auf meinem Weg zu Carlos folgt, folgen meine Gedanken dem verwirrenden Muster, immer abstruser zu werden.

Nur nach zehn Minuten Fahrt bilde ich mir die dümmsten Dinge ein. Anstatt Carlos meine Liebe zu gestehen und schlussendlich die heißesten Dinge mit ihm anzustellen wegen unserer jahrelangen Trennung, stelle ich mir Carlos Hals in einer Schlinge vor, da ihm sein einsames Leben weit weg von seiner Familie den letzten Rest gegeben hat. Oder ich stelle mir mich vor, wie ich die Tür zu seinem neuen Haus öffne und ihn mit einer hübschen Latina, dem genauen Gegenteil von mir, im Bett oder bei noch viel Verstörenderem erwische.

Und ohne es zu merken, beginnen meine Augen sich mit Tränenwasser zu füllen, das mit dem ganzen Schmerz der vergangenen Jahre gefüllt ist. Ich spüre, wie meine Hände zu zittern und meine Unterlippe zu beben beginnt. Schlussendlich aber spüre ich neben mir zwei Frauenarme, die sich schützend um mich schlingen.

"Wir stehen das zusammen durch", flüstert Leyla mir zu und befiehlt mir dann, die restlichen paar Stunden zu schlafen. Doch wir beide wissen, dass ich zu aufgeregt bin, um überhaupt ein Auge schließen zu können.

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Letztendlich werde ich nach fünf Stunden erlöst. Carlos Bruder parkt vor einem alten Haus circa zwei Kilometer vom Zentrum der Stadt entfernt. "Wo sind wir?" Will ich sofort wissen und stecke meinen Kopf durch die Lücke der ersten Reihe. Er lacht nur und zeigt direkt auf das Haus. "Das ist die Adresse von dem letzten Brief, den mir Carlos geschrieben hat."

"Telefoniert ihr in Spanien nicht?" Verwirrt versucht auch Leyla ihren Kopf neben meinen zu drücken und schmollt heimlich, als sie merkt, dass ihr Dickkopf zu groß ist.

Erneut beginnt er zu lachen. "Keine Sorge, wenn du dir auch einen heißen Spanier angeln willst, musst du nicht auf Telefonsex verzichten." Seine Mindwinkel verziehen sich zu einem perversen Grinsen, ehe er ernster fortfährt. "Es ist nur so, dass alles etwas komisch sind, seit wir Deutschland verlassen haben."

Traurig sehe ich zu Boden, als die Erinnerungen in mir auftauchen, wie Carlos sich verabschieden will, wie ich ihn habe gehen gelassen und wie ich ihm damals nicht geglaubt habe. Drei Dinge, die ich seitdem zutiefst bereue.

"Zieh nicht schon wieder so eine Schnute. Gleich siehst du deinen Auserwählten wieder! Lächeln!" Leyla macht es mit einem breiten Grinsen vor, dass ihre perfekten, weißen Zähne zeigt. Mich selbst hat es einen kleinen Bleaching Termin beim Zahnarzt gekostet, bis ich meinen Mund mein Lächeln öffnen konnte. Davor war ich nur bei Carlos selbstbewusst genug, meine nicht perfekten Zähne zu zeigen. Generell war bei Carlos alles einfacher und natürlicher.

Ich will Chris nicht schlechtreden. Er ist mein süßer Roboter, für den ich die Kosten für das Bleaching gerne in Kauf nahm. Gesagt, dass ich ein hübsches Lächeln habe, hat er aber nie...

"Mein Gott, willst du auch mal aussteigen?" Erschrocken sehe ich Louis -wie er richtig heißt- an, ehe ich aussteige und mich mit langsamen, bedachten Schritten auf das Haus zu bewege.

Immer mal wieder höre ich seine genervte Stimme, weilich immer langsamer werde, aber meine Angst hat sich auf einmal verzehnfacht. Was mache ich, wenn er mich vergessen hat? Was, wenn er mich nicht mehr liebt?

Stunden später setze ich meinen Fuß das letzte Mal vorwärts, bis mein zittriger Finger auf Höhe der Klingel landet. Zugegeben ist seine Haustür mitsamt Briefkasten, der süß in die Tür eingearbeitet ist und Klingel sehr schön und traditionell aus. Ganz anders als das moderne Haus, das er in Deutschland bewohnte.

Gelegentlich ging ich, nachdem ich umgezogen war, noch zu dem kleinen Haus am Rande der Stadt. Aber jedes Mal, wenn ich länger davor stehen blieb, lugte nicht Carlos wunderschönes Gesicht sondern das einer alten Frau aus einem der großen Fenster an der Wohnzimmerfront heraus. Ein paar der alten Nachbarn sahen dann immer wehmütig zu mir, wenn sie den verliebten Teenager erkannten, der die letzten zwei Schuljahre seines Lebens damit verbracht hatte, bei ihrem Freund ein und aus zu gehen, als wäre es ihr eigenes Haus. Doch die alte Frau störte das nie. Sie sah in mir nur dei verrückte Erwachsene, die aus unergründlicher Weise die ersten zwei Jahre ihres Erwachsenendasein verschwendete, jeden Monat zu diesem Haus zu kommen.

Aber jetzt stehe ich nicht vor dem weißen, modernen Haus sondern vor einem gelben mit süßen kleinen Fenstern an der Seite. Da kein Name auf der Klingel steht, kann ich auch nicht wissen, ob er überhaupt dadrin wohnt. Und als mir einfällt, dass auf seinem Briefkasten der Nachname stehen muss, hat mein Finger schon die Klingel bestätigt und die Tür sich schon geöffnet.

Hinter mir wird neugierig die Luft angehalten und verzweifelt nach dem Popcorn gesucht. Ich aber sehe in das verwirrte Gesicht eines Engels.

Ängstlich halte auch ich die Luft an und sehe ihn mit riesigen Augen kann. Mein Herz rutscht mir bei seinem Anblick in die Hose, doch er steht immer noch stumm da.

"Fleur?...."

Dear First LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt