In der Nacht bekam ich kaum ein Auge zu, so heftig wie sich die unterschiedlichsten Gefühle in mir gegenseitig jagten. Bevor ich endlich irgendwann zwischen Drei und Vier Uhr morgens einnickte, war das Vorherrschende ein Übelkeit verursachendes Schuldgefühl, das mich auch am Morgen noch quälte. Als wäre das einem Teil von mir vollkommen egal, war ich trotzdem richtig schön hart. Im Zusammenspiel fühlte sich das total bescheuert an. Das konnte mein Körper doch nicht wirklich ernst meinen.
Ich setzte mich im Bett aufrecht und fuhr mir durch die offenen, wirren Haare. Sie hatten sich mir vors Gesicht gelegt und stahlen mir mit ihrer Schwärze das wenige Licht des trüben Morgens. Die Übelkeit war so unangenehm, dass ich mir die Hand auf den Bauch legte. Obwohl mein Herz schwer wie Blei war, versteckte sich darin dieses klitzekleine, heimliche Hochgefühl, für das ich mich selbst hätte ohrfeigen können. Nur mit Mühe hinderte ich meine Hand daran, weiter an mir nach unten zu rutschen.
Seit wann war ich denn bitte so triebgesteuert? Allein an Lyz' Blut zu denken, war schon unverzeihlich und vor allem verboten, verdammt nochmal! Mein Blutdiebstahl musste eine einmalige Sache bleiben, das schwor ich mir bei Saris Ehre. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich an diesem Morgen vielleicht besser auf die Ehre meiner Mutter schwören sollen...
Das Problem war folgendes: Einmal gekostet, war es unmöglich, diesen unvergleichlichen Geschmack wieder zu vergessen. Genau so stellte ich mir Ambrosia vor, die Speise der Götter. Für mich ähnelte es aber eher der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis. Wie schön war mein Leben, als ich noch unwissend im Paradies herumspazierte? Geiler Job, nette Kollegen und ein süßes Mädel an meiner Seite. Plötzlich hinterfragte ich meinen Herrn, hatte keine Frau mehr und musste mich von der Welt zurückziehen, damit keiner von meinem Dilemma erfuhr.
Diese ganze Scheiße ließ nur einen logischen Schluss zu. Ich musste kündigen, und zwar solange ich noch halbwegs klar denken konnte. Wenn ich weiterhin in den Diensten der Lucards bleiben wollte, gab es noch zwei realistische Möglichkeiten. Naja, eigentlich nur eine, denn um in die Dienerschaft von Rovas mittlerem Bruder Vicco zu kommen, fehlten mir eindeutig die Brüste. Davon abgesehen ging mir das Messer in der Tasche auf, wenn ich sah, wie dieser Patriarch mit Frauen umsprang. Das war einfach nur abstoßend. Beim Ältesten hingegen, Saris Vater, konnte ich vorsprechen und mein Glück versuchen. Vielleicht würde ich mein Leben auf diese Weise wieder in den Griff kriegen, ohne ernsthaften Schaden davonzutragen, ... oder anzurichten. Zur größten Not gab es immer noch meine Familie und die Don Velas, die mich niemals zurückweisen würden.
Mit diesem Entschluss im Kopf stand ich auf und suchte die Räume der WG nach Pete ab. Er musste sich unbemerkt in der Nacht davongeschlichen haben, als ich endlich eingeschlafen war. Gar nicht gut, denn Rova würde sich nicht sonderlich erfreut darüber zeigen und mir die Schuld dafür geben. Vielleicht hatte ich damit sogar eine „Audienz" bei ihm gewonnen, doch das machte mir weniger Sorgen als Lyz' Sicherheit. Eilig machte ich mich auf den Weg zu den beiden.
Ich erreiche die alte Villa, die einer dringenden Renovierung an der Fassade bedurfte. An diesem Tag wurde sie von einer ganzen Schar kreischender Krähen belagert, die den Eindruck des Gemäuers nicht gerade verbesserten. Außer dem Wohnbereich im Obergeschoss hatten die Lucards, oder besser Rova, alles so belassen, wie es vor Einhundert Jahren war und nur kleine Reparaturen genehmigt. Der Garten war ebenfalls eine Katastrophe. Millionen oder vielleicht sogar Milliarden auf dem Konto, aber keinen Sinn für eine gepflegte Umgebung. Vielleicht brauchte dieser Mann einen Berater, der ihm so etwas sagte, ... mich zum Beispiel. Ein verrückter Gedanke, wo ich gerade zu ihm ging, um meine Kündigung einzureichen. Wäre Lyz nicht gewesen, hätte ich dieses Ziel wahrscheinlich irgendwann einmal erreichen können, doch dieser Traum rückte nun in unerreichbare Ferne.
Im Haus war es totenstill, was wohl bedeutete, dass das Dornröschen noch schlief. Das Dornröschen... dieser Vergleich gefiel mir. Sie war die Auserwählte des Prinzen und wurde immerzu in Watte gepackt wie ein richtiges Prinzesschen. Ich erwischte mich dabei, wie mir ein liebevolles Lächeln über die Lippen huschte. Dieselben Lippen, die sich nur einen Tag zuvor auf ihren blutenden Unterarm gepresst hatten. Sofort verkniff ich mir mein Schmunzeln wieder.
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Forced Fortune + Fortune Files [illustriert] ✔
VampireAbgeschlossen ~ Vampirromace ohne Schnulz, ohne Milchbubis, dafür mit Witz und Erotik. ~~*~~ Lieblos erzogen und von Selbstzweifeln geplagt, erhofft sich die angehende Studentin Lyz Selbstbestätigung bei einer Tätigkeit in einem dubiosen Lebenshilfe...