Folgen des Lesens

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Der Elf lächelte mich schief an. "Ich muss zugeben: Ganz dumm bist du nicht. Dass du einen Zettel schreiben würdest, hatte die Idee nicht geahnt", sagte er. Er stand vor der Haustier und schien mich schon zu erwarteten "Aber das macht nichts. Die Idee ist längst mächtig genug, um unabhängig von dir agieren zu können. Die Realität hat einen Riss bekommen und diesen Riss werden wir erweitern, bis wir diese Welt vollständig der Fantasie ergeben ist. Das du dabei ein Geschöpf der alten Realität bist, wird allein dir selbst schaden." Der Elf machte eine Kunstpause. Dann seufzte er, als hätte er ehrlich Mitleid mit mir und fuhr fort: "Du hättest eine große, entscheidende Rolle in einer neuen Ordnung bekommen können, doch stattdessen wirst du paranoid und verleugnest die gesamte Realität. Aber es ist noch nicht zu spät, du kannst die Erinnerungen an die alte Realität beiseite schieben und zusammen mit dem Rest der Welt einem neuen Zeitalter der Wirklichkeit entgegen blicken."

Der Elf ging zusammen mit mir ins Haus und schaute mich die ganze Zeit über erwartungsvoll an. Er dachte wohl, ich würde sofort erkennen, das meine Ansicht falsch war. Mist, dachte ich, er scheint immer noch mit der Idee verbunden zu sein, sodass er ungefähr wusste, was in meinem Kopf vorgegangen war. Traurig musste ich erkennen, dass das Buch aus einer Figur, die ich einst für ein anderes Buch vorgesehen hatte, seinen Vertreter gemacht hatte. Aus Trauer wurde Zorn.

"Was denkst du wer du bist?", fuhr ich ihn an, "Ich habe dich entworfen, in meiner Fantasie! Und in meiner Fantasie hast du immer für das Gute gekämpft. Du hasst den Krieg. Aber das was hier gerade passiert, wird unweigerlich zu Krieg führen. Ich weiß sehr wohl, das du und die Feen als erstes das Recht hatten, in diese Welt vorzudringen, weil ihr mich damit am wenigsten erschreckt. Ihr denkt, damit könntet ihr mich für eure Sache gewinnen, doch ich weiß auch was danach kommt. Was wird wohl passieren, wenn man der Fantasie der Menschen freien Lauf gibt? Es werden alle Monster und aller Schrecken, den sich ein Mensch ausmalen kann, ausbrechen und dann wird es nie wieder Frieden geben, auf dieser Welt. In jedem Gebiet dieser Erde wird man sich fürchten müssen, vor den Auswüchsen seiner eigenen Fantasie."

Es hatte mich überkommen. Die Vernunft hatte endlich wieder die Kontrolle über mich. Kurz starrte der Elf mich überrascht an. In mir keimte der Verdacht auf, das der Elf nie wirklich über sein Tun nachgedacht hatte. Die Idee war in ihm und hatte ihn überzeugt, ohne groß darüber nachzudenken, sich einem Projekt anzuschließen, das seine Existenz begründete. 

Schnell hatte der Elf seine Gesichtszüge wieder im Griff und konterte entrüstet: "Was sollte denn das für einen Sinn haben? Ich dachte, die Idee stamme aus deinem Kopf. Und es wäre doch sicher nicht dein Plan, diese Welt zu einem schlechteren Ort zu machen, oder irre ich mich?", fragte er nun provokant und sichtlich verärgert darüber, dass ich ihm kein Verständnis entgegenbrachte. Nachdem ich eine Zeit lang seinem grimmigem Blick standgehalten hatte, entgegnete ich bedauernd: "Ich wünschte, es wäre so. Ich wünschte, das Leitmotiv der Idee wäre das meine. Doch die Idee hat ein Eigenleben angefangen und sich damit unabhängig gemacht."

Noch während ich sprach kam mir die Erkenntnis: "Sie ist nun nicht mehr nur meine Idee, sondern es ist die Idee von vielen. Jedesmal wenn ein Leser sich einem Buch hingibt, in dem nicht die pure Realität behandelt wird, nimmt in der Fantasie des Lesers diese, im Buch vorgegebene Realität die Realität dieser Welt ein oder verdrängt sie. Dabei liest der Betroffene dieses Buch, um aus der Realität dieser Welt zu fliehen. Es entsteht also zumindest im Unterbewusstsein der Wunsch, diese Welt des Buches möge unsere Welt ersetzen. Dieser Wunsch ist eine Idee und weil diese Idee eben in so vielen Lesern Bestand hat, ist sie so mächtig. Ich bin also nur derjenige, der die Idee nun umsetzen soll."

Der Elf verzog das Gesicht. "Aber das spricht doch gerade dafür, dass diese Wandlung, die gerade vollzogen wird, eine gute ist."

"Nein!", schrie ich und erschrak über die eigene Lautstärke. "Nein", wiederholte ich dann leiser, "Es ist nicht ein Wunsch, den der Leser bewusst hegt, die Welt die ihm beschrieben wird, ist nur deshalb so sympatisch als Alternative, weil er sie nur durch die Augen des Erzählers erleben muss."

"Dann wisst ihr Leser eben nur nicht was ihr wollt", erklärte der Elf trotzig und ging, einem kleinen Kind gleich, das Angst hat, eine Diskussion zu verlieren, in sein Zimmer. Ich wollte ihm noch etwas hinterher rufen, doch mir fiel nichts ein. Dass er mit mir diskutiert hatte und sogar teilweise so gewirkt hatte, als hätte er die Dinge, die ich ihm vorgeworfen hatte, gar nicht bedacht, machte mir Hoffnung. Vielleicht konnte ich ihn überzeugen und wir könnten gemeinsam dieses Buch und seine zugrunde liegende Idee bekämpfen. Wie genau das funktionieren würde, wusste ich nicht.

Doch etwas anderes, was der Elf angedeutet hatte, machte mir tierische Angst. Seine Worte hatten so gewirkt, als wäre ich der einzige, der die neue Realität noch nicht angenommen hätte. Ich lief wieder aus dem Haus und klingelte bei meinem Nachbarn. Wir interessierten uns nicht sonderlich füreinander, hatten aber auch nie Streit. Ich ging davon aus, dass diese Nachbarschafts-Beziehung, besser als die meisten anderen ihrer Art war, wenn man so einigen Erzählungen diesbezüglich vertraut. Er öffnete die Tür und Überraschung stand in seinem Gesicht geschrieben, als er mich sah. Wie gesagt, wir hatten kaum Kontakt. Er war etwas dicklich und war nur mit einem grauen Unterhemd bekleidet, obwohl es kein Hochsommer war. Ich schätzte ihn auf etwas unter 50. Er hatte bereits etwas  gelichtetes Haar, es war aber noch kaum grau meliert, sondern noch braun. Dafür hatte er schon einige Falten im Gesicht und auch seine Arme sahen nicht mehr jugendlich aus. Als er anfing zu sprechen roch ich etwas Mundgeruch, versuchte aber, nicht das Gesicht zu verziehen.

"Wie geht's ihnen Herr Nachbar?", fragte er mich freundlich, doch die Verwunderung, warum ich geklingelt hatte, lag auch in seiner Stimme. Ich ging nicht weiter darauf ein, weil ich nicht lügen wollte und die meisten Leute auf diese Frage sowieso keine Antwort wollten. Ich zögerte. Ich hatte mir, bevor ich geklingelt hatte, gar nicht überlegt, wie ich das Gespräch einleiten wollte. Als mein Nachbar die Augenbrauen immer höher zog, fragte ich: "Lesen sie Fantasy?"   

Der Preis der FantasieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt