What you don't know about me

Valerie - Kapitel 69

„Ich habe keine Lust mehr" stöhne ich frustriert, und lasse meinen Kopf hängen. Mir ist tatsächlich so kurz vor Ferienende noch eingefallen, dass wir einen Bericht über etwas aus unserem Leben schreiben müssen, was für uns wie eine Leidenschaft ist. Für mich also tanzen, da das bloße Anstarren meines Freundes leider nicht zählt. Wenn es zählen würde, könnte ich ganze Romane darüber verfassen.

„Du musst aber fertig sein, wenn die Schule wieder anfängt" nuschelt Nate mit vollem Mund, und schiebt sich schon den nächsten Keks nach. „Ja danke, das weiss ich auch" murre ich leise, und lege meinen Kopf auf die Tischplatte. „Aber ich habe trotzdem keine Lust mehr." Nate lacht leise, und ich höre, wie sich mein Bett bewegt, was darauf hindeutet, dass Nate sich darauf bewegt.

Als einige Sekunden später eine Silhouette neben mir auftaucht, weiss ich, dass er sich sogar dazu bequemt hat, aufzustehen. Obwohl Nate eigentlich ein sportlicher Typ ist, grenzt das für heute schon fast an eine Meisterleistung, denn er hat den Freitag jeder Ferienwoche als seinen persönlichen Ober-Gammel-Tag auserkoren.

Und heute ist Freitag.

„Lass mich mal sehen." Nate schnappt sich meinen Laptop und scrollt den Text rauf, den ich bisher verfasst habe. Wir müssen vier Seiten schreiben, und ich bin beim Ende der Dritten, doch ich weiss leider wirklich nicht, womit ich diese verdammte vierte Seite auch noch füllen soll. Nate kaut langsam, während er konzentriert auf meinen Text sieht, was mir die Möglichkeit gibt, ihn zu mustern.

Er hat eine ziemlich perfekt gerade Nase, ein kleines Piercing in der linken Augenbraue und recht volle Lippen. Außerdem fallen ihm immer wieder ein paar widerspenstige Strähnen seiner blonden Haare ins Gesicht. Ich versuche akribisch, Ähnlichkeiten zu meiner Mom zu finden, die ich auch schnell entdecke. Zum Beispiel die Lippen – wir haben sie beide von Mom. Dann die blaugrünen Augen – ebenfalls Moms Werk. Seine Nase und die Form seiner Augen und Augenbrauen scheinen von seinem Vater zu stammen, und auch das Blond seiner Haare ist etwas zu blond für unsere Familie.

„Ich habe zwar keine Ahnung wieso du mich scannst, aber ich kann mich so nicht sehr gut auf deinen Bericht fokussieren." Nate dreht sich mit einer gewölbten Augenbraue zu mir um, und ich schmunzle ertappt. „Sorry, ich kann nur noch nicht so richtig glauben, dass ich einen Halbbruder habe. Und ich wollte wissen, was du von Mom hast, und was von deinem Dad."

Nate grinst leicht und dreht sich wieder zu meinem Bildschirm. „Bist du fündig geworden?" Ich nicke eifrig und lächle. „Augen und Lippen sind von Mom. Der Rest von deinem Dad." Nate grinst und zuckt dann mit den Schultern. „Gut möglich, denke ich mal. Ich habe mich nie wirklich darauf fokussiert." Ich nicke und lehne mich etwas zurück. Eine Weile denke ich darüber nach, wie Nate wohl über seinen Vater denkt. Immerhin hat er ihn geschlagen, was bei mir nie passiert ist. Ich kann es mir nicht vorstellen, wie ich über meine Eltern denken würde.

„Darf ich dich was fragen?" höre ich mich selbst sagen, und könnte mir eine klatschen. Nate sieht mich kurz an und nickt dann. „Klar, schiess los." Nervös bearbeite ich meine Unterlippe und wende den Blick dann ab. „Also... es ist ziemlich persönlich." Ich schaue Nate vorsichtig an, und sehe, dass er sich mir jetzt vollständig zugewendet hat. „Okay" sagt er jedoch nur, und ich seufze.

„Wie siehst du deinen Vater jetzt eigentlich? Ich meine... normalerweise ist der Vater ja so eine Art Heldenfigur für kleine Kinder, und für Jugendliche dann einfach... ein Elternteil. Wie aber sieht man nach solchen Erlebnissen seinen Vater?" Nate sieht mich eine Weile stumm an, und ich befürchte, zu weit gegangen zu sein. Natürlich bin ich zu weit gegangen, er weiss ja nicht mal wirklich, dass ich Bescheid weiss.

„Mom hat es also erzählt?" fragt Nate daraufhin auch gleich, und ich nicke schüchtern. „Ja, also... nur, dass du geschlagen wurdest" sage ich leise, und frage mich, wie ich aus dieser Nummer heil rauskomme, ohne meine brüchige Freundschaft mit Nate zerstört zu haben. Wieder starrt Nate vor sich hin, und ich sehe die Zahnräder in seinem Hirn förmlich vor mir.