Kapitel 1.15 ~ Freez

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~ Das Mädchen, über das ich so viel gehört habe ~

In einem Moment noch hat geißendes Licht den Wald erfüllt, im Nächsten liegt die Feuerfee schlaff in Teknos Armen.
"Was zur Hölle war das?" , frage ich, nicht nur außer mir. Nein, ich bin zugegebenermaßen auch verängstigt. Denn das, was ich gesehen habe, das was ich sehe... Dazu sollte keine Fee in der Lage sein.
Das ehemalige Waldstück, wie es vor mir liegt, hat nichts mit dem Rest des Waldes zu tun, den ich in der Ferne sehe. Trockene Erde ersteckt sich in einem Radius von über dreißig Metern von uns entfernt. Der schneebedeckte Boden ist verdunstet und liegt als leichter Nebel in der kalten Dezemberluft. Die großen Bäume um uns sind nicht umgefallen, als mehr von der Wucht des Angriffs durch die Gegend geschleudert und in Tausende Teile zerstückelt worden. Nichts ist ganz geblieben, nichts wurde verschont. Das größte Stück eines Baumes, das ich entdecke, ist Rinde, so groß, wie meine Faust. Vereinzelt liegen kleine Überreste von Ästen, Wurzeln und Rinde um uns herum, doch das meiste ist...Staub. Nichts als Staub. Ich will mir nicht vorstellen, was mit Tekno und mir passiert wäre, hätte sie uns nicht in eine Schutzbarriere gesteckt. Was auch immer es war, es hätte Dragoreon getötet. Wenn ich nicht eben gesehen hätte, wie er mit einem Ächzen durch ein Portal verschwunden ist, nur wenige Millisekunden bevor das blendende Licht alles eingenommen hat.
Anstatt eine Antwort zu erlangen, hebt mein Freund die Fee in seinen Armen behutsam hoch. Ihre roten Locken bedecken ihr friedliches Gesicht, auf dem es trotz des harten Kampfes nur der ein oder andere Kratzer geschafft hat. Doch nichts war so ernst, wie ihre Bewusstlosigkeit. Es brauchte viel, damit eine Fee das Bewusstsein verlor. Und noch mehr, um so blass zu sein, wie unsere Feuerfeen hier.
"Ella" , ist das Einzige, das Tekno sagt. Doch mehr braucht es nicht, damit ich verstehe. Meine Mutter ist nicht nur eine Feuerfee, die ihr helfen kann, sondern vermutlich auch die Einzige, der Firea zuhören wird. Falls wir es mit Firea zu tun haben und nicht einer anderen Fee, die stärker ist als alles, das ich bisher kenne. Allerdings scheint sie bisher tatsächlich diejenige zu sein, die es am ehesten schaffen könnte Dragoreon umzubringen. Falls ich mich nicht zufällig irre und er doch schon tot ist.
"Sie wird dich umbringen" , murmle ich leise, wohlwissend, dass Tekno das auch gehört hat. Und meine Worte schon wieder unbeantwortet lässt. Seine Konzentration ist voll und ganz auf das Mädchen in seinen Armen gerichtet. Allerdings hat er sich ohnehin nie von Ella beirren lassen, hat ihr nie weiter Beachtung geschenkt als nötig. Umgekehrt ist das aber nie anders gewesen. Und all das nur, weil Teknos Vater scheinbar etwas unverzeihliches getan hat und sie ihn in meinem Freund wiedererkennt. Wenn ich nur wüsste, was Serv Mec getan hat.
Ich öffne ein Portal zu unserem Haus hier auf der Erde. Nicht das größte, doch bequem genug für uns drei. Mom, Jay und mich. Das hellblaue Licht führt uns zu unserem Esszimmer, das an das Wohnzimmer angrenzt, aus dem gedämpft Stimmen zu uns hervordringen. Die sofort verstummen. Heimlich einzubrechen ist bei dem sechsten Sinn der Feen nahezu unmöglich. Und so wissen auch Jay und Mom, dass wir hier sind. Oder zumindest, dass jemand hier ist. Bevor sie aber ihre Waffen gegen uns erheben können, schalte ich schnell das Licht ein. Gerade rechtzeitig, denn schon stürmen sie die Tür. Und bleiben gleich darauf abrupt stehen. Schock, Unglauben und Sorge sprechen aus ihren Gesichtern. Selbst ich kann förmlich spüren, wie sehr es in ihren Köpfen rattert und arbeitet.
"Was-" , setzt mein Bruder an, doch kommt nicht weit, da unterbricht Tekno ihn.
"Sie braucht Hilfe."
Ohne eine Antwort abzuwarten, legt er die Feuerfee auf den Esstisch ab.
"Firea" , erkennt Ella sie und bahnt sich sofort einen Weg zu ihr. Uns Andere ignorierend. Tekno ist nicht anders, wie ich bei einem Seitenblick bemerke. Er scheint ganz in Gedanken versunken zu sein, sein Kiefer mahlt, wie immer, wenn er angestrengt über etwas sehr ernstes nachdenkt.
Wieder sehe ich zu meiner Mutter, die Firea umsorgt, wie ihre eigene Tochter. Als würde sie ihr so viel bedeuten, wie ihr eigenes Leben. Zu gerne würde ich schnauben, doch selbst mir ist klar, dass das mehr als unangebracht wäre. Vielleicht, wenn die Elementris wieder wach ist. Teknos Hand schiebt mich sanft nach hinten. Ohne die leiseste Widerrede tu ich, was er will und entferne mich einen Schritt von dem zur Krankenliege umfunktionierten Esstisch. Gerade rechtzeitig, denn Mom lässt durch ihre mit Fireas verschränkte Hand Wärme und Kraft in den fast leblosen Körper strömen. Jede einzelne Ader, jede Vene, jedes Blutgefäß beginnt wie flüssige Lava zu glühen. Die Wege, die Moms Feuer durch Fireas ganzen Körper nehmen, werden sichtbar und tauchen den Raum in ein warmes Licht. Von den beiden geht eine so große Hitze aus, dass ich mich wie im Backofen fühle. Trotzdem halte ich still. Leide und warte, obwohl es mich in den Fingern juckt mein Shirt auszuziehen. Bleibe stark, auch wenn ich die Feuer allein schon für das ganze Drama hier hasse.  Warum hat sie denn auch umkippen müssen? Warum hat sie nicht unsere Hilfe angenommen? Zu dritt hätten wir Dragoreon sicher genauso aufhalten können. Aber nein, sie hat unbedingt die Heldin spielen wollen. Teknos leichter Seitenhieb, den ich mit einem finsteren Blick quittiere, zeigt mir, dass ich doch wütend schnauben musste. Ohne einen weiteren Mucks von mir zu geben, starre ich auf den Esstisch, auf die Beine, auf den alten Holzboden...
Nicht lange später und Ella zieht ihre Magie und ihre Hand weg. Fast zeitgleich zucken Fireas Augen, bevor sie sie vorsichtig öffnet. Ein leises Stöhnen entkommt ihren Lippen, bevor sich ihre halboffenen Augen wieder schließen.
"Jay, bleib bei ihr. Ich will mir anhören, was genau passiert ist" , bittet sie meinen Zwilling. Dieser nickte und stellte sich gleich neben Firea hin. Indes fordert Ella uns beide auf ihr zu folgen. Tekno lässt mir dabei den Vortritt. An seiner Stelle würde ich genauso sehr hinten laufen, mehr Abstand zu meiner Mutter aufbauen. Kaum dass die Tür hinter Tekno zu fällt, dreht sich Mom auch schon sofort zu uns um. Ich erkenne die Erschöpfung, die ihr ins Gesicht geschrieben steht. Wie viel von ihrer Energie hat sie gebraucht, um Firea zu stärken? Dennoch lässt sie es sich nicht nehmen, Tekno Todesblicke zuzuwerfen, als wäre dieser Schuld an all dem. Und nicht die Feuer selbst.
"Ich will jedes noch so kleine Detail hören, von dem, was passiert ist. Jedes einzelne, verstanden? Und jetzt rede" , befiehlt sie. Als wäre sie der General und nicht Tekno. Erst nach unser beider Nicken setzt sie sich auf das Sofa und wartet gespannt. Spätestens jetzt wird mir klar, wie erschöpft sie sein muss, wenn sie sich kaum mehr auf den Beinen halten kann. Doch sie ist stark, stärker als ich. Ihre strenge Miene wackelt nicht, sie wird nicht so leicht nachgeben. Und Feuerfeen waren allgemein für ihre Sturheit bekannt.
