Ich lag in meinem Bett. Ich hatte meine Augen geöffnet, doch es war so dunkel, dass ich nicht einmal meine Hand sah, die ich probehalber vor mein Gesicht gehalten hatte. Manchmal, wenn die Wolken an einer Stelle eine Lücke hatten, schien der Mond für einen Moment in mein Fenster und ich konnte die Konturen der Möbel in meinem Zimmer erkennen. Ich wusste, dass es spät sein musste, doch ich konnte nicht schlafen. Mein Körper war müde, meine Arme lagen schwer neben mir, als bestünden sie nicht aus Haut und Knochen, sondern aus Blei. Ebenso wie meine Beine, die Parallel und gerade ausgestreckt unter der Bettdecke lagen. Meine Augen taten weh, doch ich konnte mich nicht dazu bringen, sie zu schließen. Ich wusste, dass es keinen Unterschied machen würde. So oder so sah ich nur schwarz, doch ich wusste, das sich auf den Innenseiten meiner Lider wieder Bilder abzeichnen würden, die ich nicht sehen wollte. Die Karte des Rumtreibers in meiner Hand. Der darauf abgebildete Astronomieturm mit James' Punkt und dem des Mädchens. Ich konnte mich eigentlich nur an die beiden Punkte erinnern. Nicht an den restlichen Turm. Es wäre interessant zu wissen, wer sich noch alles des Nachts herumgetrieben hatte. Ich seufzte. Ich wollte einschlafen, um nicht länger über James nachdenken zu müssen. Wenn ich schlief, konnte ich nicht bewusst denken. Dann würde ich im besten Fall nicht einmal Träumen, doch ich konnte nicht. Mein Geist wollte einfach nicht zur Ruhe kommen. Ich beschloss, dass ich, wenn ich schon denken musste, dann wenigstens etwas über etwas nachdenken konnte, was mich in irgendeiner Weise weiter brachte. Wie sollte ich mich denn jetzt verhalten? Sollte ich ihn morgen früh abfangen und ihn zur Rede stellen? Sollte ich ihn anschreien und ihn an meinen Zweifeln teilhaben lassen? Oder sollte ich so tun, als ließe mich das alles kalt? Meine Gefühle verleugnen, um seinem Ego einen Dämpfer zu verpassen? Ich konnte so tun, als wäre alles wie früher, und diese ganze Geschichte wäre niemals passiert. So tun, als seien wir wieder, oder besser immer noch Feinde, wie in den letzten Jahren. Doch ich wusste bereits jetzt, dass ich das nicht konnte. Zumal in mir immer noch ein Fünkchen Hoffnung war, dass Remus recht hatte. Dass James ein guter Mensch war. Dass er mich nicht absichtlich verletzte. Doch welchen verdammten Grund sollte er denn gehabt haben, sich mit diesem Mädchen zu treffen? Die beiden standen dort oben denkbar nah aneinander, dass ein Missverständnis so gut wie ausgeschlossen war. Es sei denn, sie hatten sich gegenseitig Zöpfchen geflochten, oder machten Unterricht in Paartanz. Ich presste meinen Hinterkopf fester in das Kissen und seufzte. Wenn ich nicht so verzweifelt gewesen wäre, hätte ich über diesen Gedanken gelacht. Ruckartig setzte ich mich auf. So konnte das nicht weiter gehen. Ich würde sowieso nicht zu einem vernünftigen Schluss kommen, ohne mit Julie, Emilie und Michelle darüber gesprochen zu haben. Ich seufzte. Ob James wohl schon wieder da war? Ich hatte nichts gehört. Wenn ich jetzt raus ging, dann lief ich Gefahr, ihm in die Arme zu laufen. Das wollte ich auf keinen Fall. Ich war noch nicht bereit für ein Gespräch mit ihm. Ich überlegte kurz, und kam zu dem Schluss, dass ich dieses Risiko eingehen wollte. Falls ich ihn sehen sollte, würde ich ihn einfach verhexen. Es reichte ja schon ein einfacher petrificus totalus, um ihn am Reden zu hindern. Ich stand auf, zog mich an, stopfte das nötigste in meine Handtasche und marschierte los in der Hoffnung, dass mein altes Bett im Mädchenschlafsaal der Gryffindors noch vorhanden, beziehungsweise noch bewohnbar war.
Das Bett war noch da. Und wie. Es war frisch gemacht und bezogen in der typischen Gryffindore Bettwäsche. Und es war noch viel gemütlicher und weicher, als ich es mir hatte erträumen lassen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, doch sobald ich mich in meinen Schlafsachen hineingelegt hatte, war ich, ohne einen einzigen weiteren Gedanken an den vorrangegangenen Abend zu verschwenden, eingeschlafen. Ich träumte nicht, und ich wachte auch nicht zwischendurch auf, und trotzdem fühlte ich mich am nächsten Morgen wie erschlagen. Emilie hatte mich geweckt, und als ich mich aufgesetzt hatte, wurde ich von allen drei Mädchen die außer mir noch hier schliefen neugierig beäugt. In knappen Worten hatte ich ihnen das Geschehene erklärt und ihnen versichert, später alles genauer zu schildern und offene Fragen zu beantworten. Da es schon recht spät war und ich das Bedürfnis hatte, mich frisch zu machen, entschied ich mich für eine Dusche, während die anderen zum Frühstück gingen. Ich hatte sowieso keinen besonders großen Hunger, und ich hatte noch weniger Lust, Ja-Potter zu begegnen. Auf meiner kleinen Wanderschaft letzte Nacht, hatte ich ihn zu meinem Glück nicht mehr getroffen. Dafür allerdings Nick, den Hausgeist von Gryffindore, der mich aber nach einem kurzen Wortwechsel hatte gehen lassen und Sirius, vor dem ich aber in ein leeres Klassenzimmer hatte flüchten können, bevor er mich sehen konnte. Doch wenn ich so darüber nachdachte, wäre dieses Versteckspiel wahrscheinlich nicht einmal nötig gewesen. Er hatte sich über den Zweiwegespiegel mit jemandem unterhalten. Vielleicht sogar mit James, und dabei hatte er eine im sanften Kerzenschein schimmernde Phiole hochgehalten, mit einer Flüssigkeit, die ich aber aufgrund der miserablen Lichtverhältnisse, der Entfernung und der kurzen Zeitspanne leider nicht hatte identifizieren können. Auf jeden Fall hatte er sehr beschäftigt gewirkt. Er war schnell gelaufen und hatte noch schneller und hektischer gesprochen. Ich fragte mich, wieso. Als ich mit duschen fertig war und mich fertig angezogen hatte, blieb ich kurz vor dem Wandspiegel stehen und betrachtete mein Abbild. Ich hatte mir nie so viel Gedanken um mein Aussehen gemacht wie meine große Schwester oder meine Freundinnen. Meine Haare hatte ich mit meinem Zauberstab getrocknet. Meistens, wie auch jetzt, trug ich sie offen. Sie vielen mir in sanften Locken bis über die Schultern und endeten etwas unterhalb meines Schlüsselbeins. Ich hatte nie einen viel aufregenderen Haarschnitt gehabt, als leichte Stufen. Ich zog an, was bequem war und ich benutzte nur ein wenig Makeup, wenn ich ausging. An Schultagen musste man sich sowieso keine Gedanken darum machen, was man Anzog. Weißes Hemd, schwarze Robe. Nun beäugte ich das Gesicht meines Spiegelbildes. Die haut um meine Augen war leicht gerötet. Nicht so sehr, dass man direkt vermutet, ich hätte geweint. Und doch brachte die kleine Veränderung meine grünen Augen zum Leuchten. Ich lächelte zufrieden. Dann hatte das ganze Theater also doch etwas Positives gehabt. Als ich den Schlafsaal wieder betrat, sah ich, dass die Sonne bereits begann, aufzugehen. Ich musste mich beeilen, um noch Pünktlich zur ersten Stunde zu kommen. Ich wusste immer noch nicht, wie ich James und den anderen Rumtreibern heute gegenübertreten sollte. Als erstes hatte ich Muggelkunde. In dem Kurs war Remus der einzige der Truppe, mit dem ich nicht reden wollte. Doch wir saßen nicht nebeneinander, weswegen ich diese Stunde wohl überleben würde. Wenn ich Glück hatte, fand ich in dieser Stunde etwas Zeit, wieder darüber nachzugrübeln, wie es jetzt weiter gehen sollte. Danach kam Verwandlung. Bei McGonnagal hatten Gryffindors Siebtklässler gemeinsam mit den Huffelpuffs unseres Jahrgangs gemeinsamen Unterricht. Was bedeutete, dass sowohl James, als auch Sirius, Peter und Remus anwesend sein würden. Kurz überlegte ich, mich krank zu stellen, doch diese Blöße würde ich mir nicht geben. Ich würde versuchen, sie alle zu ignorieren, bis mir was Besseres einfiel. Außerdem hatte ich ja auch noch Emilie, Michelle und Julie, die mir seelischen Beistand leisten konnten.
Wie es eigentlich nicht anders zu erwarten war, klappte das Ignorieren zwar ganz gut, jedoch wollte mir einfach nicht einfallen, was ich jetzt machen sollte. Ich saß im Unterricht, tat, als würde ich zuhören, während ich wahllos auf einem Stück Pergament herumkritzelte und nachdachte. Ich tendierte immer mehr dazu, einfach so zu tun, als gäbe es die Rumtreiber nicht. Ich wusste, dass mir das schwer fallen würde, nicht nur bei James, sondern auch bei Sirius, und ich fühlte mich unwohl bei dem Gedanken daran, ihn nicht zu beachten. Doch alle anderen Möglichkeiten liefen darauf hinaus, dass ich, in welchem Ton und in welcher Absicht auch immer, mit James würde sprechen müssen. Und dieser Gedanke sorgte bei mir für noch viel mehr Unwohlsein. Früher oder später würde sich sowieso ergeben wie es weiter ging. Mit der Zeit würde mir bestimmt etwas einfallen. Und außerdem, James konnte ja auch den ersten Schritt machen. Oder Sirius. Als ich zum wiederholten Mal an diesem Tag an Sirius dachte, fiel mir auf, dass ich in meinen Augen schon viel zu lange nichts mehr mit ihm gemacht hatte. Als ich mit Jonathan zusammen war, hatte ich Jonathan zur Liebe weniger mit ihm gemacht, doch auch danach hatte ich erschreckend wenig Zeit für ihn gefunden. Als mir bewusst wurde, dass die Situation gerade nicht gerade zur Besserung dieses Umstandes beitrug, durchfuhr mich ein Stich. „Lily?" Hörte ich eine Stimme hinter mir. Ich erschrak so sehr, dass ich aufsprang, und mit der Rückseite meiner Beine den Stuhl, auf dem ich gesessen hatte, sosehr anstieß, dass er umkippte. Ich drehte mich um und entdeckte Remus, der in einem Abstand ein Paar Metern vor mir stand und mich ansah. Er wirkte nicht im Geringsten verwundert über den Stuhl der mit einem nicht gerade leisen Krachen auf den Boden gestürzt war. Ich senkte betreten den Blick als ich daran dachte, wie wir auseinander gegangen waren. „Der Unterricht ist zu Ende." Sagte er, und erst da realisierte ich, dass der Klassenraum, bis auf uns beide, leer war. Ich verfluchte mich selbst für meine Unkonzentriertheit. Wie konnte ich nur so in meinen Gedanken versinken? Ich betete zu Merlin, dass er darüber kein Wort verlieren Würde. Und wo wir schon mal dabei waren, ich betete auch dafür, dass er nicht erkennen konnte, was auf meinem Pergament stand. Als ich auf meinen Tisch hinab blickte, sah ich, dass es voll von Blumen, undeutlicher Kritzeleien, Herzchen (!!?) und Schriftzügen war, die alle das gleiche Wort bildeten. Ich versuchte, die Tatsache zu ignorieren, dass diese Worte verdächtig nach dem Namen Potter aussahen. Mit brennenden Wangen und vermutlich hochrotem Kopf kramte ich meine Sachen zusammen, steckte sie in meine Tasche und machte mich bereit zum Gehen. Remus betrachtete mich währenddessen mit mildem Interesse, und warf mir einen prüfenden Blick zu, ehe ich an ihm vorbei ging, um die Klasse zu verlassen. Verdammt. Verdammt, verdammt. Am liebsten würde ich mir gegen den Kopf schlagen. Wieso hatte ich nicht einfach aufpassen können? Wieso hatte ich nicht bemerkt, dass alle gegangen waren? Wieso musste ich unbedingt Herzchen zeichnen? Wieso. Seufzend machte ich mich auf den Weg, um die anderen zu finden, während ich versuchte, den Drang zu unterdrücken, mein Gesicht in den Händen zu vergraben. Es war ja nett von Remus, dass er mich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass es an der Zeit war zu gehen, doch hatte er unbedingt warten müssen, bis ich aus dem Klassenzimmer verschwunden war? Ohh Merlin war das Peinlich. Wahrscheinlich lag das alles nur an meiner Müdigkeit. Ich war zwar nicht so spät von der Patrouille zurück gekommen wie sonst, da ich nach meiner Begegnung mit Severus einfach direkt in mein Zimmer gegangen war, anstatt weiterhin langsam durch die Gänge zu streifen und nach Schülern außerhalb der Betten Ausschau zu halten. Jedoch hatte ich danach weder viel, noch gut geschlafen, was mich meine schmerzenden Augen wohl den ganzen weiteren Tag nicht würden vergessen lassen. Ich stellte mich vor die Eingangshalle, um Julie, Emilie und Michelle abzufangen, die gerade Wahrsagen hatten. Ich hoffte, sie würden sich beeilen, damit ich unangenehmen aber dennoch leider bevorstehenden Konversationen mit Potter weiter hinauszögern konnte. Ich schaute mich um und versuchte zwischen den Unmengen an Schülern, die aus den Klassenzimmern strömten, meine Freunde zu enddecken, um ihnen Geschehenes zu berichten und sie um Rat zu fragen. Ich war mir sicher, sie konnten mir helfen herauszufinden, was in James Kopf vor sich ging. Nach ein paar Minuten des Wartens entdeckte ich sie, wie sie nebeneinander her liefen und sich umsahen. Wahrscheinlich suchten sie mich. Ich trat hervor und machte mich auf den Weg zu ihnen, übersah dabei aber eine gruppe von Leuten die mir den Weg abschnitten. Überrascht blickte ich auf, und sah in mir nur allzu vertraute Gesichter. Ich blieb wie angewurzelt stehen, bereute es aber noch im selben Moment, als ich realisierte, wer mir nun gegenüberstand. Es war James. Wieso verdammt war ich nicht einfach weiter gegangen? Sie alle Ignoriert, wie ich es mir vorgenommen hatte? Kurz überlegte ich, ob ich nicht jetzt noch weitergehen könnte, auch wenn er mich bereits gesehen hatte, und mit Sicherheit auch wusste, dass auch ich ihn gesehen hatte. Denn auch er war stehen geblieben und musterte mich nun mit fragenden Augen. Dass seine Freunde weitergegangen waren, schien er entweder nicht bemerkt zu haben, oder aber es interessierte ihn schlich und einfach nicht. Ich riskierte einen kleinen Blick auf sein Gesicht und mir vielen sofort die dunklen Ringe unter seinen Augen auf. Seine Haut war blass und sein Haar verstrubelter denn je. Ich verspürte das Bedürfnis, mein Gehirn auszuwaschen, als mir ein Bild mit James auf dem Astronomieturm und fremden Händen in seinen Haaren durch den Kopf schoss, welches wahrscheinlich leider nicht mal so weit von den wahren Gegebenheiten abwich, und den Zustand seiner Haare erklären würde. Dennoch erfüllte mich die Tatsache, dass er offensichtlich genauso wenig geschlafen hatte, wie ich, mit einer gewissen Genugtuung. Kurz befürchtete ich, dass ich möglicherweise genauso miserabel aussah wie er, bis mir einfiel, dass ich mich ja heute Morgen im Spiegel vom Gegenteil hatte überzeugen können. Ich bemerkte, dass er mir unentwegt in die Augen sah, und er Augenscheinlich auf eine Reaktion meinerseits wartete. Ich entschied mich dazu, ihm diesen Gefallen nicht zu tun. Ich zog meine Augenbrauen hoch und wartete, bis er das Wort ergriff. Mittlerweile fühlte ich mich nicht mehr im Stande, weiter zu gehen, da mich sein eindringlicher Blick so sehr verunsicherte, dass meine Beine sich anfühlten, als können sie jeden Moment unter meinem Gewicht zusammenbrechen. „Lily" Sagte er so leise, dass ich es, ohne die Bewegungen seiner Lippen zu sehen, vermutlich nicht verstanden hätte. Bei dem Klang seiner Stimme bekam ich eine Gänsehaut und plötzlich fehlte mir die Kraft meine Augenbrauen weiter oben zu halten. Wahrscheinlich bildete ich mir das nur ein, doch in meinen Ohren klang es wie eine Frage und wie eine Entschuldigung gleichermaßen. Doch ich kannte weder den Inhalt der Frage, noch die Absicht hinter der Entschuldigung. Entschuldigte er sich dafür, dass er mit einem anderen Mädchen rumgemacht hatte? Dafür, dass er sich nicht geändert hatte? Dafür, dass er mich nicht Liebte? Schnell wandte ich meinen Blick wieder zu Boden. Ich wollte mich jetzt nicht mehr mit ihm beschäftigen. Es würde sowieso zu nichts führen, wenn ich versuchte, mich in ihn hineinzuversetzen. Ich hatte keine Ahnung was im Moment in ihm vorging. Und ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Zumindest fühlten sich meine Beine schon etwas stabiler an, seit ich ihm nicht mehr in die Augen sah. Vielleicht sollte ich jetzt einfach gehen. Dass wäre vermutlich eine bessere Idee, als ihm jetzt (und vor allem hier) all meine Gefühle und Zweifel zu offenbaren und ihn mit all dem entweder heillos zu überfordern, oder mich völlig lächerlich zu machen. Ich seufzte „Lass mir durch, Potter." Sagte ich leise und vermutlich nicht gerade überzeugend, und spürte noch während ich das sagte, wie sich erneut ein Klos in meinem Hals bildete. Er rührte sich nicht, doch ich sah, wie sich seine Kiefermuskulatur anspannte. Ich hatte ihn beim Nachnamen genannt in dem Bewusstsein, dass es wahrscheinlich einer der besten und einfachsten Wege war, meinem Unmut Ausdruck zu verleihen und ihm klarzumachen, dass ich gerade nicht besonders gut auf ihn zu sprechen war. Er wirkte, als verstünde er nicht, wieso. Als wüsste er nicht, was er gestern Nacht getan hat. Als meine Hände zu Zittern begannen, realisierte ich, dass wir bereits eine ganze Weile einfach da standen, ohne etwas zu tun. Er hatte seinen Blick immer noch nicht von mir abgewandt, so als versuche er zu ignorieren, dass ich etwas gesagt hatte. Auf einmal wollte ich nur noch weg. Ich hatte das Gefühl, dass ich seinem Blick nicht mehr standhalten konnte. Ich löste mich aus meiner Starre und versuchte, mich an ihm vorbei zu drängen, doch er hielt mich am Handgelenk fest. Seine Hand war kühl und trocken. „Lily. Bitte lass uns reden." Seine Stimme klang gepresst und eindringlich und ich konnte seinen Atem spüren, der die Härchen an meiner Schläfe in Bewegung brachte. Ich ignorierte das sanfte Kitzeln auf meiner Haut und den Schauer, der mir bei dieser Berührung über den Rücken lief. „Bitte." Setzte er flehentlich hinzu. Ich war unschlüssig. Was wenn das alles wirklich ein Missverständnis war? Wenn sich alles durch ein kurzes Gespräch klären würde? Ein Teil von mir wünschte sich nichts sehnlicher, als bei ihm zu sein und ihm zu vertrauen. Ein anderer Teil wollte weg, und mit meinen Freundinnen darüber sprechen. Ich war mir sicher, dass ich nach einem ausführlichen Gespräch mit ihnen wieder etwas klarer
denken
konnte. Der Druck an meinem Handgelenk verstärkte sich, als ich nicht antwortete und auf einmal hatte ich keine Lust mehr, ihm zu vertrauen. „Du tust mir weh." Stellte ich klar, und erwiderte seinen Blick so gut ich konnte. Ich befreite mich aus seinem Griff und lief an ihm vorbei.
Im Laufe des Tages hatte James mehrmals versucht mich abzufangen. Vermutlich, um mir alles zu erklären. Jedes Mal hatte ich ihn nicht beachtet und war einfach weiter gegangen, als hätte ich ihn nicht bemerkt. Beim letzten Mal, als sich nur ein zwei Zweitklässler außer uns auf dem Gang befunden hatten, hatte ich ihn sogar angeblafft, er solle mich gefälligst in Ruhe lassen und sich jemand anderen suchen, den er belästigen kann. Ich hatte das nicht getan, weil ich wirklich wollte, dass er sich von mir fernhielt. Eher im Gegenteil. Ich mochte es, wenn er in meiner Nähe war. Es war nur so, dass ich Angst vor einem Gespräch mit ihm hatte. Wenn ich ihn in meine Nähe ließ, lag die Wahrscheinlichkeit, dass wir redeten und nicht so taten, als sei alles wie vorher, weit über hundert Prozent. Und wenn wir redeten, konnte ich nicht länger in der Illusion leben, dass es keinen Potter gab. Keinen James Potter, der es nicht nur geschafft hatte, mit mir, Lily Evans, zusammenzukommen, sondern es auch noch fertig gebracht hatte, ihr das Herz zu brechen. Obwohl ich es hätte besser wissen können und müssen. Da sich auf besagtem Flur nun aber nur so wenig Menschen befunden hatten, hatte ich befürchtet, der Versuchung, James zu packen und ihn nie wieder loszulassen, nicht widerstehen zu können. Diese wenigen Menschen hatten aber auch bedeutet, dass es nur wenige Zeugen gab, wenn ich ihn in aller Öffentlichkeit anschrie. Ich hatte gehofft, dass diese Zweitklässler zu Jung waren, um die Gerüchteküche über James' und meinen Beziehungsstatus zum Brodeln zu bringen. Wie auch alles andere, was in letzter Zeit passiert war, hatte ich im Nachhinein versucht, diese Begegnung zu vergessen, und meinen Alltag weiterzuleben, als sei alles wie immer. Als ich abends gemeinsam mit meinen Freunden in die große Halle gegangen war um Abend zu essen, hatte ich mit Bedacht einen Platz ganz vorne am Gryffindore Tisch gewählt. Die Jungs hatten etwa mittig am Tisch gesessen und den freien Plätzen neben ihnen nach zu urteilen, hatten sie erwartet, dass sich jemand zu ihnen gesellen würde. Ob es nun wir gewesen waren, oder jemand anderes, wusste ich nicht. Die anderen hatten sich wortlos zu mir gesetzt, auch wenn mir Emilies sehnsüchtige Blicke in Richtung Sirius keineswegs entgangen waren. Da jetzt weder genug Ruhe zum Nachdenken da war, noch genug Zeit, noch genug Privatsphäre, um andere nicht mit klischeehaften Mädchengesprächen und Philosophien über Jungs zu belästigen, hatten wir abgemacht, dass wir uns später zusammen in den Mädchenschlafsaal setzen würden um zu reden. Nach diesem Beschluss hatten wir uns nur über vergleichsweise belanglosere Themen unterhalten, wie einen kurzen Einschnitt in den aktuellen klatsch, unsere Unterrichtsthemen auf einer Skala von Langweilig über einschläfernd bis hin zu beinahe Tödlich oder unsere Pläne für das nächste Hogsmead Wochenende. Ich hatte mich nicht so sehr an den Gesprächen beteiligt wie sonst, hatte aber versucht, wenigstens nicht uninteressiert oder gar gelangweilt auszusehen. Denn das war ich nicht. Ich war lediglich sehr müde. Aufgrund des vielen Kaffees, den ich heute schon Konsumiert hatte, war an Schlaf vor der Nachtruhe leider nicht zu denken, und ich würde den ganzen Abend in einem Dämmerzustand verbringen, der weder wach, noch schlafend war. Nach dem Abendessen hatte ich mich in die Bibliothek zurückgezogen, unter dem Vorwand, in Ruhe Hausaufgaben machen zu wollen, für die ich Bücher aus der Bibliothek benötigte. Das war nicht gelogen, ich hatte wirklich noch einiges zu erledigen, doch das war nicht der Grund, warum ich hergekommen war. Mal ganz abgesehen davon, dass mit meiner zurzeit chronischen Unproduktivität sowieso nicht an Hausaufgaben zu denken war. In meinen ersten sechs Jahren auf Hogwarts war ich immer in die Bibliothek gegangen, wenn ich Ruhe brauchte. Hier war ich ungestört und nicht von lärmenden Kindern umgeben, die nichts Besseres in ihrer Freizeit zu tun hatten, als Lily Evans auf die Palme zu bringen. Dieses Schuljahr war ich seltener hergekommen. Denn dieses Schuljahr hatte ich einen fast ganz eigenen großen Gemeinschaftsraum mit einer fast ganz eigenen kleinen Bibliothek, sowie ein ganz eigenes Zimmer, in dem ich immer allein sein konnte, wann ich wollte und vor allem immer meine Ruhe hatte. Doch da ich Potter ja im Moment aus dem Weg ging, konnte ich da nicht mehr hin. Und im Gryffindore Gemeinschaftsraum konnte ich das mit der Ruhe von vorneherein vergessen. Jetzt saß ich hier, vor meinen aufgeschlagenen Büchern und einem leeren Stück Pergament vor der Nase, und schaffte es nicht, meine Gedanken zehn Sekunden in Folge auf ein Thema zu konzentrieren, geschweige denn etwas aufzuschreiben, was qualitativ hochwertiger war als ein Aufsatz von Ug dem Unzuverlässigem. Das, was ich aber länger als zehn Sekunden konnte, genauer gesagt, die ganze Zeit, abgesehen von den sich wiederholenden paar Sekunden, die ich für meinen Aufsatz aufbrachte, war Trübsal blasen. Ich erinnerte mich an James und unsere letzte Begegnung heute. Sie lag mittlerweile mehrere Stunden zurück. Offenbar hatte er sich meinen Wunsch, er solle mich in Ruhe lassen, mehr zu Herzen genommen, als ich erwartet hatte. Und mehr, als ich mir insgeheim erhofft hatte. Einerseits war ich froh darüber, da ich so nicht mit ihm sprechen musste. Andererseits tat es mir aber auch leid. Ich hatte ihn nicht anschreien wollen. Doch ich wusste, es hatte keinen Zweck das jetzt zu bereuen. Ich konnte noch so viel darüber nachdenken, und es würde sich nicht ändern. Außerdem hätte es auch schlimmer kommen können. Ich hatte ihm lediglich gesagt, er solle gehen. Wenn auch etwas laut. Mein Gehirn hätte sich auch dazu entscheiden können ihm zu sagen, dass ich ihn hasste. Oder ihn direkt verfluchen. Da war die tatsächliche Version doch noch die Beste. Wenn auch genauso wenig meinen Gedanken und Wünschen entsprechend wie die anderen. Ich seufzte und wanderte mit meinen Gedanken den restlichen Verlauf des Nachmittages entlang. Später nach dem Unterricht war ich Sirius zufällig auf einem Flur im vierten Stock begegnet. Ich hatte mich gefreut ihn zu sehen, und noch mehr hatte ich mich darüber gefreut, ihn allein anzutreffen. Wir hatten uns kurz unterhalten, uns versprochen wieder mehr miteinander zu machen und waren dann nach einer Umarmung weitergegangen. Kurz bevor er um die nächste Ecke gebogen war, hatte er sich noch einmal umgedreht und mir zugerufen, ich solle dringend mit James reden. Diese Bemerkung hatte ich nur mit einer wegwerfenden Handbewegung quittiert, auch wenn ich wusste, dass er Recht hatte. Ich wusste doch, dass ich das dringend tun sollte. Kommunikation war schließlich der Schlüssel zu allem. Und ich wusste auch, dass ich mich wahrscheinlich so verhielt, wie eine Figur aus einem Unterhaltungsroman, bei dem die Gesamtproblematik darin bestand, dass die Protagonisten nicht miteinander sprachen. Ich hasste solche Geschichten, doch ich hatte einfach zu viel Angst, dass es mit ein bisschen Kommunikation nicht getan sein würde. Was, wenn James tatsächlich Gefühle für dieses Mädchen hatte? Wenn ein Gespräch nur dazu führen würde, dass wir uns trennten? Da war es doch wesentlich leichter, sich vor dem Notwendigen zu drücken und sich einzubilden, es gäbe keinen Potter. Keinen festen Freund, der einen verletzen konnte. Ich versuchte, an dieser verqueren Logik festzuhalten, doch je mehr ich darüber nachdachte, desto falscher kam mir dieser Gedanke vor. Wenn ich wirklich so dachte, und mit gutem Gewissen versuchte, diese Taktik durchzuführen, war der Gedanke, der sprechende Hut könnte mich im ersten Jahr ins falsche Haus eingeordnet haben, keineswegs abwegig. Ich war eine stolze Gryffindore. Eine Löwin. Mutig. Doch leider war das, was ich hier Tat, alles andere als mutig. Ich seufzte. Ich wollte nicht feige sein. Ich wollte mutig sein. Ich mochte mein Haus. Doch wenn ich diese ganze ermüdende Situation betrachtete wie eine Gryffindore, musste ich zugeben, dass meine Pläne von der Nichtachtung der Probleme statt einer Problembehebung relativ sinnfrei waren. Ich musste mit James reden. Und daran führte kein Weg vorbei. Doch als aller erstes würde ich mit meinen Freundinnen über die ganze Sache sprechen, und mir anhören, wie sie das alles interpretierten.
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Küss mich, Potter! Die Fortsetzung
FanficIn dieser ff läuft James Lily nicht ständig hinterher. Doch trotz eines Zwischenfalls, der Lilys nicht vorhandene Fähigkeiten im Bezug auf ihren Freund in Frage stellt, muss sie James um Hilfe bitten und die beiden sind gezwungen "zusammenzuarbeiten...