Hicks
Ich starrte auf das Meer hinaus. Krachend brachen sich die grauen Wellen und ließen nichts als weißen Schaumkronen zurück. Es war eine stürmische See, aufgewühlt. Wie ich. Mittlerweile war der Tag angebrochen, ein grauer, wolkenverhangener Tag. Ich fragte mich, ob das Wetter meine Stimmung noch mehr versauen wollte. Andererseits hätte sich strahlender Sonnenschein wie Hohn angefühlt. Es gab wohl kein richtiges Wetter für so eine Situation. Ich seufzte und richtete meinen Blick wieder auf die hypnotisierenden Wellen unter mir, in der Hoffnung, sie könnten mich von den Fragen ablenken, die mir die ganze Zeit durch den Kopf schossen.
Wieso? Wieso hatte ich es nicht verhindern können? Wieso hatte ich mich schon wieder von Viggo austricksen lassen? Wieso konnte ich ihm nicht ein Mal einen Schritt voraus sein? Und wieso musste Ohnezahn jetzt die Konsequenzen tragen? Das war nicht fair, er hatte es am wenigsten von uns allen verdient. Ich hätte es sein sollen, ich hätte jetzt in Viggos Lager gefangen sein sollen, nicht er. Aber es fragte niemand nach fair oder nicht. Wenn das so wäre, wäre Romi nicht völlig allein losgezogen, um Ohnezahn zu befreien. Auch sie würde den Preis für mein Versagen bezahlen. Warum hatte ich es nicht verhindert? Schon wieder begab sich jemand in Gefahr, nur um meine Fehler wieder gut zu machen.
Würde das jemals aufhören? Oder würde ich auf ewig zusehen müssen, wie ich die, die mir wichtig waren, ins Verderben schickte? Ja, alle meine Freunde sagten mir, dass es nicht meine Schuld war, doch ich wusste es besser. Es war meine Schuld. Ich hätte es verhindern müssen, irgendwie. Meinem Verstand war bewusst, dass ich nichts hätte tun können, doch ich wurde das Gefühl der Schuld nicht los. Und jetzt saß ich schon wieder einfach nur herum und wartete darauf, dass andere für mich die Sache in Ordnung brachten.
Was hatte Romi sich überhaupt dabei gedacht? Sie mochte Ohnezahn nicht einmal, ihre Eltern warden von seinen Artgenossen getötet worden. Als sie davongeflogen war, hatte sie etwas von "Wenn ich schon das Gegengift nicht holen konnte, dann hole ich wenigstens ihn" gesagt. Auch sie machte sich Vorwürfe, dabei konnte sie am wenigsten für diese Situation. Sie war quasi in den Kampf hineingeschlittert, ohne es wirklich zu wollen.
Ich wusste immer noch nicht, ob es richtig gewesen war, sie über die Lüge ihrer Brüder aufzuklären. Natürlich hatte ich damals nicht ahnen können, was das alles für Folgen haben würde - und ich hatte das ungute Gefühl, dass wir erst ganz am Anfang standen -, aber ich hätte mir zumindest Gedanken darüber machen müssen. Und einerseits besaß sie zwar ein Recht, die Wahrheit zu erfahren, was sie ja auch gewollt hatte, aber andererseits steckte sie jetzt in einem Konflikt fest, dessen vollen Ausmaße keinem von uns bewusst waren und brachte für uns ihr Leben sowie ihr Verhältnis zu Viggo in Gefahr. Wegen mir hatte sie innerhalb von weniger als zwei Wochen ihr komplettes Weltbild sowie ihr Vertrauen zu ihren Brüdern verloren.
Warum machte ich mir überhaupt Gedanken darüber? Ich sollte mir lieber einen Plan ausdenken, um Ohnezahn und wahrscheinlich auch Romi zu retten. Wobei der sicher auch nicht funktionieren würde. Gar nichts funktionierte mehr! Jedes Mal trickste Viggo mich aus, ganz egal, was ich machte. Wenn wir ihn doch nur los wären! Wenn ich nur nie wieder sein verlogenes Grinsen sehen müsste! Aber das war wohl zu viel verlangt.
Und überhaupt, was konnte ich schon tun? Ohne Ohnezahn war ich nichts, ein Niemand, der nichts auf die Reihe kriegte. Ich brauchte ihn, so sehr ich auch versuchte, alleine stark zu sein. Wenn er doch nur wieder hier wäre! Dann würde mir sicher etwas einfallen, wie wir das hier beenden könnten. Aber er war nun einmal nicht...
Moment. Konnte es sein, dass... Aufgeregt kramte ich das Fernglas aus meiner Umhängetasche heraus, wobei ich vor lauter Hektik den restlichen Inhalt auf dem Boden verteilte. Mit feuchten Händen stellte ich es scharf auf den kleinen, schwarzen Punkt am Himmel. Mehr nach rechts drehen, nein links - jetzt!
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Drachenseele - Die Suche nach der Wahrheit
FanfictionVerschleppt von skrupellosen Drachenjägern, gezwungen Entscheidungen zu treffen, von denen das Wohl seiner Freunde, der Menschen auf Berk und aller Drachen abhängt. Die einzige Hoffnung: eine mysteriöse Drachenreiterin. Aber wer ist sie wirklich und...