Ich mustere sie, zugegebenermaßen besorgt, während ich Tekno das Reden überlasse.
"Ich hatte sie als Begleitung ausgewählt, doch ich schätze, das wusstest du bereits."
Sie nickt. Ich nicht.
"Fiona ist Firea? Nicht Cathrin?" , frage ich verwirrt nach. Allerdings erscheint das im Nachhinein logischer. Schließlich können wir beide uns schon seit der ersten Sekunde an nicht ausstehen, was an der Geschichte mit dem Feuer und dem Eis liegen muss. Wir haben beide nicht gewusst, was der Andere gewesen ist, die Magie hatten wir beide versteckt gehalten und doch haben unsere Urinstinkte es herausgefunden. Uns versucht zu warnen.
Ohne sich von mir ablenken zu lassen, fährt Tekno genauso sachlich wie auch schon zuvor fort.
"Ich habe die Anwesenheit von Dragoreons Anhängern spüren können und wollte Fiona, von der ich bis zu dem Zeitpunkt dachte sie wäre ein Mensch, rechtzeitig wegbringen. Doch sie haben uns überwältigt. Mit Freez' Hilfe habe ich die Elementfeen ausschalten können. Bis Dragoreon auftauchte. Zumindest nannte Firea ihn so, wie du weißt hatte bisher noch niemand meiner Leute das Vergnügen mit ihm. Firea schien zu ahnen, dass wir zu zweit gegen ihn nicht ankommen konnten und hat sich ihm alleine gestellt. Und dann..."
Er stockt kurz, als würde er nicht wissen, wie er sich ausdrücken sollte.
"Licht. Mit einem Mal war da nichts, als pures, reines Licht. Erst schien es, als wäre sie in einem Strudel aus den Elementen gefangen, ihre Augen waren wie zwei brennende Sonnen, bevor ich nur noch weiß sehen konnte."
Tekno verstummt. Er weiß nicht weiter. Er, der große Tekno, der alles weiß, das intelligenteste Wesen aller Welten, weiß nicht, was das vorhin gewesen sein soll. Und so schweigt er. Wie auch ich. Und genauso wie er schaue ich abwartend zu meiner Mutter. Die nicht so wirkt, als wäre sie allzu überrascht. Gerade will ich meinen Mund öffnen, um nachzuhaken, da scheint sie meine Gedanken gelesen zu haben und beginnt von sich aus zu erzählen. Seufzend steht sie auf und geht durch den Raum ans Fenster, um zum Mond hinauf zu sehen.
"Ich hatte dich gewarnt Tekno. Ich sagte dir bereits, dass du verglichen mit ihr kein Elementris bist. Sie ist stark. Stärker als jede andere Fee. Ich wage sogar zu behaupten stärker als Dragoreon selbst. Und würde sich dieser Feigling nicht ständig wegteleportieren, kaum dass Firea den Angriff loslässt, wäre er sicherlich schon tot."
Das bezweifle ich. Firea mag zwar stark sein, doch irgendetwas an der Geschichte scheint mir faul. Wieso ist sie die Einzige, die das kann, noch dazu in so jungem Alter? Ich kenne genug ältere Elementris, die nie ein Wort über so einen Angriffszauber verloren haben. Ich äußere meine Bedenken aber nicht. Tekno wird sicher noch mehr davon haben und auf jede einzelne Frage eine Antwort suchen. Und hoffentlich auch finden.
"Ich weiß nicht, sie hat mir schon oft versucht zu erklären, wie das geht. Aber Shone war nie in der Lage diesen Erklärungen zu folgen und-"
"Shone wusste davon?" , frage ich verwirrt und gleichzeitig auch misstrauisch. Was hatte der Lichtelementris mit meiner Mutter und Firea zu schaffen? Vielleicht bin ich auch ein wenig eifersüchtig. Wen hat Ella sonst noch alles in ihr Firea-Geheimnis eingeweiht, nur nicht ihren eigenen Sohn? Auch wenn ich mich dagegen sträube, kann ich nicht anders als mich von meiner Wut leiten zu lassen. Als zuzulassen, dass sich meine Gefühle verselbstständigen und dort Hass säen, wo keiner hingehört. Ich will meine Mutter und Jay nicht hassen. Ich will es wirklich nicht. Doch sie geben mir genug Gründe dafür es zu tun, allen voran das Gefühl nicht genug zu sein. Das Gefühl verraten worden zu sein.
