[Fortune Files] Eine Lektion für einen Diener

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Dafür, dass meine ständige Anwesenheit ihre Freiheiten ganz gewaltig beschnitt, ging es Lyz erstaunlich gut. So schätzte ich ihr Befinden jedenfalls ein. Dieses verkorkste Leben war aber auch alles, was ihr nach dem Unfall mit Sari noch geblieben war und sie machte das Beste draus. Oder aber biss sie nur die Zähne zusammen und ergab sich ihrem Schicksal, das sie als Strafe für ihr Vergehen ansah? Auch das war ihr zuzutrauen, denn ohne rosarote Brille, ganz nüchtern betrachtet, musste es schrecklich sein, von mir immer und überallhin verfolgt zu werden.

Obwohl ich sie nicht richtig einschätzen konnte, stellte sich schnell so etwas Ähnliches wie Alltag ein. Sogar ihre Beschwerden über mich nahmen ab. Das letzte Mal lag schon ein paar Tage zurück, als sie von einer Gruppe Mädchen gefragt wurde, ob sie mit ihnen ins Hallenbad kommen wolle. Sie warf mir einen scheuen Blick zu, den ich mit einem amüsierten Lächeln beantwortete. Sie im Bikini zu sehen, war schließlich nicht die schlechteste Vorstellung, aber genau das war sicher ihr Problem an der Sache. Zugegeben war ich über ihre Ablehnung tierisch enttäuscht, gerade da das eine willkommene Abwechslung für uns beide gewesen wäre.

Mit ziemlicher Sicherheit war ich auch der Grund, aus dem sie kein einziges Hobby außerhalb ihrer vier Wände ausübte. Wenn wir keinen Unterricht hatten, kamen wir nur nach draußen, wenn sie einkaufen ging. Ich brauchte fast nichts, ein paar Hygieneartikel, nichts weiter, also lief ich meist einfach nur neben ihr her durch den Laden und trug ihr dann ihre Beutel voller Süßigkeiten nach Hause. Zu kochen schien sie nicht mehr, nun, wo sie es nicht mehr musste.

„Wenn du nichts brauchst, kannst du auch draußen warten!",

fuhr sie mich nach etwa zwei Wochen mitten im Supermarkt an. Da ich nicht auf sie einging, stampfte sie mit dem Fuß auf den Boden und stolzierte in Richtung der Kühlregale davon. Sie hetzte wie immer in wenigen Minuten durch die Halle, schmiss sich nur das Nötigste in den Korb und rettete sich dann zur Kasse. Aller Wahrscheinlichkeit nach brauchte sie irgendwelchen Mädchenkram, für den sie sich vor mir schämte. War schon niedlich, das trotzige Prinzesschen.

Möglicherweise wollte sie sich das gleiche Recht erstreiten, das sie auch in der Mittagspause an der Hochschule zu haben glaubte. Kein einziges Mal war ich mit ihr in die Mensa gegangen, weil ich ja nichts essen konnte, doch sie missverstand das eventuell als Auszeit. Für mich war es leider keine, denn meinem Auftrag entsprechend, beobachtete ich sie durch die großen Fenster und belauschte ihre wenigen Gespräche mit Hilfe einer Wanze. Da war nur ein ganz schmaler Grat zwischen meiner detektivischen Arbeit und einem gemeinen Stalker, denn wirklich schlimm fand ich die Aufgabe nicht.

Nur selten gesellte sich jemand zu Lyz an den Tisch und wenn doch, entstand kein Gespräch, das über Smalltalk hinausging. Mehr hätte ich ohnehin nicht zugelassen. Hin und wieder traf sie sich zum Essen mit dem Austauschstudenten, den ihr Rova vermittelt hatte. Mit ihm kam sie besser zurecht, aber er war unbedenklich. Alleine in der Mensa, im Hörsaal und sogar, wenn sie mit mir auf dem Campus unterwegs war, sah ich interessiere Blicke auf ihr ruhen. Allerdings hatte sich, in immer größer werdenden Kreisen, herumgesprochen, dass ich mir jeden zur Brust nahm, der es wagte, meiner Freundin Gesellschaft zu leisten. Bestimmt glaubte Lyz, es läge an ihr, was sie mir immer näherbrachte. Das war eine hundsgemeine Taktik, die aber unschlagbar gut funktionierte.

Als kleinen Trost gestand ich ihr zu, das Konzept der Mittagspause auch fürs Einkaufen übernehmen zu dürfen. Zwar sah ich nicht mehr WAS sie kaufte, sondern hörte sie nur noch durch die Wanze, aber das sollte schon klar gehen, so unauffällig wie sie sich bisher verhalten hatte.

Die Reichweite der Wanze war nicht besonders hoch, deshalb musste ich tatsächlich vor dem Supermarkt auf Lyz warten, genauso wie sie es vorgeschlagen hatte. Ihre Laune hob sich dadurch erheblich an. Das war schon ziemlich süß, aber auch ein wenig naiv von ihr. Rova hätte niemals zugelassen, dass sie auch nur einen Schritt allein machen dufte.

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