[4] I'm a fucking Survivor, bitch

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Schluchzend fuhr ich hoch. Das Wasser brannte in meinen Augen, während sich die Wände der Dusche wie die einer Zelle anfühlten.
Winselnd griff ich nach dem Griff neben der Armatur, doch fand ich keinen Halt und glitt zurück auf den aufgewärmten Boden, während das Wasser weiter auf mich hinabprasselte.
Verzweifelt griff ich mir an den Kopf, als sein Gesicht wieder vor meinen Augen auftauchte.

Seine Arme legten sich um mich und ich hielt inne in meinem Lachen.
Hatte er vergessen, dass ich als Mädchen einen Intimbereich mehr hatte als er als Junge?
Vorsichtig griff ich seine Handgelenke, drückte sie vorsichtig mitsamt seiner Arme von mich und ließ sie schließlich sinken. "Ich mag Körperkontakt nicht so", versuchte ich ihm zu erklären und lächelte unsicher.

"Fuck!", rief ich aus, schlug auf den Boden und zuckte zurück, als Wasser in meine Nase lief.
Benommen blinzelte ich einige Male.

Wieder löste ich seine Hände von meinen Brüsten.
Hatte er mich nicht schon so seltsam berührt, als ich ihn Huckepack getragen hatte? Insofern es mir überhaupt gelungen war.
"Hey, ich mag das echt nicht. Sogar Umarmungen sich nicht so meins", meinte ich, lief vorwärts und musterte ihn unsicher.

Könnte ich jetzt nicht einfach ertrinken in diesem Wasser..?
Diese Last würde von mir fallen und alles wäre vorbei...
Wäre das nicht gut?
Oder gar perfekt?

Ich zögerte, als ich seine Handgelenke ein drittes Mal von mir wegdrückte und mich ein wenig von ihm entfernte.
Nervös musterte ich die Bäume hinter ihm.
"Du erzählst es doch niemandem, oder?"
Nervös schüttelte ich den Kopf. "Was meinst du?"
"Du erzählst deiner Mutter doch nicht, dass ich dir an die Brust gefasst habe, oder?"
Ich zögerte.
Lächelte unsicher.
Schüttelte erneut den Kopf. "Es gibt nichts, was ich erzählen könnte."

Ein leises Röcheln drang aus meiner Kehle, als ich hochfuhr und hustend das Wasser ausspuckte.
Nein, ich wollte nicht ertrinken...
Aber es sollte doch einfach nur aufhören...

Ich drückte meinen Rücken durch, als er mich näher zu sich heranzog.
"Bist du kitzlig?"
Ich verneinte.
"Sicher?"
Nervös rückte ich wieder ein kleines Stück von ihm weg.
"Sicher."

"Was bitte sollte das?"
Unzufrieden blickte er mich an. "Man, ich weiß es nicht. Ich habe nicht nachgedacht, es tut mir leid."
"Jetzt wo ich dich darauf angesprochen habe tut es dir leid?" Mein Herz drückte unangenehm gegen meine Brust.
Ich wollte hier nicht mit ihm draußen sein - wenn man den kleinen Jungen, der etwas weiter weg mit Knallerbsen spielte, mal kurz ignorierte.
Aber ich hatte ihn ganz einfach drauf ansprechen müssen...
Und was hieß hier bitte, er wisse nicht, warum er getan hatte, was er getan hatte?
Was sollte das denn bitte heißen?
Er musste mir doch sagen können, was ich falsch gemacht hatte.
Warum sonst hätte er mir das antun sollen, wenn nicht wegen eines Fehlers meinerseits?


Seine Hand glitt ein wenig unter mein Shirt, als er mich wieder zu sich heranzog.
Tief in mir drinnen schrie ich meine Verzweiflung heraus.
Ausgerechnet dort, wo sie niemand hören konnte.
Warum bitte tat ich denn nichts gegen das, was er da tat?

Weißt du...
Rückblickend wirkt das jetzt, wo ich es mal wieder aufgeschrieben habe, gar nicht so schlimm.
Ich meine...
Du hast ja nichts gemacht.
Mich nur berührt.
Mehr nicht.
Mich zu nichts gezwungen.
Mich einfach nur berührt.
Und den letzten Teil wusste ich bis zu dem Moment, an dem ich meine Nachricht an einen Freund wieder gelesen habe, gar nicht mal mehr.

Er hat sich an dir vergriffen?«
»Wie definierst du ‚vergreifen'?«
»Dich zum Küssen gezwungen?«
Ein verzweifeltes Lächeln huschte über mein Gesicht. »Nein.«-

Es klingt doch echt nach Nichts.
Einfach nur danach, als würde hier jemand nach Aufmerksamkeit schreien.
Und ja, verfickt nochmal.
Das tue ich.
Ich schreie danach, obwohl ich schweige.
Ich schreie mich selber an, obwohl ich mich selber doch gar nicht sehe.
Gar nicht sehen will.
Aber seien wir mal ganz ehrlich.
Wenn ich nicht mit ihm geredet hätte und jetzt alles wieder cool zwischen uns wäre - was wäre dann?
Wäre ich - in der Angst, dass er es wieder tun könnte - dann irgendwann zur Polizei gegangen?
Oder in richtige Selbsthilfegruppen?
Ratet mal, zwischen was für Leuten ich dort gegessen hätte.
Zwischen Überlebenden.
Zwischen Leuten, die verfickt nochmal vergewaltigt wurden.
Oder an denen sich zumindest jemand vergriffen hätte.
Was wäre ich denn dann gewesen?
Nichts.
Einfach nur jemand, der sich aufspielt.
Ratet mal, was Polizisten gesagt hätten. "Einfach vielleicht nächstes Mal Pfefferspray mit sich führen."
Ja vielleicht wären dort andere Sachen bei rum gekommen.
Schließlich bin ich doch noch minderjährig.
Aber ist es nicht egal, ob nun Frau oder Mann, Mädchen oder Junge, alt oder jung?
So etwas ist verdammt nochmal sexuelle Belästigung.
Man muss nicht erst vergewaltigt, geschlagen, gemobbt oder anderweitig missbraucht werden, um sagen zu können: "Mir geht es scheiße. Ich will nicht mehr."
"My name is Jessica Davis, and I'm a survivor."?
Wir sind alle Überlebende und dabei ist es auch völlig egal, ob die Definition auf uns passt.
-Sexualisierte Gewalt
-Machtmissbrauch
-Massive Form von Gewalt
-Zerstörungspotienzial
Klingen diese Wörter für euch etwa nach simplen Berührungen?
Sprüchen?
Andeutungen?
Für mich nicht.
Und ich weiß, dass das falsch ist.
Man redet von Kindern.
Bis zu einem Alter von vierzehn Jahren ist man ein Kind.
Ich war über vierzehn und die letzte Konfrontation mit so etwas war mit sechzehn.
»Ach, warte mal. Sie waren da fünfzehn? Uff... Sorry, aber da können wir leider nichts machen.«
Bullshit.
Tut mir leid, wenn ich jetzt vielleicht ausfallend werde, aber es ist ganz einfach die Scheiße einer Kuh.
Es ist völlig egal, ob du ein Kind, ein Jugendlicher, ein Erwachsener oder vielleicht schon Rentner bist.
Steh auf und schrei es heraus.
Nenn deinen Namen und schrei »Ich bin ein Überlebender!«
Wer dich dann ansieht und sagt »Oh mein Gott, du wurdest vergewaltigt?!"
»Nein, schlimmer.«
Denn bei Vergewaltigungen würde jeder zustimmen, dass es schlimm ist.
Belastend.
Zerstörend.

Würde ich diesen Text öffentlich und unter meinem richtigen Namen hochladen - was würde man dann sagen?
Was würdest du sagen?
Du, der du das hier gerade liest?
Es würde mich interessieren.
Oder besser gesagt: es interessiert mich.
Oder was würdest du sagen, der du es warst, der damit angefangen hat?
Ich bin dir nicht böse.
Im Gegenteil.
Du tust mir leid.
Denn hätte ich etwas dagegen getan, hätte es dich im Nachhinein nicht belastet.

Sag, was denkst du, der du das hier gerade liest, dir jetzt gerade?
Was möchtest du loswerden?
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Oder komplett andere?

Und ich sage die ganze Zeit, schreit es hinaus.
Und ich selber wage es bisher nicht.
Aber hey, wisst ihr was?
Irgendeiner muss ja den Anfang machen.

Mein Name ist Imke, und ich bin ein Überlebender.

Seid ihr auch einer?

Mit Überlebender meine ich generell, ob euch etwas passiert ist.
Scheiß egal, ob im gewalttätigen- sexuellen- psychen- oder was auch immer Sinne

Schreibt eure eigene Definition

- mögliche Änderungen vorbehalten -

fuck tut das grad gut...

mihirikou

30*09*2019
00*28 Uhr und 00*35 Uhr und 00*36 Uhr

Hyōka - weil jeder einmal schreien muss  ||  氷菓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt