Ich zuckte zusammen. Das Zusammenzucken ist ein menschlicher Reflex und diese erweisen sich für gewöhnlich als etwas Nützliches in Situationen, in denen es wichtig ist, nicht erst über seine nächste Handlung nachdenken zu müssen. Doch das Zusammenzucken hat mir bisher noch in keiner Situation geholfen. Stattdessen erfreute sich schon so mancher Freund an diesem Reflex, wenn er mich erfolgreich erschreckt hatte, während mein Körper damit beschäftigt war, das Adrenalin, das mit einer beachtlichen Geschwindigkeit in meine Blutbahnen gelangt war, wieder abzubauen. Dieses Mal hatte ich einmal in meinem Leben das Gefühl, zu Recht zusammen gezuckt zu sein.
Die Grube gab eine unglaubliche Schar aus zehn Zentimeter großen, beflügelten, Elfen-ähnlichen Gestalten frei. Sie hatten die unterschiedlichsten Farben, nur die Flügel waren bei allen durchsichtig, wie bei vielen Insekten. Die Flügel hatten eine Form, wie man sie sonst bei Schmetterlingen sieht. Innerhalb weniger Sekunden hatte der gesamte Schwarm sich um mich versammelt, und schien nun fliegend meinen Körper zu vermessen. Als ich sie wie lästige Insekten mit der Hand verscheuchte, zeigte sich auf ihren kleinen Gesichtern Empörung. Anscheinend schienen sie eine solche Behandlung nicht für angebracht anzusehen.
Ich murmelte eine Entschuldigung, immer noch damit beschäftigt, meinen Schreck zu verarbeiten. Einer dieser Winzlinge, ich glaube es war ein Weibchen, flog erst auf meine rechte Schulter, flog dann etwas hoch und zog an meinem Ohr um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie war federleicht, konnte aber ordentlich ziehen.
"Autsch", rief ich und dreht mein Ohr von ihr weg, wodurch ich sie im Augenwinkel sehen konnte. Unscharf wie ich sie sah, nahm ich nur wahr, dass sie blondes, langes Haar hatte und weiterhin mit den Flügeln schlug um auf meiner Schulter das Gleichgewicht zu halten. Der restliche Schwarm flog nun zusammen in einem Meter Entfernung vor meinem Gesicht. Der Elf schien völlig unbeeindruckt. Er hatte wohl eine so starke Verbindung zum Buch, das er des Buches nächste Handlungen immer schon kommen sah. Ganz abgesehen davon war er ein Elf und konnte sich nicht über andere Fantasiewesen wundern.
"Wir sind keine Fliegen, die man mit der Hand vertreiben kann", fing das Wesen unter meinem rechten Ohr an zu sprechen, doch ich unterbrach sie. "Warum seit ihr hier? Warum schickt das Buch euch in diese Welt, was könnt ihr schon ausrichten?"
"Was glaubst du, was das Buch vorhat? Dachtest du, es möchte die Menschheit ausrotten?", fragte die Blondine und ich schämte mich ein bisschen, denn genau das hatte ich gedacht. Das Buch wollte die Kontrolle über mich und zwang mich bestimmte Dinge zu tun. Das hatte dazu geführt, dass ich das schlechteste, was ich mir ausmalen konnte, über dieses Buch dachte. Ganz unberechtigt fand ich das auch nicht. "Man bist du naiv", schimpfte das Wesen weiter, "Was nützt denn ein Buch, wenn es keine Menschen gibt, die es lesen? Wie soll sich eine Idee verbreiten ohne die Fantasie der Menschen?"
Ich fühlte mich überrumpelt. Diesen Aspekt hatte ich bisher gar nicht bedacht. Aber was wollte das Buch sonst? Jede Idee will verändern. Konnte es sein, dass diese Idee nur das Beste für die Menschen wollte? Das Prinzip der Idee war schließlich, immer mehr Menschen für sich zu gewinnen. Konnte sie das nicht am besten, wenn sie möglichst menschenfreundlich war? Mit diesem Gedanken freundete ich mich schnell an. Mehr noch, ich begann langsam meine Befürchtungen abzuschütteln und mich sogar zu schämen, dir eingeredet zu haben, dieses Buch sei schlecht.
Interessiert beobachteten die Wesen, wie ich über die Worte nachdachte. "Im Übrigen fordern wir eine Entschuldigung", redete das Geschöpf meiner Fantasie auf meiner rechten Schulter nun zornig weiter, "dafür, dass du unserer Gattung immer noch keinen Namen gegeben hast. Du hast etwas erschaffen, einer Fee gleich, weigerst dich aber es Fee zu nennen, weil dir das zu kindlich klingt."
"Wollt ihr etwa Feen heißen?", wunderte ich mich. "Dann soll das so sein", sagte ich schulterzuckend, wobei die Fee von meiner Schulter fiel. Sie schnaubte. Ich beobachtete den Schwarm, während die Feen untereinander tuschelten. Vielleicht wussten sie selber nicht, was jetzt eigentlich zu tun sein, überlegte ich. Dann aber verteilte sich der Schwarm in alle Windes-Richtungen und schon bald sah ich die Feen nicht mehr. Ein mulmiges Gefühl überkam mich. Würden die Feen aufpassen, dass niemand sie sah oder war ihnen das egal? Ich fragte den Elf. Er war die ganze Zeit nur dagestanden und hatte unbeteiligt in die Runde geschaut, als ginge ihn das alles nichts an.
"Du denkst wohl, der Einbruch der Fantasie in diese Welt ließe sich vor deinen Mitmenschen verbergen, damit sie ihre heile, reale Welt behalten können", antwortete der Elf gelangweilt, "Das beweist nur, das du diesen Einbruch nicht verstanden hast. Die Fantasie ist nicht sowas wie ein Schädling in der Realität. Nein, sobald sie in diese eingebrochen ist, wird sie zur Realität und es gibt dann keine realere, mehr echte Realität. Vielmehr ist dein Gedächtnis ein Fremdkörper in dieser Realität, denn es hat die falsche Vorstellung von ihr."
Man lernt nie aus, dachte ich ärgerlich. Es störte mich, dass dieser Elf meine gesamte Vorstellung von der Wirklichkeit als falsch erklärte. Es war, als käme man aus der Schule und plötzlich sagt einem jemand, alles was du gelernt hattest, sei falsch und du warst zu dumm, diesen offensichtlichen Sachverhalt zu erkennen.
"Geh jetzt in dein Haus und schreib alles auf, was du erlebt hast" sagte der Elf in einem Befehlston, der mir überhaupt nicht gefiel, doch ich wusste, dass, würde ich mich weigern, die Idee in meinem Kopf mich zwingen würde. Also stapfte ich säuerlich davon, setzte mich an den PC und schreibe nun das hier.
Meine Welt wurde heute auf den Kopf gestellt. Auch wenn ich eigentlich keinen Grund habe, diesen Tag als schlecht abzustempeln, denn der Traum eines jeden Fantasy-Lesers ist dabei, sich zu erfüllen, lässt mein schlechtes Gewissen, darüber diese Wesen in unsere Welt entlassen zu haben, nicht nach. Der Elf ist gerade dabei, sich in der Wohnung einzurichten und schaut mir beim Schreiben immer wieder über die Schultern, was mich nervös macht. Draußen ist es dunkel geworden und die Feen sind noch immer nicht zurück. Was genau die eigentlich vorhaben, ist mir unklar. Ich werde mit dem Elf morgen mal ein ernstes Gespräch führen müssen und ihn auffordern, mir alles zu sagen, was meine Vorstellung über die Wahrheit erschüttern wird. Ich bin mir sicher von diesen Dingen hat er noch einige auf Lager, aber alle wird er mir wohl nicht anvertrauen. Dazu genießt er vermutlich die Momente zu sehr, in denen er mich als Dummkopf ohne Verstand darstellen kann.
Es klopft an der Tür. Vermutlich hat der Elf wieder eine Frage, bezüglich der Umräumung meines Hauses. Nur noch kurz einen Zettel schreiben für alle Fälle, dann kann ich für heute Schluss machen.
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Der Preis der Fantasie
FantasyIch begehe einen schwerwiegenden Fehler: Ich schreibe dieses Buch. Ein Buch, in dem es um das Buch und seinen Autor geht, der sich einer Idee hingibt, die vorsieht, die Welt zu verändern. Einer Idee, die sich selbst in Buchform sehen will, um dadurc...