What you don't know about me

Valerie - Kapitel 23

Wenig später liege ich mit allen vieren von mir gestreckt auf Silas' Bett und höre ihm dabei zu, wie er auf seiner Gitarre rumklimpert.

Eigentlich sollte ich schlafen oder so, aber ich habe keine Lust alleine zu sein, und irgendwie habe ich das Gefühl, Alpträume zu bekommen, wenn ich jetzt schlafe. Also habe ich Silas dazu überredet, mir was vorzuspielen, woraus dann nach einigen Liedern ein planloses Geklimper geworden ist. Aber ich mag es irgendwie zu sehen, wie Silas konzentriert am Bettende sitzt und versucht, einen neuen Song zu lernen, und wie er breit grinst, wenn er wieder einen neuen Teil erlernt hat.

Joshua und Leona sind auf den Flohmarkt gegangen, der dieses Wochenende stattfindet, um sich etwas abzulenken von den heutigen Geschehnissen. Es ist schon später Nachmittag, und vor einer halben Stunde sind Maria und Juan nach Hause gekommen. Beide haben mir eine Standpauke darüber gehalten, dass ich nicht in der Badewanne einschlafen soll, waren dann aber doch unglaublich glücklich darüber, dass es mir mehr oder weniger gut ging.

Ich lächle leicht und schliesse kurz die Augen. Die Bilder von den Sekunden, in denen ich wach wurde, kommen in meinen Kopf, und ich will die Augen wieder öffnen, doch irgendwas hindert mich daran. Vielleicht meine Neugierde? Keine Ahnung.

Ich erinnere mich also daran, dass ich zuerst nur weiss sah und das Gefühl hatte, gleich zu ersticken. Jemand hatte seine Hand an meinen Rücken gelegt, und meine Kleider klebten unangenehm nass und kalt an mir. Ich erkannte unser Badezimmer und merkte, dass ich auf einem nassen Boden saß. Mein Blick wanderte zu der Person, die mich hielt, und mein Kopf sackte an deren Brust. Ich erkannte Silas und sah ihm kurz in die Augen.

Waren das Tränen? Weinte Silas? Ich öffne die Augen und starre an die Decke. Hat Silas wirklich geweint? Aber wieso?

„Ich weiss zwar, dass das gerade sehr falsch geklungen hat, aber so schmerzhaft kann es doch nicht gewesen sein, oder?" Ich schaue zu Silas und bemerke, dass er meinen verwirrten, nachdenklichen Gesichtsausdruck wohl gesehen haben muss.

„Nein, alles gut, ich... ähm, ich war in Gedanken" sage ich schnell, und Silas nickt etwas verwirrt. Dann hängt er seine Gitarre an die Wand und nimmt seinen Platz wieder ein. Ich setze mich etwas auf und studiere weiter daran rum, ob Silas geweint hat oder nicht. Obwohl – er hat geweint. Das weiss ich ja. Aber wieso?

„Jetzt hau schon raus Valy. Worüber zerbrichst du dir jetzt schon wieder die Birne?" Ungeduldig sieht Silas mich aus seinen grauen Augen an und hebt zusätzlich noch eine Augenbraue. Ich lächle leicht und räuspere mich. „Kann ich dich was fragen?" sage ich dann, und Silas verzieht das Gesicht. „Ich habe keine guten Erinnerungen an diesen Satz, aber frag ruhig."

Ich lächle etwas breiter und wende meinen Blick nicht von Silas ab. „Warum hast du geweint als ich aufgewacht bin?" Silas schluckt, und er scheint genau zu wissen, was ich meine. Schon das zeigt, dass ich mich nicht getäuscht habe. Er hat definitiv geweint. Ich starre direkt in diese grauen Augen, die mich etwas erschrocken anschauen, und ich entdecke etwas, was ich bei Silas vorher noch nie gesehen habe: Schmerz. Wut. Enttäuschung. Trauer. Alles in einem verdammten Blick.

Sowas habe ich noch nie gesehen. Nicht mal heute Morgen, und nicht mal bei mir. Ich frage mich, was passiert ist, damit Silas bei diesem Thema so reagiert. Ausgerechnet bei diesem Thema. Ich schlucke und kann den Blick nicht abwenden. Ich hätte nie gedacht, dass Silas auch so sein kann. Auch wenn es nur ein Blick ist, irgendwie verleiht diese ganze Situation dem extrem viel Vertrauen und irgendwie auch Intimität seinerseits. Ich glaube nicht, dass Silas jeder willkürlichen Person diesen Blick zeigen würde.

„Silas, du musst nicht reden, wenn du nicht willst" flüstere ich, doch Silas schüttelt fast unmerklich den Kopf. „Nein, ich... es ist nur, dass ich diese Situation vor ein paar Jahren schon mal erlebt habe." Seine Stimme ist rau und leise, und ich spüre den Schmerz, der in ihr mitschwingt. Was soll ich jetzt sagen? Wie soll ich da drauf reagieren? Hat die Person überlebt?