Kapitel 10

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Während ich mich wieder zurück an meinen Platz setzte, wäre ich am liebsten im Erdboden versunken. Wenn ich so weitermachte, konnte ich bald in meinem Lebenslauf unter "Besondere Kenntnisse" einen unvergesslichen ersten Eindruck hinterlassen auflisten. Natürlich waren mir die teils verwunderten, teils besorgten Blicke der anderen Personen am Tisch nicht entgangen. Wer konnte es ihnen auch verübeln.

Nervös spielte ich mit dem Saum meines Kleides. Plötzlich überkam mich das Verlangen, meinen Zustand erklären zu müssen, obwohl ich mir nicht einmal selbst einen Reim darauf machen konnte. Wie so oft in letzter Zeit war jedoch mein Mund schneller als mein Gehirn:

"Das sind die Nebenwirkungen von meinem Krankenhausaufenthalt vor ein paar Tagen. Entschuldigt bitte."

Die ganze Zeit über blickte ich auf den Teller, der vor mir stand und mit Spaghetti befüllt war. Was ich mir davon erhoffte, konnte ich selbst nicht so genau sagen. Vielleicht würden die Spaghetti ja einfach von alleine verschwinden und ich konnte endlich von hier verschwinden. Vergessen waren die Fragen bezüglich meiner Eltern, was der eigentliche Grund für meinen Besuch hier war.

Es war Giulia, die mich besorgt fragte: "Dafür brauchst du dich doch nicht zu entschuldigen! Wenn es nicht zu persönlich ist, was ist denn vorgefallen?"

Ich hob meinen Blick und sah in ihre neugierigen Augen. Kurz überlegte ich, ob ich ihnen von dem Fieber erzählen sollte. Aus irgendeinem Grund sträubte sich etwas in meiner Bauchgegend dagegen. Die Worte meiner Eltern kamen mir wieder in den Sinn, die mir dazu geraten hatten, auf mein Bauchgefühl zu vertrauen.

"Ich möchte lieber nicht darüber reden", sagte ich, was auch der Wahrheit entsprach. Es sollten nicht noch mehr Leute wissen, dass etwas ganz und gar nicht mit mir stimmte.

Darauf folgte Schweigen. Ich nahm das Besteck in die Hand und schaufelte mir etwas Nudeln in den Mund, um mich irgendwie von dieser eher unangenehmen Situation abzulenken. Ein Seufzen entwich meinem Mund, als ich die saftige Tomatensoße auf meiner Zunge schmeckte.

"Gott, die Soße ist ja himmlisch. Eure Oma ist wirklich eine Heilige", schwärmte ich an Giulia gewand, was den meisten Anwesenden ein Kichern entlockte.

"Du hast bestimmt sehr viele Fragen an uns!"

Gabes tiefe Stimme durchbrach die Stille, die sich nach meinem Kommentar wieder eingetrudelt hatte. Tatsächlich platzte ich direkt mit einer Frage heraus, die mich seit dem heutigen Kennenlernen beschäftigt hatte:

"Wo sind eure Eltern?"

"Wie bitte?", fragte Giulia irritiert. Anscheinend war meine Frage nicht deutlich genug gestellt gewesen.

"Ich meine damit, dass ich eindeutig ältere Menschen erwartet hatte. Schließlich seid ihr alle viel zu jung, um meine Eltern gekannt zu haben."

Offenbar war die Frage ziemlich schwer zu beanworten, da Giulia sehr lange darüber nachdachte, was sie antworten sollte.

"Wir waren noch ziemlich klein, als wir deine Eltern kennenlernten. Genauer gesagt kannten wir Marco schon seit unserer Geburt, deine Mutter lernten wir während ihres Austausches kennen. In der kurzen Zeit, in der wir sie kennenlernen konnten, wurden sie wie Familie für uns."

Irgendetwas an dem Ton Giulias ließ mich aufhorchen, doch ich konnte nicht genau greifen, was es war. Ihre Aussage klang plausibel. Wahrscheinlich waren ihre Eltern mit meinen Eltern befreundet gewesen, weshalb sie in Kontakt mit meinen Eltern gekommen waren. Dieses Gefühl schob ich auf die Skepsis, die man fremden Menschen gegenüber automatisch hervorbrachte.

"Du siehst genauso aus wie sie!"

Miguels unerwartete Worte versetzten mir einen Stich. Ich konnte ein Lachen nicht unterdrücken, wobei kein Stück Amüsement mit einherging.

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