Auch wenn sich Ella ein Seufzen unterdrückt, so kenne ich meine Mutter doch gut genug, um zu wissen, was sie kurz davor war zu tun.
"Freez, du weißt ganz genau, dass das nicht an dir liegt. Würdest du nicht so viel Zeit mit ihm verbringen, wäre die ganze Geheimnistuerei gar nicht nötig gewesen."
Sie hat mir nie erzählt, was sie gegen die Mecs hat. Nur, dass es an Teknos Vater, Serv, gelegen hat. Und sie in meinem Freund seinen Vater sieht, nicht die Person, die er geworden ist. Eine Person, die so ganz anders als Serv ist.
"Du könntest ja damit anfangen mir zumindest zu erklären, wieso du den Mecs nicht traust" , fordere ich schärfer als beabsichtigt. Ihre Lippen sind zu einem dünnen Strich zusammen gepresst. Nein, sie würde nicht ein Wort darüber verlieren, das weiß ich. Und das macht mich rasend.
"Nicht hier, nicht jetzt. Ich-"
"Ich habe das Ganze so verdammt satt! Wieso sagst du mir nicht ein einziges verdammtes mal die Wahrheit, wenn ich sie von dir verlange? Was bist du für eine Mutter, die ihrem Sohn nicht vertraut? Die ihm einfach alles vorenthält, ihn anlügt und ihn wie einen Feind behandelt? Ich bin nicht dein Feind, ich bin genauso sehr wie Jay dein Sohn! Und wenn du mich weiterhin nicht wie Einer behandeln willst, dann gerne! Mach was du willst, aber erwarte von mir nichts, wie Loyalität oder Ehrlichkeit. Wenn du mir nicht traust, traue ich dir noch weniger. Und solange du mit mir redest, wag es nicht mich deinen Sohn zu nennen!"
Es ist mir egal, ob die Raumtemperatur gesunken ist. Es ist mir egal, ob sich um meine geballte Faust eine Eisschicht gebildet hat, die sich langsam meinen Arm hinaufzieht. Es ist mir egal, was die Anderen gerade denken. Auch, als ich durch die Haustür in die angenehme Kälte flüchte. Sie hüllt mich ein, gibt mir Halt und ist da, wenn diejenigen, die mir am nächsten sind, es schon nicht tun. Die Kälte ist um mich, ist in mir und wird immer ein Teil von mir sein. Ein Teil, der immer bleiben wird, der mich nie im Stich lässt. Der mein Herz nicht wie ein Hagel aus Dolchen zerfetzt, sondern die Einzelteile zusammenfügt. Das Eis in mir, die Kälte, die verhindert, dass ich liebe... Sie rettet mich, bewahrt mich vor Schmerzen, gegen die es kein Heilmittel gibt.

Doch genau das ist passiert. Trotz allem kann ich meine Mutter nicht hassen, egal wie verzweifelt ich es versuche, egal wie sehr ich es will. Ich liebe sie. Ich liebe sie so verdammt sehr, dass ich bei dem Gedanken daran, dass sie mir nicht traut, keine Luft mehr bekomme. Ich kann nicht atmen, kann nicht denken, kann nicht laufen, kann nichts tun.

Ein verzweifelter Laut entkommt meiner Kehle, als ich wutentbrannt auf das nächstbeste neben mir einschlage. Eine Wand einer Holzhütte. Ich bin mitten im Wald. Schon wieder. Bei dem Aufprall meiner Faust zersplittert nicht nur das Holz und fliegt in alle Richtungen. Hellblaue Strahlen ziehen sich von der Aufprallmitte bis zum Rand der Wand entlang. Alles vereist. Ein seltsam beruhigender Anblick. Wie eine aufgemalte, blaue Sonne, die ihren Platz auf der nun kaputten Wand gefunden hat.

Elementris (wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt