Kapitel 1.4 ~ Firea

14 1 0
                                    

~ Gute Sachen passieren, wenn man Fremden begegnet ~

Noch eine Woche bis zu den Winterferien. Noch fünf Tage bis zum Winterball. Noch zwei Tage, bis meine Freundin Cathrin von ihrer Studienreise aus Spanien wiederkommt. Und noch eine halbe Stunde Geschichte, bis ich nach Hause kann.
Nicht, dass ich mich freue im überfüllten Bus zu sitzen mit so vielen Menschen um mich herum, Einer genervter als der Andere.
Aber heute besucht Ella mich, zumindest wenn alles glatt läuft. Glücklicherweise sind Komplikationen bisher sehr selten gewesen.
Während ich die Uhr anstarre, die weitaus interessanter ist, als die Dokumentation über die Zeit der Hexenverfolgung hier in Irland, spiele ich mit den leichten Wellen meiner Haare. Sie sind, egal wie ich sie trage, selbst nach fünf Jahren ungewohnt. Wie sehr ich meine Flügel, meine Locken und mein Feuer doch vermisse, dass ständig in meiner Brust anstelle eines fleischigen Herzens lodert.
Anders als die Menschen bestehen unsere Körper aus Magie in ihren verschiedensten Formen. Durch meine Venen fließt kochendes Blut, wie Magma in einem Vulkan. Meine Lebensflamme brennt lichterloh und versorgt meinen Körper mit Energie. Und meine Magie, die ich in jeder Faser meines Ichs spüre, pulsiert wie ein ewiges, sanftes und beruhigendes Beben durch meine Glieder und erwärmt mich während dieser grauenhaften Kälte des Dezembers.
Das Läuten der Schulklingel reißt mich in die Realität zurück. Noch bevor sie verstummt ist, bin ich aus dem Zimmer raus.
Ich rede mit niemandem, sehe keinen an. Nicht, dass ich zu den Unbeliebten gehöre. Meine gesamte Stufe versteht sich alles in allem relativ gut untereinander. So etwas wie diese klischeehaften Cliquen von bösen Zicken, Bad Boys und Nerds findet man hier wohl kaum.
Doch nur, weil die meisten nett und freundlich sind, heißt es nicht, dass ich ihnen traue. Nicht einmal meiner sogenannten besten Freundin würde ich mein Leben anvertrauen. Jeder kann sich jederzeit als mein Feind herausstellen.
Doch was klischeehaft ist, sind diese Busse, mit denen niemand fahren will. Nicht nur muffig, sondern auch besonders eng und klein sind sie ungemütlicher als so manche Steinhöhle.
Ich ergattere mir noch einen freien Platz am Fenster. Die Tasche schmeiße ich achtlos vor mir auf die Füße und kuschele mich mehr in den Wollschal, als vorher schon. Erst als ich aus den Augenwinkeln bemerke, wie sich eine weitere Person neben mich setzt, wende ich meinen Blick vom Schulgelände ab.
Groß, schlacksig, mit schwarzen Locken und einer Brille auf der Nase schaut mich Erik Wilson an. Der mysteriöse Kerl mit dem klügsten Kopf und den tief blauen Augen, aus dem keiner so wirklich schlau wird. Und den ich geflissentlich meide.
"Ich hoffe das stört dich nicht."
Während ich eine Augenbraue hochhebe, versuche ich undurchschaubar zu wirken.
"Das fragst du mich, nachdem du dich gesetzt hast?"
Ich hätte schwören können, dass sein einer Mundwinkel kurz gezuckt hat. Aber ganz gleich, was ich versuche, ich weiß dennoch nicht, was er denkt. Und das ängstigt mich auf eine Art und Weise. Wie soll ich mich sonst fühlen, wenn ich nichts über ihn weiß? Wenn ich nicht weiß, was er fühlt, wie er denkt?
"Dich hat noch niemand gefragt."
Noch dazu spricht er gerne in Rätseln.
Als ich nicht antworte, dreht er sich zu mir um und blickt direkt in mein ratloses Gesicht.
"Der Ball. Dich hat noch niemand gefragt, ob du ihn begleitest. Oder zumindest hast du alle abgewiesen, ehe sie es versuchen konnten."
So gerne ich ihn jetzt auch abweisen würde, muss ich alles langsamer und offener angehen. Niemand, weder er, noch die Leute, die unser Gespräch belauschen, dürfen stutzig werden. Ich muss mich wie ein normaler, menschlicher Teenager verhalten.
"Naja, wahrscheinlich weil ich einfach Cathrin treu bleibe. Sie hat ja auch noch niemanden."
Schulterzuckend warte ich seine Reaktion ab. Er nickt langsam, als würde er verstehen, doch ein Blick in seine Augen verraten mir, dass er mir nicht glaubt.
"Hatte Troy sie nicht gefragt?"
Mist, jetzt bin ich aufgeflogen.
"Du hast doch wohl nicht Angst mit mir dort gesehen zu werden, oder noch schlimmer, Angst vor mir?"
Ich schaue den Stoff des Sitzes vor mir an, der langsam abblättert, statt ihm zu antworten.
"Nun, dann werte ich das als Zustimmung zu meiner Einladung."
Er flüstert mittlerweile nur noch, aber wir sind uns so nahe, dass ich es, trotz des Geredes der Leute und des Brummen des Motors im Hintergrund, höre und verstehe. Ich habe nicht bemerkt, dass der Bus schon fährt. Gleichzeitig hoffe ich meine Haltestelle nicht zu verpassen.
Meine Entrüstung muss ihm tatsächlich gefallen, denn er lächelt leicht.
"Ich - ", doch mehr kann ich nicht sagen. Ich bin sprachlos.
Nach einem kurzen Kopfschütteln habe ich mich jedoch wieder gefasst und versuche normal zu klingen.
"Wir könnten uns ja auch einfach in der Bibliothek zum Lernen treffen, wenn du Zeit mit mir verbringen willst. Dann würde ich vielleicht einmal gut in Biologie abschneiden" , murmle ich mehr zu mir selbst, während ich mich zurückziehe.
"Ich hätte Zeit" , schießt es prompt aus seinem Mund. "Zumindest wenn du es als Gegenzug für die Begleitung zum Ball siehst."
"Warum so interessiert? Und das vor allem so plötzlich."
Ich kann mich gerade noch davon abhalten, ihm zu sagen, dass er sich eigenartig verhält und gefälligst verschwinden soll. Das Letzte, das ich brauche, ist jemand der mir auf die Pelle rückt und meinem Geheimnis zu nahe kommt. Erst Recht dann, wenn dieser Jemand selbst Geheimnisse hat.
"Nun ja, jetzt belagert dich deine Freundin ja mal ausnahmsweise nicht. Zu deinem Pech bist du noch dazu die einzig irgendwie interessante Person, die den Abend zumindest nicht todlangweilig werden lässt. Vermutlich würde ich dich auch nicht fragen, wenn mir David nicht sonst das Leben zur Hölle macht, weil ich Büchern Menschen vorziehe."
Es ist schwer zu sagen, ob das mehr Kompliment oder mehr Beleidigung sein soll. Bevor mein Unterbewusstsein sich darüber weiter den Kopf zerbricht, stiehlt sich ein leichtes Schmunzeln in mein Gesicht.
"Tja, also gehörst du offiziell auch zu den Opfern Davids?"
Bisher dachte ich, er würde nur mich nicht ausstehen können. Dass noch jemand dieses Schicksal teilt... Es beruhigt mich, da ich mir nun sicher sein kann, dass es nichts mit meiner Magie zu tun hat.
Ein Laut, der etwas von einem Lachen, gleichzeitig aber auch einem Schnauben hatte, entfährt ihm.
"Kann man so sagen."
Damit ist das kurze Gespräch vorbei, denn an der nächsten Haltestelle muss ich aussteigen. Deswegen stehe ich langsam auf.
Sofort fange ich an zu frösteln, als mir die kalte Luft entgegenschlägt und mir für einen Moment den Atem raubt. Nicht lange und jeder meiner Muskeln im Gesicht ist trotz des dicken Schals eingefroren und schmerzt schlimmer als so manche Messerstiche es könnten. Ich habe selbst das Gefühl, dass meine Zähne während dem Klappern frieren.
Glücklicherweise ist mein Weg nach Hause nicht sonderlich weit, auch wenn es am Rande des Ortes ist. Mit zügigen Schritten nähere ich mich dem kleinen Häuschen, das unscheinbar hinter einem großen Laubbaum hervorlugt. Es ist ziemlich friedlich.
Im Sommer sind meine Nachbarn Mrs. Thomson und Mrs. Rellington, die sich gegenüber wohnen, immer draußen in ihren Garten und tratschen miteinander. Beide sind sehr liebenswürdig und offenherzig, leider aber auch ein wenig schwerhörig und dement. Dennoch freue ich mich, dass Ella mich hierher einziehen lassen hat. Wie oft haben sie mich zu sich eingeladen diesen Sommer und mich zum Lachen gebracht. Jeden Tag, wenn ich sie sehe, bete ich, dass die Lakaien Dragoreons die Finger von ihnen lassen.
Doch heute leuchten nur Lichter hinter ihrer Vorhängen, so wie hinter meinen. Doch ich hätte schwören können, dass ich sie heute morgen ausgemacht habe.
Ich öffne meinen Mantel und meine Hand legt sich auf den Griff eines kleinen Dolches. Nicht, dass ich besonders gut im Umgang mit dieser Waffe wäre. Doch besser ist es allemal, als ungeschützt hinein zu stürmen.
Vorbei am Gartentor nähere ich mich langsam den Stufen, darauf bedacht, dass Fremde weder meine Waffe noch meinen angespannten Körper sehen. Plötzlich ertönt ein Klopfen aus dem Inneren an der Tür. Der bestimmte Rhythmus beruhigt mich und ich erwidere es. Augenblicklich öffnet sich die Tür und eine lächelnde Frau lässt mich eintreten.
Drinnen begrüßen sie und die angenehme Wärme des Kamins mich.
"Noch einige Sekunden und ich hätte wahrscheinlich die Tür eingetreten" , scherze ich.
Ein warmes Lachen vertreibt die Anspannung, die sich in mir aufgetan hat. Nach einer kurzen Umarmung, entledige ich mich der Jacke, Schuhe, Mütze, Schal und Handschuhe, in denen ich mich morgens immer einwickle.
"Ich habe dir eine Tasse Tee gemacht und etwas Nudeln gekocht."
Mitten beim Aufhängen meines Schals halte ich inne.
"Kein Training heute?"
Das sieht Ella unüblich. Irgendetwas muss passiert sein.
Sie streicht sich eine Strähne, die sich aus der kunstvollen Frisur gestohlen hat, hinters Ohr und schiebt mich zum Esstisch.
Ich habe nicht bemerkt, wie hungrig ich bin und schiebe genüsslich eine Gabel voll Spaghetti in meinem Mund.
"Was ist passiert?" , frage ich zwischen zwei Bissen und sehe erwartungsvoll zu ihr. Sie weiß, dass ich so schnell nicht kleingeben werde.
Seufzend lässt sie sich neben mich auf einen Stuhl fallen.
"Ich schätze, ich habe dir mehr zu erzählen, als ich Zeit habe."

Elementris (wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt