Als ich wieder aufwachte, war es noch ganz still im Zimmer. Ich setzte mich leise auf und versuchte, in der Dunkelheit irgendetwas zu erkennen, aber es war sozusagen unmöglich. Elly hatte gestern Abend noch die Rollläden runtergelassen, deshalb war es stockdunkel in unserem Zimmer.
Im fahlen Schein meines Handylichts erkannte ich, dass meine beste Freundin noch schlief -und zwar eingekuschelt in eine von Samus Decken. Ich stand auf und da es erst 6 Uhr morgens war, schlich ich in Jogginghose und T-Shirt raus auf den Flur. Ich war gerade auf dem Weg ins Bad, da kam mir Samu entgegen -und -Oh mein Gott!- er war sozusagen halb nackt! Er war oben ohne, trug nur eine Boxershorts und sein blondes Haar stand verwuschelt in alle Richtungen ab.
Er hatte mich noch nicht bemerkt und so blieb mir noch ein bisschen Zeit, um ihn genauer zu mustern. Seine Tattoos sahen wundervoll aus und... "Oh, hi." sagte er mit seiner rauen Morgenstimme, als er mich sah. "So früh schon auf?" Ich nickte nur; irgendwie schüchterte er mich so nur noch mehr ein wie sonst schon immer! War es ihm nicht irgendwie peinlich, hier nur in Boxershorts vor einem 17-jährigen Teenager zu stehen?! Offenbar nicht, denn Samu hatte die Ruhe weg und offen gesagt könnte ich mich an diesen Anblick locker gewöhnen. "Ich geh' mir mal schnell was anziehen." meinte er endlich grinsend und nickte mir zu. Ich lächelte zögernd zurück und ging langsam ins Badezimmer, wo mir als erstes auffiel, wie schrecklich meine Haare aussahen.
Nachdem ich sie mit Unmengen von Haarspray halbwegs gebändigt und fertig geduscht hatte, gesellte ich mich zu Samu nach unten. Mittlerweile war er vollständig angezogen und lümmelte auf dem Sofa herum. Seufzend ließ ich mich ihm gegenüber in einen Sessel fallen und schloss die Augen.
"Dann geh' ich wohl mal Elly wecken..." murmelte Samu vor sich hin und ich war mir nicht mal sicher, ob er das überhaupt zu mir sagte oder eher zu sich selbst.
Jedenfalls stapfte er die Treppe nach oben und blieb ziemlich lange weg, bevor er mit einer verschlafenen Elly im Schlepptau wieder runter kam.
"Was machen wir heute?" fragte meine beste Freundin den Finnen, der sich gerade daran machte, den Frühstückstisch zu decken. "Ich habe eine Überraschung für euch." grinste der nur frech und räumte seelenruhig weiter die Sachen auf den Tisch. Egal was Elly und ich auch sagten, aus dem sonst so mitteilsamen Samu war nichts mehr rauszubekommen. Schließlich gaben wir auf und nach dem Frühstück scheuchte unser Gastgeber uns nach draußen zu seinem Auto. Er bot uns wieder die Rücksitze an und Elly stieg sofort ein. Ehe ich ihr folgte, überlegte ich nochmal, wo es hingehen könnte, aber ich hatte echt keine Ahnung, mit was Samu uns überraschen könnte.
Samu gab Gas und heizte durch Helsinkis morgendliche Straßen. Schon bald ließen wir die Stadt hinter uns und Finnlands atemberaubende Landschaft empfing uns. Es gab dichte Nadelwälder, aber auch weite Flächen und wir kamen an einigen Seen vorbei. Ein dichter Nebel hing über dem Wasser und gab dem Ganzen ein gespenstisches Aussehen.
Je mehr wir uns von der Hauptstadt entfernten, desto weniger Autos teilten sich mit uns die Straße und bald war es keine Seltenheit mehr, zehn Minuten lang keine anderen Menschen zu sehen. Wenn weit und breit kein anderes Fahrzeug in Sicht war, beschleunigte Samu auf höhere Geschwindigkeiten, aber trotzdem zog sich die Fahrt ziemlich hin.
Nach einer gefühlten Ewigkeit bog Samu auf einen schmalen Waldweg ab. Bald waren wir von hohen, dichtstehenden Nadelbäumen umgeben und es ruckelte ziemlich auf dem unebenen Weg. Wir kamen nur noch langsam voran, aber dann endlich machte Samu den Motor aus und stieg aus. Wir folgten ihm gespannt um den Wagen herum und als er den Kofferraum öffnete, kamen viele Dinge zum Vorschein: ein großer Picknickkorb, eine noch größere Picknickdecke, Handtücher und ein Sonnenschirm. Jetzt nahm jeder etwas von dem Zeug und Samu stapfte uns voran, mitten in den Wald hinein.