Mein Nachbar schaute mich seltsam an. "Nein ich lese überhaupt nicht", beantwortete er meine Frage schließlich bestimmt, "und falls Sie auf die Idee gekommen sein sollten, ein Buch zu schreiben, werde ich es nicht lesen, wir kennen uns ja kaum." Er zündete sich eine Zigarrete an.
Ich musste schmunzeln. Ja, ich hatte angefangen, ein Buch zu schreiben, aber darauf bezog sich meine Frage nicht.
"Aber sie schauen doch sicher Fantasy-filme?", versuchte ich es erneut und wusste nicht, was ich tun würde, falls das nicht zutreffen würde.
"Naja, das ein oder andere hab ich schon gesehen", brummte er, "zum Beispiel dieses 'Herr der Ringe', mit den Zwergen und Orks und all das." Gelangweilt zog er an seiner Sterbensmethode der Wahl.
"Und mit den Elben", stellte ich fest und bemerkte erfreut, dass ich der Wahrheit näher kam.
Mein Nachbar lies den Rauch aus Mund und Nase gleichzeitig aus seiner Lunge. "Mmh, ja stimmt. Keine Ahnung, was sich der Autor da gedacht hat. Er hat einfach die Elfen 'Elben' genannt. Ich find' das echt unangebracht, wie würden Sie sich den fühlen, wenn irgendein Elf Ihre Spezies Memchen oder ähnlich nennen würde", ärgerte er sich, hatte aber gleich darauf wieder eine freundliche Visage, während er erneut an der Zigarette in seinen faltigen Händen zog.
"Ja, das wäre echt seltsam", kommentierte ich, doch meine Gedanken rasten in meinem Kopf, als gelte der Gedanke als Gewinner, der mich als erstes wahnsinnig gemacht hätte. Die Elfen waren Realität? Dabei war mein Elf doch der einzige, der auf dieser Welt lebte, oder etwa nicht? Ich war nicht mehr in der Lage, das Gespräch weiter zu führen und wollte schon das Haus meines Nachbars verlassen, als ich plötzlich wusste, dass sich sein Eindruck von mir gerade beträchtlich geändert hatte. Vor allem fand er es ziemlich unhöflich von mir, ohne ein Wort der Verabschiedung wieder zu gehen, nach einem so gewöhnlichen Gespräch.
"Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag, Herr Nachbar", verabschiedete ich mich dann doch noch, während ich ihm schon den Rücken gezeigt hatte und davon lief, um die nächsten Rauchwolke nicht mehr an dem Gestank meiner Kleidung teilhaben zu haben. "Ihnen auch", sagte mein Nachbar, doch er wunderte sich ganz schön über mich und fand sich in seiner Theorie bestätigt, dass alle Menschen etwas seltsames an sich hätten.
Ich war ein auktorialer Erzähler und plötzlich wurde mir das Ausmaß dieses Titels wieder bewusst. Ich wusste -mit ein paar Einschränkungen seitens des Buches- alles. In einer Welt, die zu einer Fantasy-Welt wurde, war ich ein Magier mit einer ganz speziellen Fähigkeit: Ich war der Autor der Fantasygeschichte. Doch gleichzeitig war ich ein Charakter und noch dazu die Hauptperson. Wie egoistisch, wie egozentrisch.
Dabei ist doch irgendwie jeder die Hauptfigur in seinem Leben. Eine Geschichte, die man aktiv in der Ich-Perspektive erlebte. Nur dass es normalerweise keine Fantasygeschichte war. Schließlich war das doch die Definition des Genres Fantasy: Es musste sich in grundsätzlichen Dingen unnatürlich von der eigenen Geschichte -das Leben- unterscheiden.
Als ich gerade wieder in mein Haus gehen wollte, sah ich im Augenwinkel etwas kleines an mir vorbei fliegen. Als ich genauer hinschaute, sah ich, dass es eine Fee war, die aus meinem Garten kam und zu einem mir unbekannten Ort flog. Also kamen die Feen manchmal hier vorbei um irgendwas zu erledigen. Oder hatten sie hier sowas wie einen Stammsitz und ich hatte es noch nicht bemerkt? Mir viel meine Auktorialität (gibt es das Wort? Wenn nicht, ist das halt Neologismus) wieder ein.
Die Elfe war gespannt, was sie tun müsste. Bisher hatte sie nur die Herrin in diese Welt eingewiesen und ihr erklärt, was ihre Aufgabe wäre. Ihr Instinkt hatte ihr die Richtung vorgegeben und nun flog sie um die seltsamen steinernen Gebäude und lies sich überraschen, an welcher Stelle sie an ihr Werk gehen sollte. Den ersten Mensch hatte sie schon entdeckt, er schien das Wesen zu sein, von dem die Königin gesprochen hatte. Diese hatte zwar nicht sonderlich gut von ihm gesprochen, denn er hatte ihnen eine Existenz in seinem Kopf gegeben, ohne sie existieren zu lassen. So in etwa hatte ihre Königin das formuliert. Doch auch wenn die Feen ihrer Herrin bedingungslosen Gehorsam leisteten, fand die Elfe, dass ihre Herrin nicht offen genug gegenüber anderen Wesen war. Und dieser Mensch hatte ihr gesamtes Volk erschaffen. Ihrer Meinung nach, waren sie ihm alle zu großem Dank verpflichtet.
Das änderte natürlich nichts daran, dass diese Welt gehörig umgestaltet werden musste. So, dass alle Völker darauf Platz fanden. Diese Welt war soviel größer, als ihre alte Welt. Das würde dazu führen, dass man nie wieder Krieg führen müsste und jedes Volk für sich leben könnte. Die Elfe war so aufgeregt. Sie war einer derjenigen, die mithalfen, ihre neue Zukunft zu gestalten. alles würde besser werden, das war das was die Hoheit ihr versprochen hatte. Sie fühlte sich so lebendig. Auch wenn sie nie gewusst hatte, dass sie eine lückenhafte Existenz geführt hatte, so war das Gefühl, ab jetzt eine vollwertige Existenz zu führen überwältigend.
Mir war schwindelig. All das Wissen, all die Gedanken, die auf mich einprasselten waren zu viel. Es waren auch nicht nur zu viele Information, es waren auch schreckliche Informationen. Ich rannte in meinen Garten und lief auf direktem Weg auf die Grube zu, die ich gestern gegraben hatte. Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte Verdacht schöpfen sollen, als die Feen nicht zurück gekommen waren. Alles war schon viel zu weit fortgeschritten, während ich mir Gedanken darüber gemacht hatte, was die wahre Realität war.
Ich war noch nicht ganz an der Grube angekommen, als ich die nächste Fee schon davon fliegen sah, die wohl gerade von der Monarchin unterwiesen worden war. Misstrauisch schaute ich die Schwärze des tiefen Loches, das schon so viele Fantasiegeschöpfe hervorgebracht hatte. Da flog ein edles Babyhandgroßes Geschöpf und schaute mich herausfordernd an. Dies war die Fee, die mich gestern noch wütend am Ohr gezogen hatte. Ich hatte ihre Schönheit gar nicht bemerkt, da ich sie nur aus dem Augenwinkel beobachtet hatte. Sie hatte wie eine gewöhnliche Fee gewirkt(Sofern man eben Feen als gewöhnlich bezeichnen konnte).
"Da hab ich mir ja mal eine mächtige kleine Feindin gemacht", murmelte ich, seufzte und fuhr laut fort, "Warum habt ihr mich nicht in euren Plan eingeweiht?"
"War das eine ernste Frage?", fragte mich die Fee frech, "Wahrscheinlich hättest du das Loch einfach wieder zugeschüttet." Sie war tatsächlich blond, doch ihre zierliche Gestalt hatte ich nicht so elegant wahrgenommen, als sie auf meiner Schulter versucht hatte, das Gleichgewicht zu halten.
"Als ich den Elf das erste Mal getroffen habe, meinte er, ich könnte mit euch zusammen arbeiten, aber mir scheint, ihr macht alles hinter meinem Rücken!", ärgerte ich mich.
"Klar. Ich bin mir sicher, dass du dem Gedanken nicht sonderlich freundlich gesinnt wärst, morgen deine Welt komplett zu ändern, oder sehe ich das falsch?"
Ich packte sofort die Schaufel, die noch immer neben dem Erdhaufen steckte, den ich am vorigen Tag aufgehäuft hatte und wollte schon in den Hügel stechen. Doch die Fee unterbrach mich.
"Das bringt gar nichts. Es gibt schon mehrere solcher Stellen, aus denen Feen in diese Welt erlangen. Dort sind meine Stellvertreter, die genauso wie ich den Neulingen erklären, wie wir diese Welt auf die Umgestaltung vorbereiten. Ich bin nur deshalb hier geblieben, um dein Gesicht zu sehen, während ich dir das hier sage", klärte die Fee mich auf und streckte mir die Zunge heraus. Schnell zügelte ich mein Gesichtsausdruck, doch ich wusste dass es zu spät war. Ich hatte die Schaufel mutlos fallen gelassen und hatte die Fee verängstigt angestarrt. Letzteres wusste ich, da ich alle Gedanken der Fee kannte, in die ich Einblick haben wollte.
Angestrengt überlegte ich, ob ich die kommenden Veränderungen irgendwie aufhalten könnte. Gab es eine Möglichkeit, die ich bisher noch gar nicht in Betracht gezogen hatte? Zitternd ging ich schleichend zurück zum Haus. Mir viel einfach nichts ein.
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Der Preis der Fantasie
FantasyIch begehe einen schwerwiegenden Fehler: Ich schreibe dieses Buch. Ein Buch, in dem es um das Buch und seinen Autor geht, der sich einer Idee hingibt, die vorsieht, die Welt zu verändern. Einer Idee, die sich selbst in Buchform sehen will, um dadurc...