„James!" Hatte ich sagen wollen, doch es kam nur ein undefinierbares Geräusch aus meinem Mund, da die Töne durch James' Hand auf meinem Mund gedämpft und verzerrt wurden. Um seine Hand loszuwerden öffnete ich meinen Mund soweit ich konnte und Biss ihm in die Hand. Nicht so doll, dass es blutete, aber doll genug, um ihn fluchend von mir wegtaumeln zu lassen. Schnell drehte ich mich zu ihm um und machte einen großen Schritt zurück. „Verdammt Evans!" fluchte er und betrachtete seine Hand, auf der sich die weißen Bissspuren langsam rot verfärbten. Nachdem er seine Hand eingehend inspiziert hatte ließ er den Arm wieder Hängen und musterte mich geschockt. Nach einigen Sekunden schüttelte er den Kopf leicht und seine Mine entspannte sich wieder. Zum ersten Mal seit Tagen sah ich ihn direkt an, und er schaute aus unergründlichen Augen zurück. Den ganzen Morgen und auch schon gestern Nachmittag hatte ich nur daran gedacht, Jonathan zu besuchen. Meine Wut auf James war natürlich der ausschlaggebende Punkt dafür gewesen, doch war sie trotzdem irgendwie in den Hintergrund geraten. Jetzt wo James aber direkt vor mir stand und mir in die Augen sah, kam die ganze Wut mit einem Mal zurück. „Sag mal, GEHT'S NOCH?" Fragte ich ihn aufgebracht, wobei ich nicht nur seinen Überfall meinte oder nur sein Verhalten der letzten Tage, sondern alles zusammen. Seinem Gesicht nach zu urteilen hatte er mit dieser Reaktion zwar schon gerechnet, doch schien er trotzdem erschrocken zu sein über meinen plötzlichen Ausbruch. Vielleicht hätte ich beim Anblick seiner geweiteten Augen Genugtuung verspürt, wenn ich nicht so sauer gewesen wäre. „Kannst du dich nicht Mal benehmen wie ein vernünftiger Mensch? Kannst du nicht einmal normal mit mir sprechen, anstatt mich so zu überfallen?!" Seine anfängliche Überraschung wich nun völligem Unglaube und Verständnislosigkeit. „Wie bitte?" Fragte er mich, doch ich wusste, dass er mich verstanden hatte. „Immer wenn ich versucht habe, mit dir zu sprechen bist du weggerannt als hätte es das letzte Jahr nicht gegeben." Nicht nur sein Gesicht, sondern seine ganze Körperhaltung sprach von Verzweiflung und Wut und er gestikulierte wild mit seinen Armen. Doch in seinen Augen war die Verletztheit unverkennbar. „Du hast mich angesehen, als wären wir immer noch Evans und Potter, die sich hassen und keine normale Konversation führen können." Ein kleiner Teil in meinem Inneren fühlte sich schuldig, weil ich wusste, dass er Recht hatte. Doch der Teil, der sauer auf ihn war, war bedeutend größer. Ich überspielte mein schlechtes Gewissen und starrte ihn fassungslos an. „Ich hab mich so benommen?" Fragte ich ihn. „Und was denkst du, war das auf dem Turm? Meinst du, dass passt nicht zu deinem Verhalten von vor zwei Jahren?" Einen kurzen Moment war er sprachlos. Vielleicht, weil Remus ihm nicht gesagt hatte, dass ich es wusste, vielleicht aber auch nur, weil ich den Spieß umdrehte anstatt mich zu verteidigen. „Das war absolut nicht das, wonach es aussah." Stellte er klar. Wahrscheinlich kannte er als reinblütiger Zauberer nicht so viele schlechten Muggelromane wie ich und wusste deshalb nicht, dass der Satz „Es ist nicht das, wonach es aussieht" einer der abgedroschensten und unglaubwürdigsten Sätze überhaupt war. Doch diese Worte, die mich vermutlich hätten beruhigen sollen, machten mich nur noch wütender. „Ach so?" Fragte ich spitz und hob meine Augenbrauen. „Ich nehme an, du kannst das alles erklären?" Er schien zu merken, dass ich keine Antwort erwartete, doch er ignorierte das. „Ich-..." Begann er, doch ich unterbrach ihn, ehe er weitersprechen konnte. „Das war eine rhetorische Frage. Weißt du was, Potter? Ich hab echt keine Lust mehr." Und mit diesen Worten drehte ich mich um und marschierte davon. Wenn dies hier