Erste Auswirkungen

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Ich habe dich gewarnt. Vielleicht hast du an dieser Stelle geschmunzelt oder es kam dir einfach sehr albern vor. Du hast meine Erklärung über die Idee entweder nicht in ganzem Umfang kapiert oder wahrgenommen. Nur so viel ist sicher: Da ist etwas ins Rollen geraten und ich weiß nicht, ob ich es aufhalten kann.

Ich will es dir erzählen (Naja, "wollen" ist in diesem Kontext eine Sache der Perspektive):

Ich saß an meinem Schreibtisch. Mein Schreibtisch ist gleichzeitig auch Ablege-Fläche für Alles. Das Buch, das ich noch immer ausgeliehen hatte, obwohl ich es schon ausgelesen hatte und auch mein Handy lagen darauf (Und noch einiges mehr). Ich habe mal gehört, das Handy auf seinem Schreibtisch liegen zu haben, sei schädlich für die Effizienz, Stichwort Ablenkung und so, aber in diesem Moment war ich nicht abgelenkt, denn ich schrieb eben diesen Text, den du gerade liest.

Ich war gerade dabei mir die Details dieses Buches bewusst zu machen. Das Genre ist "Fantasy". Warum das so ist, wusste ich selbst noch nicht, aber das Buch wusste es und ich musste mich damit zufrieden geben. Hinsichtlich der Zeitform, ist dieses Buch nicht ganz einheitlich. Das kommt daher, dass ich manchmal das beschreibe, was ich gerade erlebe, die meiste Zeit aber nicht am Computer sitzen und schreiben kann, sondern das erlebte rückblickend aufschreibe, wie bei einem Tagebuch. Als mir das bewusst wurde, kam mir ein seltsamer Gedanke: Ist das hier ein Tagebuch? Schließlich gibt es auch Autoren, die ihr Tagebuch veröffentlichen. Doch schnell wurde mir bewusst, dass das Genre "Fantasy" diesen Sachverhalt unmöglich machen sollte. Wie genau die Merkmale dieses Genres sich in diesem Buch bemerkbar machen sollten, war mir zwar nicht ganz klar, denn bisher schrieb ich ja nur über Erlebtes und Gedanken meinerseits, doch ich war froh, nicht gerade dabei zu sein, ein Tagebuch zu schreiben, dass jeder Gewillte mitlesen konnte.

Als Interpretet eines Buches wird man des Öfteren gewarnt, man solle den Erzähler nicht mit dem Autor verwechseln. Dies ist eine weitere Besonderheit dieses Buches: Ich bin der Autor. Ich bemerkte während meiner Analyse meines Buches, das ich angefangen hatte, das dieses gegen sämtliche Normen des "epischen" Textes verstieß (Das Buch zählt zu dieser Textform).

Schließlich überlegte ich noch, welche Erzählperspektive dieses Buch hatte. Zugleich tadelte ich mich dafür, da es ja ganz offensichtlich war, dass ich bisher alles als "Ich-Erzähler" geschrieben hatte. Doch nach einem Blick auf die alternativen Erzählperspektiven, fiel mir auf, dass die "auktoriale" einige Vorteile bringen würden. Das ist die Erzählperspektive, bei der der Erzähler allwissend ist. Da ich über mein eigenes Leben schrieb, hätte ich die Möglichkeit, schon vor dem Erlebnis zu wissen, was auf mich zukam. Eine berauschende Vorstellung. Doch konnte ich den bisher geschriebenen Text einfach umändern, bezüglich der Perspektive? Mein Instinkt sagte mir, dass das kein guter Einfall war. Aber ich spürte ebenso, dass mein Instinkt von der Idee beeinflusst wurde. Das Buch verbot es mir also, es dahingehend umzuschreiben. Schade, dachte ich, dies wäre meine Chance gewesen, dieses Buch zu meinem Vorteil zu nutzen.

Plötzlich kam mir ein neuer Gedanke und ich wusste sofort, dass er von der Idee eingeleitet wurde. Ich hatte schon gegen den Standard eines Buches verstoßen, warum also nicht noch mehr Ordnung innerhalb des Buches zerstören. Ich beschloss gleichzeitig Ich- und auktorialer Erzähler zu sein. Ich würde also weiter aus meiner Sicht schreiben, doch gleichzeitig wüsste ich alles, zumindest solange das Buch mich nicht einschränkte. Und ich wusste, dass das Buch mich einschränken musste, da ich ja sonst schon den Buch-Verlauf wüsste und das sicherlich nicht im Interesse des Buches lag.

Da ich mich nun zum auktorialen Erzähler ernannt habe, weiß ich schon jetzt von einem Teil der Folgen, die die Ausweitung der Idee hat. Und sie sind äußerst beunruhigend. Eigentlich hättest du sie schon kommen sehen können, denn ich habe dir die nötigen Informationen dazu gegeben. Die Idee entsprang aus meinem Kopf und will nun an Macht gewinnen. Ich selbst liebe Fantasy und das beeinflusst leider auch meine Idee. Sie hat innerhalb dieses Buches unbegrenzte Möglichkeiten und das führt unweigerlich zu einem großen Problem. Zwar glaubst du, du wärst in dieser realen Welt in Sicherheit und dadurch, dass du Fantasie und Realität voneinander trennst kann die Fantasie nicht in deine Realität vordringen. Doch du irrst, denn die Fantasie hat die Möglichkeit, die Realität ganz einfach in sich zu schlucken. Sie nimmt die Realität in sich auf und kann anschließend nach Belieben in sie eingreifen und sie verändern.

Das wird heute zunächst zu meinem eigenen Problem, denn ich habe in einem Buch, das Spuren von Fantasy enthalten wird, von mir selbst geschrieben. Aber fühle dich nicht sicher, denn ich habe - wenn auch nicht allzu viel - gleichfalls von dir geschrieben. Damit habe ich auch dich in Gefahr gebracht. Du bist nun ein Teil dieser Geschichte.

Es war schon spät als es anfing. Ich war gerade fertig, das hier zu schreiben und wollte nun zu Bett gehen. Die Idee hatte meine ganze Zeit für sich eingenommen und mich gezwungen zu schreiben. Ich legte mich schlafen und wartete, denn ich wusste was bald passieren würde. Zugegebenerweise lag ein gewisser Reiz in der ganzen Sache, denn schließlich würde die Fantasie, die bisher in meinem Kopf eingesperrt war, in mein Leben eingreifen und dieses verändern. Obwohl ich ein auktorialer Erzähler bin, hat die Idee mir verboten, weiter als bis zu diesem Zeitpunkt in die Zukunft zu schauen, denn erst dadurch behält sie ihre Spontanität und somit auch ihre Flexibilität.

Eigentlich war das auch gut so, denn ich ahnte nichts Gutes für meine eigene Zukunft, die im Genre Fantasy beschrieben wurde. Ein kleiner Hoffnungsschimmer war, dass die Idee mich brauchte, um sich in Buchform zu bringen, doch das ließe sich in gar nicht mal so langer Zeit bewerkstelligen, denn ich könnte ja einfach schon die Zukunft beschreiben, ohne diese bereits zu erleben. Sobald das vollbracht war, könnte meine Idee mit mir machen, was sie wollte und sie würde meine eigene Fantasie dafür benutzen. Wie bereits gesagt, ich glaube, das Buch ist ein absoluter Psychopath.

Ich lag also in meinem Bett und wartete auf eine Figur, die ich mir eigentlich für ein anderes Buch ausgedacht hatte. Ich weiß nicht, was das für eine Art von Humor sein sollte, aber ich würde wohl von dieser Figur in einen neuen, mir bisher unbekannten Teil meines Lebens eingeweiht werden. Langsam wurde ich schläfrig und als ich schließlich die Augen nicht mehr offen halten konnte, war mir plötzlich klar, dass ich mich geirrt hatte. Das Buch hatte mir nur eine begrenzte Sicht auf die Zukunft gestattet und so dachte ich, der Elf, der bisher noch keinen Namen hatte, da ich ihm noch keinen gegeben hatte, würde einfach so in mein Zimmer spazieren, oder vielleicht auch durchs Fenster kommen. Im Nachhinein muss ich zugeben, dass das eine naive Vorstellung, über die Einmischung der Fantasie in die Realität war.

Der Preis der FantasieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt