Kapitel 3

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Die Autofahrt verlief relativ schweigsam, was den Umständen entsprechend auch nicht verwunderlich war. Meine Oma hatte zwar versucht, ein Gespräch zu beginnen, indem sie etwas zu den erneut schwülen Temperaturen sagte, doch sowohl mein Opa als auch ich reagierten daraufhin nicht. Im Gegensatz zum Hinweg kam mir die Rückfahrt vor, als wären wir in Warpgeschwindigkeit nach Hause gefahren. Schweigend betraten wir das Haus und entledigten uns unserer Schuhe. Meine Oma war die Erste, die das Schweigen brach.

"Cassandra, musst du nicht bald zur Hochschule?"

Ich blickte zur Wanduhr im Flur und erschrak, da ich tatsächlich schon ziemlich spät dran war für die bevorstehende Semesterabschlussprüfung. Ohne meinen Großeltern eine Antwort zu würdigen, sprintete ich so schnell wie möglich die Treppen zu meinem Zimmer hinauf. Als ich sah, wie die Sonne bereits stark in mein Zimmer schien, schalt ich mich einen Narren, dass ich vergessen hatte, die Rollos herunterzumachen. Sommer auf dem Dachboden wünschte man wirklich keinem, nicht einmal seinem schlimmsten Feind. 

Ich ließ die Rolladen herunter und widmete mich schließlich dem Bild. Ich nahm das Gemälde von der Staffelei herunter und packte es in eine dazugehörige Tasche, damit ich das Bild einigermaßen unfallfrei transportieren konnte. Nachdem ich mich in ein schickeres Kleid gezwängt und meine Haar in einem ordentlichen Knoten gebändigt hatte, nahm ich das Gemälde und eilte in den Flur. Meine Großeltern standen immer noch dort und blickten mich an. Als keiner von ihnen etwas sagte, fragte ich:

"Habe ich irgendetwas vergessen?"

Meine Oma war die Erste, die antwortete: "Nein, wir wollten dir nur sagen, dass du das Auto nehmen kannst. Und das wir da sind, wenn du reden möchtest."

In ihren Augen erkannte ich so viel Liebe, dass ich spürte, wie sich mir das Herz zusammenzog.

"Danke", flüsterte ich und umarmte erst sie, dann meinen Opa. Das Danke umschloss nicht nur die Worte, die sie mir eben gesagt hatte, sondern auch all die Jahre, die die beiden für mich und meine Träume geopfert hatten. Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen aufgrund meines Verhaltens heute, doch wie so oft wusste ich, dass sie mir verzeihen würden.

"Ich bringe das Auto sofort nach der Prüfung zurück, versprochen!", sagte ich bereits im Gehen, das große Gemälde in der Hand.

Nachdem das Gemälde sicher im Kofferraum des großen VW Tiguans verstaut war, setzte ich mich ans Steuer, um die Fahrt zur Hochschule anzutreten. Als ich das erste Mal auf mein Smartphone blickte, lächelten mir bereits zig Benachrichtigungen entgegen und ich rollte mit den Augen.

Warum habe ich eigentlich meinen Geburtstag auf Facebook nicht auf privat gesetzt?

Ich ignorierte alle Nachrichten und ging direkt zu meiner momentanen Lieblingsplaylist, wenn mein Leben mal wieder etwas aus dem Ruder lief. Die lauten Töne des Rocksongs setzten ein und ich startete den Motor. Da ich nicht oft die Möglichkeit bekam, Auto zu fahren, überraschte es mich immer wieder aufs Neue, wie sehr mich das Autofahren beruhigte. Die Musik im Hintergrund verstärkte das Gefühl der Freiheit. Dieses Mal jedoch schlichen sich Gedanken in die sonst so stille Phase und, mehr oder weniger überraschend, drehten sie sich nicht um meine bald anstehende Präsentation. Viel eher fragte ich mich mehr denn je, wer meine Eltern gewesen waren, bevor sie in das Flugzeug gestiegen waren, das deren Ende bedeutet hatte. Es war einfach nur frustrierend.

Ich konnte nachvollziehen, dass meine Großeltern nicht gerne über die Zeit vor meiner Geburt sprachen, doch ich wusste, dass ich spätestens nach den heutigen Ereignissen einige Antworten erwarten konnte. Den Entschluss gefasst merkte ich, dass ich bereits auf dem Parkplatz des Hochschulgeländes angelangt war und stieg aus. Es beruhigte mich, dass das Gelände verlassen wirkte. Da heute der letzte Tag der Semesterveranstaltungen war und viele an diesem bereits keine Kurse mehr hatten, war der Campus relativ leer. Als ich das Gemälde vorsichtig aus dem Kofferraum nahm, hoffte ich inständig, niemandem zu begegnen. Ich wusste nicht, wie ich in meiner momentanen Stimmungslage reagieren würde und, ehrlich gesagt, wollte ich es auch nicht herausfinden.

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