ein Film gewesen wäre, dann würde nach diesem spektakulären Abgang ein Szenenwechsel kommen. Doch die Realität sah anders aus. James, der leider ebenso schnell wie stur war hatte mich binnen weniger Sekunden eingeholt und hinderte mich daran, weiterzugehen. Böse funkelte ich ihn an. „Lily. Du kannst mich nicht ewig ignorieren." Stellte er fest. Am liebsten hätte ich ihm widersprochen, doch tief in meinem Inneren wusste ich, dass er Recht hatte. „Und Sirius übrigens auch nicht." Fügte er hinzu. „Es ist nicht fair, so zu tun, als sei er nicht dein bester Freund. Er hat dir nichts getan." Und von ihm war es nicht fair, Sirius da mit reinzuziehen. Doch zeugte es auch davon, dass er wusste, dass er mit Sirius einen wunden Punkt bei mir traf und mich besser kannte, als ich zugeben wollte. Ich hatte mir in den letzten Tagen oft Gedanken über Sirius gemacht. Darüber, dass ich ihn vermisste und es mir leid tat, ihn ignorieren zu müssen. Früher hatte ich es immer gehasst, dass mein bester Freund auch der beste Freund meines Erzfeindes war. Doch die Tatsache, dass mein bester Freund auch der beste Freund meines festen Freundes war, mit dem ich im Moment nicht sprechen konnte war irgendwie noch schlimmer. Ich seufzte. „Okay." Gab ich mich schließlich geschlagen und sah in seine fragenden Augen. „Von mir aus kannst du jetzt reden." Ich wappnete mich innerlich und wandte meinen Blick zur Seite, während ich darauf wartete, dass er anfing, sich zu rechtfertigen. Doch er sagte nichts. Stattdessen schaute er mich unverwandt an, während ich aus den Augenwinkeln zu sehen glaubte, dass sich seine Mundwinkel ein winziges Stückchen hoben und sich zum ersten Mal seit Tagen in meiner Gegenwart ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht abzeichnete. Leicht verwundert drehte ich meinen Kopf wieder in seine Richtung und sah ihn an, doch als ich in sein Gesicht schaute, schien alles genau wie vorher. „Wir sollten vielleicht woanders hingehen" Schlug er vor, während er die Augen ruhig auf mir ruhen ließ. „Ich meine, wenn du wieder vorhast mich anzuschreien." Immer noch betrachtete er mich eingehen. „Ich hab nicht-..." begann ich, doch brach seufzend ab als ich merkte, dass er recht hatte. Ich konnte weder leugnen, dass ich ihn angeschrien hatte, noch garantieren, dass ich es nicht wieder tun würde. Wir befanden immer noch im Flur, weswegen seine Anmerkung nicht ganz unberechtigt war, dennoch sträubte sich mein Innerstes dagegen, seinen Vorschlag als sinnvoll zu erachten. Als ich das realisierte, stellte ich mit schrecken fest, dass es tatsächlich so aussah, als wäre James nicht der einzige, der in alte Verhaltens- und Denkweisen zurückzufallen schien.
Schweigend lief ich neben James her und folgte ihm anschließend widerwillig in die Besenkammer, die mir - und auch James wie ich wusste - inzwischen recht vertraut war. Und auch wenn ich wusste, dass ich keinen Grund dazu hatte, war ich aufgeregt. Meine Hände schwitzten unangenehm und mein Herzschlag ging schneller als normal. Nach einem kurzen Blick auf James stellte ich mit Genugtuung fest, dass auch sein beschleunigter Puls an seiner Halsschlagader selbst im schwachen Licht seines erleuchteten Zauberstabes nicht zu übersehen war. Abwartend betrachtete ich ihn. Er sah mich zögernd an und holte dann einmal tief Luft, als bereite er sich auf einen Sprung ins Wasser vor. Langsam und geräuschvoll stieß er sie wieder aus. „Also." Begann er und sah mir dabei tief in die Augen. Wieder einmal war ich überwältigt von der Schönheit seiner Iris, die an eine Mischung aus Schokolade, Haselnuss und Karamell erinnerte, auch wenn sie im Licht seines Zauberstabes kühler wirkten als im Schein der Kerzen. „Ich...Du..." Er brach ab, seufzte erneut und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, wie er es immer tat, wenn er nervös war. Dann fing er sich wieder und begann erneut. „Du warst auf dem Weg zum Krankenflügel. Hab ich recht?" Fragte er mich. Kurz überlegte ich, ob ich es leugnen sollte, doch dann merkte ich, dass ich gar keinen Grund dazu hatte. Ich durfte sehen wen ich wollte und auch sprechen mit wem ich wollte. Auch mit meinen Ex Freund. „Ja war ich." Bestätigte ich kurz angebunden. „Aber ich wüsste nicht, was das mit dem Thema zu tun hat." Ich wollte jetzt nicht über Jonathan reden. Zumindest nicht in erster Linie. In erster Linie wollte ich wissen, wir zur Hölle er erklären wollte, was auf dem Astronomieturm gelaufen war. „Hör mir bitte einen Moment zu, ohne mich zu unterbrechen. Du warst auf dem Weg in den Krankenflügel, weil du Jonathan besuchen wolltest." Er schaute mich fragend an und wartete offenbar auf eine Bestätigung meinerseits, doch ich gab ihm keine Antwort und versuchte auch nicht, mich zu rechtfertigen. Er schien mein Schweigen als „Ja" zu deuten, denn er fuhr fort ohne ein weiteres Wort zu sagen. „Dann gehe ich recht in der Annahme, dass du weißt, warum er da liegt?" Der unbehagliche Ausdruck auf seinem Gesicht ließ erahnen, dass er gehofft hatte, ich wüsste nichts davon. „Ich weiß auf jeden Fall, wer ihn darein befördert hat, James." Sagte ich, und legte besondere Betonung auf seinen Namen. „Ich wüsste nur zu gern, womit er das verdient hat." Ich wusste, wie Jonathan sein konnte, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass er etwas getan haben könnte was James das Recht gab, ihn Krankenhausreif zu verhexen. Bei diesem Gedanken erfasste mich wieder die siedend heiße Wut, die ich schon fast verschwunden geglaubt hatte. „Und ich sag es dir, Potter, wenn das wieder nur so eine Aktion war um zu beweisen, wie toll du bist, dann schwöre ich dir, werde ich es schaffen dich für den Rest meines Lebens zu ignorieren. Du-..." „Evans! Bei Merlin. Lass mich ausreden!" Doch ich wollte ihn jetzt nicht ausreden lassen. Ich spürte, wie das Blut in meinen Adern pulsierte und mir ins Gesicht schoss - vor Wut, wohlgemerkt, nicht vor Scham – und wie mich die Unwissenheit über James Absichten und Gedanken so in Rage brachte, dass ich alle Regeln der Vernunft außer Acht ließ und ihn entgegen seines ausdrücklichen Wunsches erneut unterbrach. „Nein. Ich möchte, dass du mir jetzt diese Frage beantwortest. Hattest du einen guten Grund, weswegen du Jonathan verhext hast, Ja oder nein?" Er hatte seinen Zauberstab gesenkt, weswegen sein Gesicht weitgehend im Schatten lag und ich nur erahnen konnte, wie er guckte. Er schwieg einen Moment. „Ja." Sagte er leise aber entschlossen. Ohne seine Aussage anzuzweifeln sprach ich weiter. „Und..." Ich atmete tief ein und versuchte, dass Zittern in meiner Stimme unter Kontrolle zu bringen. „Und gab es auch einen guten Grund, weswegen du dich auf dem Astronomieturm mit diesem Mädchen getroffen hast, was auch immer da gelaufen sein mag, ja oder nein?" Ich erhielt nicht direkt eine Antwort und überlegte mir in der Zeit schon mal, was ich machen sollte, wenn er nein sagte. Ihn verhexen? Wieder weglaufen? Auswandern? „Ja" Sagte er dann, und brachte meine Überlegungen damit abrupt zu Ende. Ich spürte, wie sich die immer noch anhaltende Wut mit der Erleichterung vermischte, die sich schlagartig in mir breit machte, zusammen mit der Frage, was um alles in der Welt ein guter Grund dafür sein könnte, seine feste Freundin zu betrügen. „Ja?" Fragte ich vorsichtig, um mich zu vergewissern, dass ich mich nicht verhört hatte. „Ja" sagte er erneut, diesmal jedoch bestimmter und ich glaubte ihm. Ich wartete einen Moment, dann griff ich nach meinem Zauberstab und entzündete diesen auf Augenhöhe, um James endlich wieder ins Gesicht sehen zu können. „Okay. Dann darfst du mir das jetzt erklären, ohne dass ich dich unterbreche." Versprach ich ihm. „Aber wehe dein Grund ist nicht gut." Um die Ernsthaftigkeit meiner Worte zu unterstreichen kniff ich meine Augen leicht zusammen und hob warnend meinen Zeigefinger. Er lachte leicht. „Glaub mir. Mein Grund ist mehr als nur gut." Und so erzählte er mir von den Ereignissen der vergangenen Tage aus seiner Sicht. Davon, wie alles normal gewesen war, bis er nach dem Abendessen auf einmal nicht mehr wusste, warum er überhaupt da war, wo er war, und nicht wo anders. Ab diesem Zeitpunkt, so berichtete er, wusste er nur noch Bruchstücke. Als er schließlich wieder zu sich gekommen war und von wo aus seine Erinnerung keine Lücken mehr aufwiesen, hatte er auf dem Astronomieturm gelegen, die Rumtreiber um ihn herum. James erzählte davon, wie sie ihm erklärt hatten, wie er auf den Turm gekommen war und was in den letzten Stunden los gewesen war. „Ein Liebestrank." Murmelte ich und war so erleichtert als er nickte, dass ich mich am liebsten einen Moment hingesetzt hätte. „Aber wer...?" Fragte ich, und er verstand was ich wissen wollte ohne dass ich den Satz zu Ende sprach. „Das wussten wir am Anfang auch nicht. Wir dachten, es sei das Mädchen gewesen. Aber gestern haben wir rausgefunden, dass es Jonathan war." Ich stutzte. „Er muss mir beim Abendessen irgendwas ins Getränk gemischt haben." Deswegen hatten sie ihn also verhext. Auch wenn ich es immer noch nicht gutheißen konnte, dass James und seine Freunde ihre Zauberstäbe benutzt hatten, anstatt ihn auf andere Art und Weise zu bestrafen, konnte ich nun wenigstens die Wut nachempfinden, die ihn vermutlich zu dieser recht unüberlegten Tat bewegt haben musste. „Und wie habt ihr die Wirkung beendet? Man braucht doch ein Gegenmittel..." Überlegte ich laut, doch dann viel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich erinnerte mich daran, wie ich auf dem Weg zum Gryffindoreturm Sirius gesehen hatte, wie er mitten in der Nacht mit einer kleinen Phiole durch die Gänge geschlichen war. „Sirius." Erneut nickte James zur Bestätigung. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er hatte tatsächlich für all die Dinge die mich so sauer gemacht hatten, eine Erklärung. Was wirklich gut war, jedoch auch dazu führte, dass ich keine Erklärung mehr für mein Verhalten hatte. „Mhhh." Machte ich, unsicher, was ich nun sagen sollte und fühlte mich auf einmal merkwürdig fehl am Platz. „Ja. Mhhh." Machte James, und konnte dabei den vorwurfsvollen Unterton in seiner Stimme nicht verbannen. „Weißt du, Evans, du hättest nur mit mir reden müssen. Wenn du nicht so stur gewesen wärst, hätte es dieses ganze Theater nicht gegeben." Teilte mir James mit und ich fragte mich unwillkürlich, ob er die letzten Nächte wohl genauso schlecht geschlafen hatte, wie ich. „Das hätte uns beiden einiges erspart." Fügte er noch hinzu. Ich wusste, dass er Recht hatte. Ich hatte von Anfang an gewusst, dass es besser für alle wäre, wenn wir einfach nur reden würden. Aber ich hatte Angst gehabt. Vor der Wahrheit. Oder davor, dass die Wahrheit nicht so schön war, wie ich es nicht zu hoffen gewagt hatte. Nicht so schön, wie sie, wie ich jetzt wusste, tatsächlich war. „Ich weiß" sagte ich leise, und sah ihm in die Augen. Sein Blick veränderte sich nicht. Ich sah nur seine braunen Augen vor mir, die mich verständnislos und erschöpft ansahen. Und ich wusste, dass ich es nicht hätte ertragen können, wenn diese Augen mich angeschaut hätten, während James mir mitteilte, dass er mich nicht liebte. „Ich wusste es die ganze Zeit. Dass wir reden sollten, meine ich. Aber ich hatte Angst." Ich senkte meinen Blick und mir viel auf, dass er seinen Zauberstab gelöscht hatte, konnte mich aber nicht daran erinnern, wann das geschehen war. Ich löschte auch meinen Zauberstab und steckte ihn wieder in meine Hosentasche, sodass wir in Dunkelheit gehüllt wurden und nur das sanfte Licht der Kerzen auf dem Flur zwischen Tür und Türrahmen und unter der Türschwelle in die Besenkammer drang und James Silhouette erahnen ließ. Am liebsten hätte ich mich einfach nur bei ihm entschuldigt, ihn in die Arme genommen und gehofft, dass nun alles wieder gut war, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es nicht reichen würde. „Bestimmt werde ich bereuen, dass ich das hier jetzt tue." Sagte ich leise - mehr zu mir selbst als zu James - und plötzlich war ich wieder genauso nervös, wie beim Betreten dieser Kammer. Unterbewusst nahm ich wahr, wie James sein Gewicht immer wieder von einem Fuß auf den anderen verlagerte und wie mein Puls sich beschleunigte. Ich seufzte als ich seinen abwartenden Blick spürte, fasste mir ein Herz und legte los. „James." Begann ich zögernd. „Du musst verstehen, wie das für mich ist." Begann ich, und versuchte angestrengt die richtigen Worte zu finden, um ihm
meine Gedanken und Gefühle zu erklären. „Ich weiß, du bist sauer, weil ich dich ignoriert hab, aber ich hatte meine Gründe. Ich hab das doch nicht gemacht, weil mir das so viel Spaß gemacht hat." Ich hob meinen Blick wieder in seine Richtung, auch wenn ich wusste, dass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. „Ich hatte Angst." Wiederholte ich meine Worte von grade. „Früher... Wir haben uns immer gehasst. Und ich weiß nicht, ob du das wusstest, aber ich hatte in der gesamten Zeit auf Hogwarts keine einzige richtige Beziehung. Du bist mein erster richtiger fester Freund. Mit Ausnahme von Jonathan, aber du weißt ja selbst, wie das war." Ich schloss meine Augen einen Moment und atmete tief ein, um den Mut nicht zu verlieren, jetzt weiter zu sprechen. „Aber du hattest schon so viele Beziehungen. Mit Mädchen aus unserem Jahrgang. Aus den Jahrgängen über uns, unter uns, aus anderen Häusern. Und immer nur kurz. Immer nur unbedeutendes. Und in den meisten Fällen hast du die Mädchen mit gebrochenem Herzen zurückgelassen." Er hatte aufgehört, sich zu bewegen und stand jetzt ganz still und reglos vor mir, als wäre er eine aus Stein gemeißelte Statue. Doch während eine Statue weder atmen noch sehen konnte, konnte ich James' Blicke deutlich spüren, die auf mein Gesicht geheftet waren und mir prickelnde Schauer über den Rücken jagten, auch wenn ich vermutete, dass er nicht viel mehr von mir erkennen konnte als ich von ihm. „Was meinst du, wie oft ich mich gefragt hab, ob ich nur eine von vielen bin? Ob ich sowas wie eine Trophäe für dich bin? Ob ich mir nur falsche Hoffnungen mache und du mich am Ende fallen lässt so wie die anderen? Ich-..." Meine Stimme versagte und ich spürte wie sich Tränenflüssigkeit in meinen Augen sammelte. Ich verfluchte mich innerlich und versuchte, erneut tief Luft zu holen um den Klos in meinem Hals loszuwerden. Ich hasste es, vor anderen zu weinen. „Ich hatte einfach nur Angst, dass es das Ende ist. Verstehst du? Deshalb wollte ich nicht mit dir sprechen. Weil ich dachte, dann wäre es vorbei." James schwieg immer noch. Plötzlich hatte ich das Gefühl, nicht mehr genug Luft zu haben und atmete erneut tief ein, wobei ich ein Zittern nicht unterdrücken konnte. Dieses Geräusch schien James aus seiner Erstarrung zu rütteln, denn ich registrierte eine kleine Bewegung vor mir. Er hob seinen Arm, mit dem er noch immer seinen Zauberstab umklammert hielt und steckte ihn nun seinerseits in die Hosentasche. „Lily." Murmelte er leise. Ich schloss meine Augen und spürte wie sich eine Träne den Weg über meine Wange bahnte und an meinem Kiefer hängen blieb, wo sie noch einen Moment verharrte, sich schließlich löste und auf den Boden fiel. Ich hörte das rascheln von Stoff, als James seinen Arm erneut hob und ein Stückchen auf mich zukam. Erst spürte ich nur die sanfte wärme, die seine Haut abstrahlte, dann die leichte Berührung seiner rauen Fingerspitzen auf meiner Wange, die meinen Wangenknochen hochfuhren, bis zu meiner Schläfe. Vorsichtig und immer noch ohne ein Wort zu sagen strich er mir eine Haarsträhne hinters Ohr, vergrub seine Hand dann in meinen Haaren und zog mich in seine Arme. Mir war die ganze Zeit über nicht bewusst gewesen, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Erst jetzt, wo ich ihn so nah bei mir hatte, mein Gesicht in dem Stoff seines Umhangs vergrub, seinen Duft einatmete, und er mich in seinen Armen hielt fühlte es sich an, als würde ich nach Tagen in einem luftleeren Raum endlich wieder Sauerstoff bekommen. Es war, als hätte mir die ganze Zeit etwas Lebenswichtiges gefehlt, was ich nun endlich wieder gefunden hatte. „Lily?" flüsterte James, doch sein Mund war so nah an meinem Ohr, dass ich keine Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Hm?" Machte ich, eher aus Gewohnheit als bewusst. Ich hatte meine Augen geschlossen und lauschte dem Rhythmus seines Herzens. Ruhig und beständig und vertraut. „Du hast mich auf die vielen Mädchen angesprochen, mit denen ich ausgegangen bin." Erinnerte er mich an meine Worte von grade. Ich sagte nichts, und wie auch schon zuvor machte er weiter, als hätte ich Ja gesagt. „Ich hab mich nicht aus Spaß mit ihnen getroffen, oder aus purer Bösartigkeit." Klärte er mich auf, ebenso leise wie zuvor und ich spürte, dass ihn diese Worte genauso viel Überwindung kosteten wie mich zuvor. Ich hatte nicht von ihm verlangt, sich für sein früheres Leben zu rechtfertigen, doch ich sagte nichts. Ich ließ ihn sagen, was er zu sagen hatte, so wie er mich vorher hatte reden lassen. „Wie du vermutlich weißt bin ich bei vielen Mädchen... recht begehrt." Ich schnaubte abfällig und ich spürte, wie ein kleines Lachen seinen Brustkorb erbeben ließ. „Und das all diese Leute scheinbar so verliebt waren, hat in mir den Wunsch geweckt, auch jemanden zu haben, den ich Liebe. So richtig meine ich. Jemand, dem ich vertrauen kann. Der mir vertraut. Der mich zum Lachen bringt, der mit mir zusammen lacht und der meine Freunde mag." Darauf hätte ich gern etwas Bissiges erwidert, doch ich hielt vorsichtshalber meinen Mund, um ihn nicht zu verunsichern. „Ich hab mich mit all den Mädchen getroffen und gehofft, dass die richtige dabei ist. Und jedes Mal, wenn ich gemerkt hab, dass sie es nicht ist, war es für sie schlimm, aber für mich auch." Ich hielt meine Augen geschlossen und genoss den einen Moment der Ruhe. Ich versuchte mich an früher zu erinnern. An die ganzen Mädchen, die zu tiefst bedrückt und traurig umhergewandelt waren, nachdem James sich von ihnen getrennt hatte. Und dann versuchte ich mir vorzustellen, wie es sein musste, wenn man diesen Schmerz immer wieder von Neuem verspürte. Eine Woge des Mitleids überkam mich und ich drückte mich unwillkürlich ein wenig fester an ihn. „Und jetzt?" Fragte ich, so leise und durch den Stoff seines Umhangs gedämpft, dass ich mir nicht sicher war, ob mich überhaupt gehört hatte. Er zögerte einen Moment, bevor auch er mich ebenfalls ein wenig fester an sich zog. „Jetzt hab ich die richtige gefunden." Sagte er und seine Worte waren nur der Hauch eines Flüsterns, doch trotzdem das schönste, was ich jemals gehört hatte.
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Küss mich, Potter! Die Fortsetzung
FanfictionIn dieser ff läuft James Lily nicht ständig hinterher. Doch trotz eines Zwischenfalls, der Lilys nicht vorhandene Fähigkeiten im Bezug auf ihren Freund in Frage stellt, muss sie James um Hilfe bitten und die beiden sind gezwungen "zusammenzuarbeiten...