Kapitel 4

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Als wir das Gebäude betraten, schien unser König bereits auf uns zu warten. "Vorsteher, wir sind zurück", meldete uns Awashima-Kun wie immer pflichtbewusst wieder an. Ich stand schweigend daneben und sagte nichts. "Das ist schön. Man hatte mich informiert, dass ihr euch eine kurze Auszeit genommen habt", antwortete er, während wir bereits wieder in Richtung Arbeitsplatz gingen.

Awashima-Kun nickte. "Natürlich. Die Idee stammt allerdings von mir, Vorsteher. Kazuki-San brauchte ein bisschen Abwechslung, und ich glaube eine längere Pause wird ihr gut tun, sie überarbeitet sich nämlich ständig", bemerkte sie und strafte mich mit einem vorwurfsvollen Blick.

Ich seufzte stumm und hoffte nur, dass sie dem Vorsteher zumindest nichts über unsere kleine Begegnung mit dem Roten Clan erzählen würde. "Verstehe... Nun eine Frage hätte ich noch, ist etwas Ungewöhnliches passiert?", fragte er. Doch bevor die Blonde ihm antworten konnte, ging ich dazwischen.
"Nein, Vorsteher. Wir waren nur ein bisschen spazieren"
"Sicher?"
Skeptisch schaute er mich an. Dieser Blick... Ich wusste, dass er sehr gut darin war, Lügen zu durchschauen, ich durfte mir also nichts anmerken lassen.

Wieder log ich und blieb so neutral, wie es mit möglich war. Schließlich glaubte der Vorsteher meinen Worten und ließ mich mit dem Thema in Ruhe. Jedoch wurde ich trotzdem zu einer Pause gezwungen und musste mich bis zu meinem Zimmer begleiten lassen. Dort ließ auch Seri-Chan mich endlich in Ruhe.

Vorsichtig steckte ich meinen Kopf durch den offenen Türspalt und linste auf den Flur. Niemand da. Sehr gut. Ich schob mich nach draußen und schloss die Tür ab, danach schlich ich mich in die Bibliothek und begann, eines meiner Lieblingsbücher zu lesen. In jedem Buch, das ich gerne lese, ging es mehr oder weniger um die Könige, die Dresdner Schiefertafel oder die Clans an sich. Ich notierte mir wie immer so viel wie möglich und verfiel in mein lese Muster, indem ich das Buch überall mit hinnahm, sogar mit in den Speiseraum, auf die Arbeit, ja, sogar mit auf die Toilette, nur nicht beim duschen, weil meistens waren sie leider nicht wasserfest. Kurz gesagt: Ich liebte es einfach, zu lesen. Und das schon, seitdem ich ein kleines Kind war.

Awashima-Kun war sichtlich verwirrt, als ich mit dem Buch in der Hand am nächsten Morgen in den Speiseraum kam und mir - lesend - etwas auf den Teller packte, diesen dann zum Tisch brachte und mir noch was zu trinken holte. Dann setzte ich mich hin und arbeitete weiterhin daran, mir soviel wie möglich aufzuschreiben.

Ich wurde von Munakata-San aus meinen Gedanken gerissen, als dieser mich etwas unsanft anstupste. "Kazuki-San, ich bewundere dein Engagement, aber beim Essen ist es nicht besonders angebracht", tadelte er mich. "Verzeiht, Vorsteher... Ich-" Weiter kam ich nicht, denn plötzlich ertönte das Notfall Signal aus den großen Lautsprechern, die überall im Hauptquartier von Scepter 4 verteilt waren.

"Nicht schon wieder...", grummelte ich und klappte das Buch zu - ohne Lesezeichen. Irgendwie hatte ich die besondere Fähigkeit, die letzte Seite jederzeit wiederzufinden. "Macht euch sofort alle fertig und bereit!", wies uns unser König an und stand auf. Ich flitzte aus dem Saal und räumte eilig meine Sachen weg, zog mir meine hübsch blaue Uniform an und befestigte mein Säbel an meiner rechten Hüfte. Irgendwann werde ich Homra komplett erledigen, wer es wagte, mich beim Lesen zu stören, hatte es nicht anders verdient.

Ich packte meine Aufzeichnungen sorgfältig weg, verließ mein Zimmer, schloss ab und rannte auf den großen Platz vor dem Gebäude unseres Hauptquartiers. Der Rote König stand ganz vorne, gelassen und mit Zigarette im Mund, während die ganzen Mitglieder von Homra hinter ihm standen und auf ein Zeichen warteten, dass sie angreifen durften. Anna hielt sich wie immer an seiner Hand fest. Unser König seufzte stumm und hob die Hand, als Awashima-Kun zum Schwert greifen wollte. "Ich komme allein klar", meinte er. "Aber Vorsteher-", Awashima-Kun kam nicht dazu, ihren Satz zu vollenden.

Die beiden Könige standen sich nun genau gegenüber. Man spürte die Spannung zwischen den beiden ganz deutlich. "Inhaber der Macht des dritten Königs, Mikoto Suoh. Was verschlägt dich dieses mal hierher?", fragte der Blaue König seinen gegenüber, welcher gelassen vor ihm stand, als würde er ihn nicht ernst nehmen. "Von dir will ich überhaupt nichts, Munakata...", entgegnete er und schaute dann zu mir. Ich wurde leicht rot und griff reflexartig zu meinem Säbel, aber Awashima-Kun konnte mich wieder beruhigen, indem sie mir ihre Hand auf die Schulter legte.

Es dauerte ein paar Minuten, bis der Rothaarige weiter sprach. "Sondern von der Kleinen da", meinte er dann. "Ich bin nicht klein!", zischte ich beleidigt.
"Von Kazuki-San?"
"Aber warum?"
"Was hat der Rote König vor?"
Mehrere solcher Fragen konnte man aus dem überraschten Gemurmel des Trupps von Scepter 4 heraus hören. Das Gemurmel verstummte aber, als Suoh seiner Aura freien Lauf ließ und unser König uns mit der blauen Aura gerade so beschützte. Ich verstand auch sofort, was er damit bezwecken wollte. Die Gruppe sollte sich aus der Situation raus halten.

Dann beobachtete ich überrascht, wie der Rote König zu Anna schaute, die kurz darauf zu mir kam und mich durch ihre Murmel musterte. "Immer noch keine Veränderung, Mikoto", sagte sie dann. "W-was heißt das?", fragte ich unruhig. Anna schaute mich an. "Deine Aura ist immer noch rot", bekam ich zur Antwort. Ich starrte sie perplex an. War das ihr Ernst?

Auch mein König schien verwirrt. "Sag schon, was du willst", meinte er dann zu Mikoto, dieser ignorierte ihn erstmal und musterte mich mit einem undefinierbaren Blick. Ich wurde rot und schaute zur Seite. Konnte Suoh das nicht mal bleiben lassen? Das war mega peinlich! "Awashima-Kun, bitte nehmt Abstand", sprach der blaue König schließlich und griff zu seinem Schwert. Auweia. Das bedeutete, gleich würde es wieder Ärger geben. Seine Stellvertreterin nickte und beorderte uns, alle ein Stück zurück zu gehen. Ich ahnte Schlimmes, weigerte mich aber, den Befehl einzuhalten, stattdessen zog auch ich mein Schwert.

"Tja... Dann müssen wir das wohl doch mit Gewalt lösen. Anna, tu uns bitte den Gefallen und halte dich im Hintergrund auf, damit du nicht verletzt wirst", meinte Kusanagi-San schmunzelnd. "Aber... Kazuki-San!", meckerte Awashima-Kun mich an. "Sei still!", gab ich zurück. "Wenn der Rote König etwas von mir will, muss er auch damit rechnen, dass ich mich mit Sicherheit nicht kampflos geschlagen gebe!", meckerte ich sie an und bemerkte aus dem Augenwinkel, dass sich auf dem Gesicht von Mikoto ein Hauch von Überraschung zeigte, der aber genauso schnell wieder verschwand, wie er aufgetaucht war.

Kurz darauf kam ein weiterer Aura-Schub auf uns zu und ich konnte mich gerade so noch mit meinem Schwert verteidigen, da ich wegen der Zickerei ein bisschen zu weit von den anderen entfernt war und somit nicht im schützenden Auraradius unseres Königs stand. Überrascht stellte ich nach ein paar Minuten fest, dass ich immer noch stand. Zwar schwitzend und schwer atmend, aber ich stand noch.

Auch Munakata-San hatte das mitbekommen und schaute mich an, als würde er gerne von mir wissen, was das war. Das Problem: Ich wusste es selber nicht. "So wies aussieht, hat sich wirklich nichts geändert. Kein Wunder, dass sie noch steht", meinte Kusanagi-San, als wäre das völlig normal. Wollte der mich komplett verarschen? Das war mit Sicherheit nicht normal. Ich bezweifelte, dass eine gewöhnliche Verteidigerin - ohne Aura wohlgemerkt - die Macht eines Königs abblocken konnte. Nein, irgendetwas musste der Grund dafür sein. Irgendetwas, was ich noch nicht kannte.

Ich überlegte. Stand nicht in den Büchern etwas über die Macht eines Königs? Was war das noch?... Ich überlegte fieberhaft, aber es wollte mir einfach nicht einfallen. Nachdenklich steckte ich mein Schwert weg und wurde wieder ein bisschen rot, als ich den Blick des roten Königs erneut auf mir ruhen spürte. Ich atmete tief durch und ging zu Munakata-San, sodass ich dem Roten König jetzt gegenüber stand.

"Was willst du von mir?", fragte ich misstrauisch. "Kazuki-San!", hörte ich Awashima-Kun vorwurfsvoll murmeln. Aber auch stolz spürte ich, was mir mehr Selbstvertrauen verlieh. "Kazuki-San, bitte haltet euch zurück", ermahnte Munakata-San mich und ich nickte leicht. "Verzeiht, Vorsteher...", meinte ich leise. Zu meiner Überraschung war der Rote König anscheinend anderer Meinung. "Lass sie ruhig, Munakata", bemerkte er belustigt.

Anna lief wieder zu ihm und hielt sich an ihm fest. "Ihre Farbe hat sich immer noch nicht geändert", meinte sie zu ihrem König. Dies schien dem ja richtig in die Karten zu spielen... Zumindest war das mein Eindruck. "Was hast du vor, Suoh?", entgegenete der Blaue König angespannt. "Du hörst offenbar immer noch schlecht. Ich hab's dir doch gesagt, von dir will ich überhaupt nichts", entgegnete Suoh etwas gereizter. "Und was willst du von mir?", mischte ich mich ein. Irgendwie schien er es nicht sagen zu wollen... Wahrscheinlich wegen dem Vorsteher. Aber ohne Antwort komme ich bestimmt nicht mit, vergiss es, Suoh...

☑[K] Zwischen Chaos, Ordnung & der Liebe✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt