Kapitel 1.7 ~ Freez

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~ Vergebung bedeutet nicht, dass du akzeptierst, was jemand getan hat. Es bedeutet, dass das, was passiert ist, dich nicht mehr kontrolliert ~

Virus' Finger gleiten schneller über die Bildschirme, als meine Augen mitverfolgen können. Teknos Schwester ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, dass sie Zwillinge sein könnten. Wären da nicht die grünen Augen, die sie zu einer Technologie- und Pflanzenfee macht, einer Unbestimmten. Noch dazu ist er ein Jahr älter und deswegen auch von seinem Vater zum General ernannt worden.
"Nichts" , verkündet sie, während ihr Blick fest auf den Bildschirm gerichtet ist. Seit Stunden verbringt sie ihre Zeit damit diese Firea aufzuspüren, die unentdeckt bleiben will.
"in den Stufen unter Eurer ist nicht eine Fee. Ich muss los. Gleich beginnt die Schule."
Ohne ein weiteres Wort rauscht sie aus dem Raum um sich nach Asien zu teleportieren. Tekno hat ihr irgendeine Mission dort an einer Universität aufgetragen, dennoch hilft sie uns bei unserem Problem in ihrer Freizeit, vor allem weil wir seit Stunden beschlossen haben jede Person in unserer Schule unter die Lupe zu nehmen. Aber bisher ohne Erfolg.
Gleichzeitig mit ihrem Verlassen taucht Tekno auf und kommt in sein Arbeitszimmer. Kurz verständigen sie sich über Augenkontakt, bevor Beide ihre Wege gehen. Sie scheint ihm mitzuteilen, dass sie nicht fündig geworden ist, seinem stählernen Gesichtsausdruck nach zu urteilen.
"Tja, sieht so aus, als hätten wir ein Problem."
"Und ich ein Date. Hast du Aurora gesehen?"
Ich schaue ihn verblüfft an und frage mich mehrmals, ob ich richtig gehört habe.
"Ein Date? Mit wem? Und warum brauchst du Hilfe von Aurora?"
Letzteres kann ich nicht ohne Abneigung in der Stimme aussprechen. Die Liebesfee scheint auf den ersten Blick eine liebe Oma zu sein, aber sie erscheint mir sehr suspekt. Immer ist sie so ekelhaft freundlich, gut gelaunt, und nervt mich ständig, in dem sie fragt wie es mir geht. Als würde das jemanden Fremden etwas angehen. Außerdem schwafelt sie immer etwas davon, dass die Liebe ständig über all den Hass auf der Welt siegt. Wie oft wollte ich sie schon anschnauzen, dass ich sehr wohl existiere als Fee des Hasses. Könnte sich mein Innerstes übergeben, würde es das tun.
"Winterball. Ich habe Fiona gefragt. Cathrin fehlt des öfteren in der Schule und ich will der Sache auf den Grund gehen. Aber da sie schon verabredet ist, versuche ich mein Glück bei ihrer besten Freundin."
Vielleicht sollte ich fragen, wie er Fiona zum Reden bringt ohne aufzufallen. Oder wie er sich die Geschichte mit dem 'Date' vorstellt. Aber stattdessen erscheint mir einen andere Frage dringlicher: "Und warum Aurora? Lovy ist eine Liebeselementriss und sie-"
"Da ist das Problem."
Seufzend fährt er sich übers Gesicht. Sein Tag war wohl anstrengender als ich dachte.
"Hör zu, Aurora ist in so etwas einfach erfahrener, auch wenn du sie nicht ausstehen kannst."
Er lehnt sich mit vor der Brust verschränkten Armen an die Wand und mahlt mit dem Kiefer.
"Ich habe Fiona als Begleitung zum Winterball eingeladen. Vielleicht komme ich so an Cathrin ran. Sie fehlt auch des Öfteren, was möglicherweise daran liegt, dass sie sich gedeckt halten oder ihre Verletzungen heilen lassen muss."
Als ich wenig überzeugt eine Augenbraue hochziehe, fährt er fort.
"Fiona fehlt ebenfalls öfters, aber glaubt man den Schuldaten, dann liegt das an ihren Eltern, die viel Reisen. Momentan wohnt Fiona zwar hier, doch ihre Eltern sind im ganzen Land unterwegs. Und manchmal begleitet sie sie eben. Was Cathrins Daten angeht...scheinbar leidet sie unter einer seltenen Immunkrankheit, will aber vermutlich noch etwas an Normalität in ihrem Alltag haben. Denn eigentlich dürfte sie nicht so oft raus, wie sie es tut, und muss sich vor größeren Menschenmengen fernhalten."
"Und die Schule erlaubt so etwas einfach? In beiden Fällen."
Schulterzuckend beendet er die Unterhaltung. Er schenkt seinen Worten ebenfalls keinen Glauben.
"So oder so finde ich etwas über Fiona und Cathrin heraus, also muss ich Aurora finden. Und du kannst mir da wohl nicht weiterhelfen."
Auch er dreht sich zur Tür um, bleibt aber kurz im Rahmen stehen.
"Vielleicht solltest du mit deiner Mutter reden. Nicht über Firea, aber... Ich hätte euch nicht gegeneinander auflehnen dürfen, da hattest du Recht."
Jetzt bin ich alleine, doch in meinem Kopf geht zu viel vor, als dass ich mich alleine darum kümmern kann.
Das letzte Mal, als ich in unserer kleinen Wohnung gewesen bin, ist sie vor mir weggeflogen. Nicht aus Wut oder Hass, was man erwarten würde. Vielmehr aus Angst. Und das, obwohl sie die Macht des Feuers beherrscht und sich von diesem Gefühl nicht leiten lassen sollte. Meinetwegen tut sie es aber.
Ich atme tief durch und dann nochmal und nochmal. Nach dem vierten Mal öffnet sich die Tür von innen.
"Wenn du schon vor der Tür stehen bleibst, dann schnauf bitte nicht wie ein Ochse, okay?"
Feurig rote Augen lächeln mich amüsiert an und ich kann nicht anders, als es zu erwidern, wenn auch etwas zaghafter.
"Was soll ich denn sonst machen, damit du mir die Tür öffnest? Heulen wie ein Wolf? Kratzen wie eine Katze? Oder doch lieber tröten wie ein Elefant?"
Augenrollend höre ich sie "Einfach nur klopfen" , murmeln, während sie zur Seite geht. Kaum schließt sich die Tür, nimmt ihr Ton allerdings an Strenge zu. Und als ich mich umdrehe, sind ihre beiden Arme in die Hüfte gestemmt. Kein gutes Zeichen.
"Wenn du wieder hier bist, um mich mit Teknos Fragen zu durchlöchern, vergiss es. Er soll gefälligst selbst kommen, wenn er etwas von mir will, anstatt eure 'Freundschaft' auszunutzen."
Sie betont das vorletzte Wort mit mehr Abschaum, als es der Wahrheit entspricht. Beschwichtigend hebe ich sie Arme hoch.
"Keine Sorge, ich komme ich Frieden."
Kaum zu glauben, dass ich das wirklich zu meiner eigenen Mutter sagen muss.
"Du... Vielleicht war es nicht unbedingt richtig" , fange ich langsam an während ich jeden einzelnen ihrer Gesichtsmuskeln studiere. Ihre eine Augenbraue hebt sich.
"Okay, es war ganz und gar nicht richtig."
Die Frau weiß leider nur zu gut, wie sie mich dazu bringt Dinge zu sagen, die sie hören will.
"Ich... Naja, es war ein kleines- Nein, großes, sehr großes, Missverständnis" , stammele ich vor mich hin.
"Mom, du weißt ich kann so etwas nicht, warum belassen wir es nicht einfach bei ein, zwei Scherzen und dem Versprechen, dass ich Tekno nicht bei dem Firea-Problem helfen werde. Zumindest hab ich ihm das so weisgemacht."
Entweder sie ist erstaunt, oder sie ist meinen Worten gegenüber skeptisch. Ich habe keinerlei Ahnung von Emotionen lesen, so viel ist sicher.
"Du hast mit ihm schon darüber geredet? Was hat er dazu gesagt?"
"Naja, er hat mich ermutigt mit dir zu reden" , erkläre ich, während ich unsicher meinen Hinterkopf kratze.
Innerlich hoffe ich, dass sie viel zu sehr damit beschäftigt ist und meine 'Entschuldigung' ohne Weiteres hinnimmt. Ich hasse Entschuldigungen, vor allem, wenn sie von mir kommen müssen.
Sie nickt jedoch nur, ohne ein Wort zu sagen und setzt sich auf einen Metallstuhl. Holz in der Nähe einer Feuerfee ist auch nicht die cleverste Wahl.
"Gehst du auf den Winterball?" , ergreift sie plötzlich das Wort. Dass sie genau dieses Thema anspricht, lässt mich kurz sprachlos dastehen, bevor ich nicke.
"Cherry hat mich gefragt."
Seufzend sieht sie mich mit diesem 'Ich-sage-nichts-aber-such-dir-eine-Bessere-Blick' an.
"Ich weiß immer noch nicht, was du an ihr findest."
"Gar nichts, wenn es dich beruhigt."
Mir entgeht ihr leichtes Zusammenzucken bei meinem harschen Tonfall nicht. Vielleicht ist es falsch mit einem Mädchen zusammen zu sein, obwohl man von ihr ständig nur genervt ist und ihr mehr als nur einmal eine Schneekugel ins Gesicht jagen will. Vielleicht, aber auch nur ganz vielleicht, sollte sie sich wie jede Andere verhalten und nur im Geheimen von mir schwärmen, statt sich mir förmlich an den Hals zu werfen.
Mom seufzt wieder - dieses Mal klingt sie verzweifelt - sagt aber nichts weiter dazu.
"Dein Vater hat seinen Anzug für dich hinterlassen."
Sie verschwindt für eine Weile im Zimmer, bis ich denke, dass sie mich vergessen hat.
Zurück kommt sie mit einem Traum von Stoff. Vom Schnitt her ist der Anzug schlicht gehalten. Was ihn so besonders macht, ist der Glanz, der vom fast schon weißen Stoff ausgeht. Auch die Abertausenden von silbernen Kristalliten, Blumen, die Lilien ähneln, tun ihr übriges.
"Geschneidert aus feinstem Azur aus Piacere und mit Schneestaub aus Aisu verfeinert."
Azur ist ein sehr hochwertiges Material, mit dem die Stadt des Regenbogens Piacere großen Handel treibt. Die nur dort wachsende Pflanze ist überall beliebt und damit fast der einzige Grund für Piaceres Wohlstand. Anders ergeht es meiner Heimatstadt Aisu, die für ihre Handwerkskunst bekannt ist. Wie sollte es sonst auch anders sein, schließlich liegt die Stadt inmitten einer Eiswüste ohne jegliche Vegetation.
"Wow"
Ich kann mich nicht daran erinnern, wie ich aufgestanden und zu meiner Mutter gelaufen bin, aber der Stoff fühlt sich einzigartig und unbeschreiblich gut an. Es ist weicher als jede Wolle, glatter als jede Seide und bequemer als jedes andere Material, das ich kenne.
"Nicht wahr?"
Ich schiele zwar nur kurz zu ihr hinüber, doch dieser Bruchteil einer Sekunde reicht aus um zu wissen, dass sie ihren Gedanken nachhängt. Gedanken an meinen Vater. Was würde er sagen, wenn er hier wäre? Was würde er tun, wie würde er mich ansehen?
Von einem Moment auf den Nächsten vermisse ich ihn. Nicht auf die Art, wie man einen Vater vermissen sollte, aber ich vermisse ihn.
"Hier"
Sie wuselt ein wenig herum und hält mir schließlich das Jackette hin. Vorsichtig, als wäre das Kleidungsstück aus Glas, schäle ich mich hinein und atme mit jedem Atemzug tief den Geruch ein. Nur leider riecht es nicht mehr nach ihm.
Mom bekommt davon nichts mit, dazu ist sie zu beschäftigt damit hier und da herumzuzupfen.
"Es reicht langsam" , erkläre ich ihr amüsiert.
Dennoch zufrieden legt sie mir beide Hände auf die Schulter und sieht mich an.
"Es passt perfekt. Sehr perfekt sogar. Du siehst aus wie er."
Ich nehme sie behutsam in den Arm. Mom, die kleiner ist als ich, lächelt an meiner Schulter.
Schon als ich einige Monate alt gewesen bin, ist klar gewesen, dass ich mehr nach meinem Vater komme. Ich habe nicht nur seine Augen, Haarfarbe und Nase, ich trage auch das Eis in meinem Herzen.
"Bald sehen wir ihn."
Ich hoffe, dass sie Recht behält. Denn drei Monate sind einfach zu lange für uns alle ohne ihn. Allen voran für Mom, die sich Sorgen für uns alle macht.
Und Schuld daran ist bloß Teknos verstorbener Vater. Eine Technologiefee. Ein Mec.

Elementris (wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt