Leere Welt

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Ich stand auf einer grünen Wiese. Das Gras reichte mir bis über die Fußknöchel . Das Moos auf der Erde, machte das Stehen mit meinen nackten Füßen äußerst angenehm. Scheinbar schien das Moos eine Koexistenz mit dem Gras zu führen und ich wünschte mir, alle Wiesen wären derart behaglich. Es fehlten nur noch ein paar Bäume mit Früchten aller Art und ein seichter Bach, um die Umgebung zur absoluten Idylle zu vervollständigen. Doch stattdessen gab es nur endloses Flachland, dem offenen Meer gleich, ganz ohne die kleinste Unebenheit oder Unregelmäßigkeit, nur eben in grün.

Erst als ich mich bereits ein paar Mal um die eigene Achse gedreht hatte, sah ich die Silhouette am Horizont. Winzig klein, aber nach einer Weile Konzentration nur auf diesen Punkt, als Mensch identifizierbar. Und er kam auf mich zu. Da ich noch eine Weile auf ihn warten musste, begann ich meine Sinneseindrücke vollständig zu verarbeiten. Als erstes viel mir auf: Es war absolut still. Hast du schon einmal bemerkt, dass es keine pure Stille gibt. Immer dann, wenn man das Gefühl hat, es sei gerade überhaupt Nichts zu hören und man genauer in die vermeintliche Stille hineinhört, hört man doch ein Rauschen oder etwas noch Unangenehmeres und man wünscht sich, nicht so genau hingehört zu haben, denn nun bekommt man den Rauschton nicht mehr aus dem Ohr. Doch hier war es anders. Auch nachdem ich eine Weile der Stille gelauscht hatte, wurde sie nicht verdrängt.

Das Gras roch nicht und das war fast noch erstaunlicher als die absolute Stille. Ich liebe den Geruch von Gras, er gibt mir das Gefühl mitten in der Natur zu stehen und das wiederum gibt mir das Gefühl von Freiheit. Am intensivsten riecht das Gras wenn es gerade geregnet hatte, doch Wolken waren keine am Himmel. Der Himmel war pur blau. Nachdem ich in den Himmel geschaut hatte, hatte ich das Gefühl, dass etwas nicht richtig war (abgesehen von all den anderen Dingen die genauso wenig richtig waren). Nach erneutem Starren in das große Blau, bemerkte ich den Fehler: Obwohl das Gras und auch der Himmel in den prächtigen Farben, wie in einem Gemälde, mich geradezu anstrahlten, war keine Sonne zu sehen. Sie existierte einfach nicht, wurde mir plötzlich bewusst und in diesem Moment hörte ich auch auf, es aktiv wahrzunehmen. Stattdessen legte ich mich auf die Erde um das Gras noch einmal genauer zu beschnüffeln. Doch es roch nicht, genauso wenig, wie die Erde oder das Moos.

Plötzlich verdunkelte sich das Graß, das ich während meiner Untersuchung inspizierte. Ich hatte den Mensch ganz vergessen, der, vor kurzem erst nur als Silhouette zu erkennen, nun über mir stand und schwarze Stiefel trug, die das Graß vor mir unter sich begruben. Schnell stand ich auf und wischte den Dreck, der auf meiner Kleidung verblieben war mit ein paar hektischen Handbewegungen weg. Als ich schließlich in das Gesicht des Fremden blickte, fiel mir schnell auf, das es sich nicht um einen Mensch, sondern um einen Elf handelte, denn er hatte spitze Ohren und auch das Kinn war außergewöhnlich spitz. Seine Wangenknochen traten klar hervor. Seine Augen waren Smaragdgrün und seine strohblonden Haare standen senkrecht nach oben. Eine Frisur , wie sie nur Elfen tragen können. Ansonsten hatte er aber die Größe eines gewöhnlichen Menschen, nur die Statur war um einiges muskulöser, als das beim Durchschnittsmenschen der Fall war.

Nachdem ich mich noch über seine grüne Kleidung vergewissert hatte, fand ich mich in meiner Ansicht bestätigt, dass dies der komplette Norm-Elf war. Ich kannte diesen Elf. Er war in meiner Fantasie entstanden und wuchs in einer Welt auf, die ich in Gedanken kreiert hatte. Nachdem ich die Anwesenheit eines Elfen genauso wie das Fehlen der Sonne ohne weiteres akzeptierte, fragte ich ihn: "Wer bist du?" Erst antwortete er nicht, doch dann sagte er: "Ich habe keinen Namen, schließlich hast du mir nie einen gegeben."

Ich fühlte mich sofort schlecht. Es stimmte, ich war unglaublich schlecht darin, mir Namen für Figuren auszudenken, die in meinem Kopf entstanden und so tat ich es auch nicht, obwohl das eigentlich unbedingt dazugehört, wenn man eine vollwertige Person durch Gedankenkraft entstehen lassen will.

"Ich weiß deinen Namen", sagte er dann und grinste. "Doch ich werde ihn nicht sagen, da du unser Gespräch deinem Leser detailgetreu nacherzählen wirst und keine Lust hast, deinen richtigen Namen zu nennen. Doch das tut auch nichts zur Sache, denn du hast längst erkannt wer ich bin. Ich bin ein Vorbote für etwas viel Größeres, das du dir bisher noch nicht vorstellen kannst." Er machte eine Pause. Jetzt erst erinnerte mich an meine Visionen des Vortages als auktorialer Autor, mein Gedächtnis hatte mir diese Erinnerung bis zu diesem Zeitpunkt verweigert, genauso wie die Erinnerung an Details der Realität in Träumen oft verdrängt wird.

"Ich weiß, dass du mich eigentlich erwartet hattest, als du im Bett lagst und kurz vor dem Einschlafen warst. Doch dann ist dir dein Irrtum aufgefallen. Die Idee breitet sich langsam und unaufhaltsam aus, noch riskiert sie keinen so offensichtlichen Bruch der Realität. Einen Traum von dir zu beeinflussen, ist um einiges einfacher. Dabei wird es zwar nicht verbleiben, das verspreche ich dir, doch das Nötigste können wir auch schon hier und jetzt besprechen."

Mich packte die Angst. Diese Fantasiefigur kannte meine Gedanken und das bedeutete, die Idee war so stark mit ihnen verbunden, dass sie diese lesen konnte. Ich musste mich ablenken. "Was ist das für eine Welt, warum ist sie so leer, warum ist sie ohne Geruch und erzeugt keinen Ton, außer deiner Stimme?", fragte ich und war ziemlich interessiert an der Antwort, denn auch wenn das hier -wie mir der Elf soeben offenbart hatte- ein Traum war, so war es doch gewöhnlich nicht mein Stil, von einer unendlichen Wiese zu träumen.

Der Elf antwortete prompt: "Es ist die Idee. Noch hat sie keinen Inhalt, nur einen Grund. Ich bin der Anfang und nach und nach wird sich diese Welt füllen, doch ich kann dir nicht sagen, ob es dann noch ungefährlich für dich wäre, hier zu stehen."

Eine dunkle Vorahnung überkam mich. "Du hast vorhin angedeutet, nicht immer in meinen Träumen zu bleiben, da sich die Idee immer größere Realitätsbrüche erlauben kann", gab ich das wieder, was ich dem zuvor Gesagten entnommen hatte und der Elf nickte. "Gilt das auch für den Rest dieser Welt, wird auch sie aus meinen Gedanken in die Realität ausbrechen?"

Der Elf bedachte mich nun mit einem traurigen Blick und sagte dann: "Du hast etwas begonnen, von dem du dachtest, du hättest es unter Kontrolle und deshalb hast du keinen Einhalt geboten, bevor es zu spät war. Ich fürchte, dir bleiben nicht mehr viele Möglichkeiten, mit den Konsequenzen umzugehen. Doch bedenke, dass die Idee deine war. Sie ist nicht dein Feind, wenn du sie dir nicht zum Feind machst. Bemerkst du denn deine Chancen nicht? Ich bin ein Geschöpf, das du erschaffen hast. Die Realität ist langweilig und deshalb hast du eine Welt erschaffen in die du fliehen kannst. Das Buch, zu dem sich die Idee nun entwickelt hat, wird damit beginnen, Dinge die du bereits entworfen hast, für sich zu nutzen. Es ist das einfachste, bereits in Gedanken existierende Geschöpfe, Pflanzen und Gesetze in die Realität einzubinden."

Bei dem Wort 'Gesetze' schreckte ich zusammen. Das war schlecht, ganz schlecht. Lass es mich erklären: Ein Drache der in so manchen Leserköpfen schon schwebt, kann in der Realität eigentlich nicht fliegen. Doch was passiert, wenn unvollständig ausgearbeitete Physikgesetze zu Realität würden, die dazu gedacht sind, Drachen das fliegen zu ermöglichen und in der nächsten, viel dramatischeren Stufe, Magie möglich zu machen. Mein Herz klopfte unregelmäßig und das System in meinem Kopf, das sonst meine Gedanken sortierte, fiel aus. Doch um ehrlich zu sein, waren da außer Angst, Stress und anderen negativen Gefühlen auch positive, die sich langsam entwickelten. Fantasy wurde zu Realität. Beschloss man hartnäckig, jegliche Vernunft zu verbannen, lies sich diesem Gedanken einiges Gute abgewinnen. Und, wie der Elf mir erklärt hatte, würde ich besonders viel Einfluss auf diese Einmischung der Fantasie in die reale Welt haben. Das war absolut berauschend und von all dem Chaos, das nun in meinem Kopf herrschte, tat mein Kopf weh. Ich wachte auf.

Der Preis der FantasieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt