9. Kapitel

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„Was soll der Scheiß!?"
Sie rührte sich nicht.
Raphael war da. Er hatte die Wohnung lautstark betreten, war auf offenbar direktem Weg in die Küche gegangen, hatte den Kühlschrank geöffnet und wohl den zerfledderten Döner, der auf der mittleren Ebene thronte, entdeckt. Malik hatte ja erwähnt, dass er ihm gehörte, aber Olivia hatte eben doch so viel Hunger gehabt, dass sie sämtliches Gemüse heraussortiert und gegessen hatte ..dem entsprechend sah das ganze nun aus.
Sie zog die Beine zurück auf die Couch; fest an sich und hielt sie mit beiden Armen umklammert. Ihr Kinn legte sie auf den Knien ab.
Bevor sie zu einer weiteren Bewegung fähig war stand er auch schon in der Tür.
„Was zum Fick machst du hier!?"
Unwillkürlich zuckte sie zusammen. So heftig, dass sie sich ihr Knie gegen den Unterkiefer rammte.
„Malik", sie schluckte, „Malik hat mich hoch gebracht", druckste sie herum.
Sie sah ihn ängstlich an. Sah, dass er eine aufgeplatzte Unterlippe hatte, die bei ihrer ersten Begegnung noch völlig in Ordnung war. Außerdem, hielt er die Plastiktüte in der Hand, in die er jetzt hineingriff und die notdürftig zusammengeknüllte Alufolie samt Inhalt hinaus nahm.
„Was soll das!?"
Sie zitterte; vor Kälte, aber auch vor Angst.
„Ich hatte Hunger", flüsterte sie kaum hörbar.
„Und du denkst, das juckt mich!?" Er wurde nur lauter.
„Du hast do-"
Bevor sie den Satz beenden konnte, bekam sie das, was er eben noch in der Hand gehalten hatte, an den Kopf geworfen.
Sie sprang auf, wischte sich panisch über Hose und Shirt, weinte, als sie schrie, er solle aufhören.
Doch wie sie erwartet hatte, wurde er nur noch wütender und war mit wenigen Schritten bei ihr.
Er packte sie bei den Haaren, zog ihren Kopf näher zu sich, musste sich ein Stück nach unten beugen, weil er gut eineinhalb Köpfe größer war, als sie, dann sagte er: „Dann kannst du ja den Rest auch noch essen."
„Nein!", quiekte sie. „Ich ess' kein Fleisch und auch sonst nichts von Tieren!"
Sie schluchzte, als er seinen Griff verstärkte, aber nur Sekundenbruchteile später lockerte er ihn auch schon, weil er ihr den Handballen gegen die Schläfe knallte und sie somit zurück auf das hässliche Sofa beförderte.
„Okay", seine Miene erstarrte. „Aber wenn du einfach machst, was du willst, kann ich das auch."
Liv riss die Augen weit auf und traf ihre Entscheidung, ohne weiter darüber nachzudenken.
Da er immer noch vor ihr stand, hob sie das rechte Bein, trat Rapha in die Eier, und sprintete ins Badezimmer. Dort angekommen drehte sie den Schlüssel - viel öfter, als es nötig gewesen wäre - im Schloss, zog ihn heraus, umklammerte ihn, lehnte sich mit dem Rücken gegen das Holz und rutschte daran hinunter, auf die kalten, staubig weißen Fliesen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals; vor Aufregung bekam sie kaum Luft. Einen Moment blieb es still; alles, was sie hörte, war ihre eigene Schnappatmung.
Dann schrie er wieder. Diesmal direkt nach ihr.
Er schrie ihren Namen.
Sie stand auf, zog das kleine Schränkchen, das an der Wand gegenüber vom Waschbecken stand, zu sich und stellte es vor die Tür, was in diesem winzigen Raum ein wirklicher Kraftakt war, zumal sie immer noch zitterte, wie diese viel zu dünnen kleinen Hunde, wenn man sie im Herbst oder Winter ausführt.
Erschrocken nahm sie die Hände davon, als die Türklinke gedrückt wurde. Erst einmal, dann immer wieder. Die Tür bebte, Raphael befahl ihr, aufzumachen und Olivia hatte Angst, er würde sie aufbrechen. Sagen konnte sie nichts, denn ihr blieb wieder - oder immer noch? - die Luft weg.
Entgegen ihrer Erwartungen hörte er recht zeitnah auf und sagte nur, nach einigen Schweigen:
„Das wirst du schon noch bereuen."
Dann war es still.

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