10. Kapitel

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Ihr tat alles weh, als die auf dem steinharten Fliesenboden aufwachte.
Aber sie wurde nicht etwa durch ihren Hunger oder Durst geweckt, sondern durch ein erneutes Rütteln an der Türklinke. Dazu kam ein Klopfen und eine Stimme. Malik.
„Mach auf", bettelte er förmlich.
Schwerfällig und zögernd stand sie auf, überlegte, schob dann doch das Schränkchen beiseite und schloss auf. Sofort drückte er wieder die Klinke und sah ihr direkt in die immer noch verweinten Augen.
„Bist du okay?"
Olivia wusste nicht, was sie dazu sagen sollte; biss sich auf die Unterlippe und wollte ihn nicht mehr ansehen.
Er seufzte und das „Was mach ich jetzt mit dir?" war ihm regelrecht auf die Stirn tätowiert.
„Wo ist er?", fragte sie leise.
„Er ist seit heute Morgen weg, keine Angst."
- Wie weich seine Stimme klingen konnte -
„"Heute Morgen"? Wie spät ist es?"
„Viertel vor vier", er sah auf seine Uhr.
„Oh", machte sie. Nach dem Datum wollte sie nicht fragen, weil sie in gewisser Weise Angst vor der Antwort hatte. Irgendwie hatte sie ihr Zeitgefühl völlig verloren; sie wusste ja nicht einmal, wie viele Stunden sie genau geschlafen hatte.
„Warum bin ich hier?"
Einen Augenblick sah er sie irritiert an, fing sich aber schnell wieder und sagte nur:
„Weil Rapha ein dämlicher Vollidiot ist."
Bevor sie weiter nachhaken konnte, viel sein Blick auf die Flecken auf ihrer Kleidung und er zog fragend beide Augenbrauen in die Höhe.
„Raphael hat mich mit dem Döner beworfen..", murmelte sie und sah beschämt auf ihre Füße.
Er sah sie fassungslos an und wieder entstand diese peinliche Stille, die er schließlich brach:
„In der Küche steht was zu essen. Mecker diesmal nicht; ich hab mir Mühe gegeben. Schau's dir an; ich komm gleich wieder."
Sie konnte nicht zum Ausdruck bringen, wie irritiert sie war, denn Malik drehte sich auf dem Absatz um und kurz darauf knallte die Haustür ins Schloss.

Tatsächlich hatte er sich offensichtlich bemüht, etwas mitzubringen, was Liv trotz veganer Ernährung essen konnte und in ihrer Situation waren selbst Haferflocken, pflanzlicher Joghurt und Bananen mehr als genug. Sie hatte gerade Rapha's Geschirr von gestern gespült, da hörte sie die Wohnungstür erneut und Malik betrat die Küche.
Er hatte einige Klamotten in der Hand, die er lieblos auf den Küchentisch schmiss, auf den er sich anschließend setzte. Olivia blieb, an die Arbeitsfläche der Küche gelehnt, stehen und löffelte die "Haferflocken-Joghurt-Pampe" - wie Malik es nannte - von ihrem Teller.
„Danke", nuschelte sie trotzdem und als sie das, was er ihr mitgebracht hatte - ein viel zu großes olivgrünes Shirt und eine ebenso überdimensionierte Jogginghose -, anzog fragte sie:
„Was meintest du, als du Raphael gefragt hast, wie du "das da" - also, du meintest denke ich mich - verkaufen sollst?"
„Hör auf ständig nach Sachen zu fragen, die dich nichts angehen."
„Und ob mich das was angeht, wenn ihr über mich redet!"
Olivia war wütend. Ihr tat immer noch alles weh, sie hatte Angst und Heimweh, fühlte sich dreckig und verstand gar nichts mehr.
Malik seufzte. Zähneknirschend sagte er:
„Wenn du's genau wissen willst: ich bin Zuhälter.
Rapha und 'n paar andere schaffen ab und an Mädchen ran, dealen tun wir auch, aber das ist eher so'n Nebending. Für gewöhnlich fügt sich Rapha, so wie alle anderen, meinen Anweisungen, aber seit du da bist.."
„Was!?"
Sie war sprachlos. Wenn sie ehrlich war, hatte sie nicht einmal gewusst, dass es sowas offensichtlich nicht weit von ihrem zu Hause überhaupt gab.
Doch Malik zuckte nur die Schultern.
„Normalerweise schleppt er keine Mädchen aus Zellendorf an. Eigentlich gibt's genug in irgendwelchen sozial komplett hängengeblieben Vierteln, die niemand vermisst. Was er sich bei dir gedacht hat, sagt er mir nicht."
„Also kümmerst du dich nur um mich, damit du besser da stehst, wenn sie dich drankriegen?"
„Keine Ahnung. Schätze schon."
„Okay."
Sie schluckte. Zu gerne hätte sie geweint, weil sie mit der ganzen Situation völlig überfordert war. Sie konnte und wollte ihm nicht glauben und sie hatte nun nur noch mehr Angst.
„Ich tu dir nichts", sagte er, sie aufmerksam musternd. „Aber pass vor Raphael auf. Bleib einfach im Bad, wenn er da ist und ich versuch da zu sein, sobald er weg ist."
Liv sagte nichts mehr. Sie nickte nur; auf den Boden schauend, mit Tränen in den Augen und zitternd. In diesem Moment wünschte sie sich, das alles wäre nur ein verdammt schlechter Traum & sie würde endlich aufwachen.

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