Kapitel 11 - Hand

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Der Zug, in den wir steigen, ist nahezu leer, die meisten Menschen sind längst daheim und essen zu Abend.
Patrick hat meine Hand bis jetzt nicht los gelassen und ich habe auch nicht vor es zu tun. Es stört mich nicht, ganz im Gegenteil. Patricks Hand fühlt sich, wie sie da um meine Hand gewunden zwischen unseren Sitzen liegt, genau richtig an. Sie ist warm, trocken und etwas rau, und schließt sich, da sie doch etwas größer ist als meine, komplett um meine linke Hand.

Völlig damit beschäftigt, meine rasenden Gedanken zu entschlüsseln, was das hier gerade zu bedeuten hat, merke ich garnicht, dass Patrick mich anschaut, bis ich ein fast lautloses Kichern von seiner Seite wahrnehme. Ich drehe meine Kopf zu ihm und hebe fragend eine Augenbraue, doch er lächelt mich nur ehrlich an.
"Was ist los?", frage ich jetzt verunsichert, etwas in Sorge, dass ich eventuell doch meine Gedanken nicht nur gedacht habe.

"Ich glaube wir sind uns echt ähnlich", sagt Patrick aber, "immer in Gedanken vertieft". Ich nicke gedankenversunken und schaue nach rechts aus dem Fenster. Die Bahn nimmt nach einem Halt wieder an Fahrt auf und ich lasse meinen Blick über die mit Lichtern geschmückte Stadt streifen.

Ich versuche meinen Herzschlag zu beruhigen, doch es hüpft weiterhin freudig in meiner Brust hin und her. Ob Patrick meinen Puls spürt?
"Wann müssen wir eigentlich raus?", fragt der in diesem Moment und ich schrecke erneut aus meinen Tagträumen auf.

'Komm schon Sophie', rede ich mir zu, 'konzentriere dich verdammt! Du bist doch sonst nicht so. Wo ist deine Schlagfertigkeit hin?'
Doch die scheint einfach verpufft zu sein. Genau in dem Moment, als Patrick meine Hand genommen und nicht mehr los gelassen hat.

"Noch vier Stationen, von da aus dann noch so etwa fünf Minuten Fußweg", antworte ich, nachdem ich einen kontrollierenden Blick auf die Anzeige des Zuges geworfen habe. Patrick nickt und streicht sich mit seiner freien Hand eine seiner braunen Haarsträhnen zurück in seine Frisur. Ich folge seiner Bewegung mit den Augen, muss lächeln und wende dann den Blick wieder auf das leuchtende Hamburg auf der anderen Seite des Fensterglases.

Der Zug hält wieder, noch drei Stationen. Gerne würde ich etwas sagen, was die Stille bricht, doch mein Kopf ist wie leer gefegt. Ich werde nervös, langsam wird das Schweigen zwischen uns beiden seltsam. Zum Glück bricht Patrick erneut die Stille und ich atme innerlich auf.

"Feiert ihr morgen mit der Familie dann auch in der Kirche? Oder einfach Zuhause mit gutem Essen?", fragt er. "Beides", sage ich, erleichtert über dieses Gesprächsthema.
"Nachmittags treffen wir uns, also meine Eltern, mein Bruder und ich, mit meiner Tante und meinen Großeltern in der Kirche und gehen dann nach dem Gottesdienst nach Hause, wo es dann erst Essen und dann Bescherung gibt. Mein Bruder arbeitet seit Lebenszeiten daran, dass die Reihenfolge getauscht wird, doch bis jetzt hat er es noch nicht geschafft", erzähle ich und muss bei dem Gedanken lachen. Auch Patrick grinst.

"Dein Bruder scheint mir sehr vernünftig zu sein", lacht er. Ich muss lächeln: "Ja, ihr würdet euch bestimmt gut verstehen".
Wir grinsen uns an und ich bin erleichtert. Von wegen unangenehmes Schweigen.

"Boa, schau mal", wispert Patrick in diesem Moment und deutet an mir vorbei. Ich drehe mich wieder zum Fenster und weiß sofort, was er meint. Draußen segeln mit einem Mal dicke weiße Flocken vom Himmel, setzen sich auf die Fensterscheibe des Zuges und bleiben sogar auf den anliegenden Gleisen liegen. "Wow", hauche ich und hebe meine Hand an die Scheibe, doch natürlich erreiche ich die Flocken nicht.

Der Zug hält und mich packt meine Spontanität. Ich stehe auf und sehe Patrick mit vermutlich glänzenden Augen an. "Los, raus!", grinse ich. Mein Gegenüber sieht mich perplex an, doch ich ziehe ihn schließlich einfach entschlossen hinter mir her aus dem Zug.

Knapp hinter Patrick schließt sich die Tür und wir stehen fast alleine auf dem Bahnsteig. Die anderen Passagiere eilen zielsicher auf die Ausgänge zu, allesamt mit Päckchen und Tüten beladen. Alle lächeln, aber niemand reicht an das Lächeln heran, dass sich auf meinem Gesicht ausgebreitet hat.
Ich stehe mit Patrick an der Hand auf dem Bahnsteig und schaue in den Himmel. Es schneit. Endlich.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 12, 2020 ⏰

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ZEHN TAGE.》 Paluten Fanfiction 《Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt