Kapitel 9

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Nachdem Samu verschwunden war, streifte ich mir meine schwarzen Chucks ab und stellte sie im Eingangsbereich ab. Da Samu seine Chucks nur lieblos in eine Ecke geworfen hatte, musste ich mit meinem inneren Monk kämpfen, um sie nicht auch schön zusammen neben die meinen zu stellen.

Als ich den Schritt ins Wohnzimmer gewagt hatte, blieb mir der Mund kurz offen stehen, weil ich so sprachlos war. Schnell schloss ich ihn wieder, ich wollte ja nicht, dass Samu glaubt ich wäre ein Fisch. Dann sah ich mich in dem riesigen Raum erstmals richtig um. Ich war zwar schon hier gewesen, aber da war ich zu betrunken um mehr als Samus Verlangen wahrzunehmen. Von außen sah das Haus aus wie eine normales finnisches Cottage, nur eben etwas größer. Es führte eine kleine Auffahrt bis zur Eingangstür, unten an der Straße befand sich ein gusseisernes Tor. Das Wohnzimmer war modern eingerichtet, einige Sachen, wie z.B. die riesige Landkarte an der Wand, hatten aber dennoch einen Vintage-Stil. Mitten im Raum befand sich eine große Couch-Landschaft in dunkelgrau, ein großer Curved-TV prankte von der Wand und es befand sich eine große Glasfront am Ende des Raumes, hinter der sich im Moment nur schwarze Dunkelheit befand. Links befand sich eine breite Wendeltreppe, die scheinbar ins obere Stockwerk führte. Außerdem stand an einer Wand ein riesiges Bücherregal, welches fast komplett voll war.

Als Samu aus der großen offenen Küche zurückkam, stand ich gerade am Bücherregal und strich über den Rücken einiger Bücher. Natürlich konnte ich kein Wort verstehen, weswegen es sich auch nicht gelohnt hätte ein Buch herauszunehmen. Gerade als ich mich umdrehen wollte, legte Samu mir eine Hand auf die Schulter und grinste mich an. „Na, du bist also ein Bücherwurm?" fragte er mit hochgezogener Augenbraue. Ich nickte bloß und dann setzte er fort: „Von den oberen Büchern wirst du wahrscheinlich keines verstehen können, aber die unterste Reihe ist Englisch." Mit diesen Worten deutete er auf die unterste Reihe im Bücherregal, die zum Brechen vollgestopft war. Ich ging in die Hocke um die Bücher genauer unter die Lupe nehmen zu können. Plötzlich streifte mein Blick ein Buch, dass mir nur allzu bekannt vorkam. Vorsichtig zog ich es heraus und betrachtete den alten, staubigen Einband. Es war ein Taschenbuch und an den Ecken hatte der Einband bereits seine Farbe verloren. Eine blaue Schrift zierte die Vorderseite und ich wusste genau um welches Buch es sich handelte. Perks of being a Wallflower von Stephen Chbosky. Ich zog mit meinen Fingern einen Teil der Schrift nach, als könnte ich mir so das komplette Buch wieder in Erinnerung rufen. Meine Mutter besaß ein Exemplar, ebenfalls in Englisch, und es war so ziemlich der einzige Gegenstand von ihr der mir blieb. Ich habe es Jahr für Jahr immer wieder gelesen, in der kläglichen Hoffnung, dass ich so alle Erinnerungen an sie behalten konnte. „We accept the love we think we deserve", flüsterte ich eher zu mir selbst, als dass diese Worte für jemand anderes bestimmt waren. Dieses Zitat beschrieb so ziemlich meine ganze Beziehung mit Michael. Bei dem Gedanken an ihn versetzte es mir einen Stich in die Brust und ich legte instinktiv meine Hand darauf. Samu sah mich besorgt an und wendete sich mir zu. „Du kennst das Buch scheinbar", kurz machte er eine Pause bevor er weiter sprach „willst du darüber reden?" fragte er mit besorgtem Blick. Ich schüttelte nur meinen Kopf und war gerade dabei, dass Buch ins Regal zurückzustellen als Samu seine Hand auf das Buch legte und leise sprach „Du musst das nicht alles alleine schaffen, man hat doch Freunde um zu reden. Ich bin mir sicher dir ginge es besser, wenn du diese Last nicht allein tragen müsstest." Ich musterte ihn und stand auf, immernoch das Buch in der Hand, und ging zur Couch. Samu folgte mir wortlos und als er mich immernoch ansah, als könnte ich zebrechen wenn er mir zu nahe kommt, klopfte ich auf den Platz neben mir. Er ließ sich auf der Couch nieder, nahm mir das Buch aus der Hand und legte es auf den kleinen Beistelltisch neben ihm. „Geheimnisvolle Frau aus Österreich, wirst du mit mir darüber reden?" fragte er schmunzelnd und deutete auf das Buch neben ihm. Nun musste ich zögern. Sollte ich ihm wirklich mein Herz ausschütten? Immerhin kannte ich ihn noch nichtmal einen Tag. „Samu, es ist eine lange Geschichte.." versuchte ich der Frage gekonnt aus dem Weg zu gehen, doch der Finne ließ sich nicht beirren. „Wir haben Zeit, bald Pizza und Wein" er lachte und hob die Weinflasche auf, die er vorhin auf den Tisch gestellt hatte und schenkte etwas Wein in beide Gläser. Auffordernd streckte er mir eines der beiden Gläser entgegen und ich nahm es zögerlich entgegen. Samu hob sein Glas um mit mir anzustoßen und ich tat es ihm gleich. Dieser Wein schmeckte nicht so wie ich es aus Österreich gewöhnt war, aber dennoch gefiel mir der Geschmack, den er auf meinem Gaumen hinterließ.

The madness - two worlds collide (Sunrise Avenue)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt