Kapitel 3

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Um ca. 4 Uhr nachmittags war ich mit dem Auspacken meines Koffers fertig, und entschied ich mich erstmal duschen zu gehen bevor ich in die Stadt aufbrach.

Als das warme Wasser vorsichtig und sanft meinen Körper hinunter lief, schloss ich meine Augen. Was mache ich hier überhaupt? Ich war doch wirklich allen Ernstes allein in ein Land gefahren, dessen Sprache ich nicht verstand, und glaubte mir hier einfach so ein Leben aufbauen zu können. Es würde schwierig werden, das war klar, aber ob ich wirklich wusste was ich da tat? Ich glaube nicht. Ich meine, was hatte ich zu verlieren? In Österreich gefiel es mir zwar, aber ich hatte dort niemanden, meine Eltern waren tot, sie starben an dem Tag an dem ich mir meine Brandnarben zuzog, mein Onkel und der eigentliche Obsorgeberechtigte schickte mich ins Heim und das noch am selben Tag als ich zu ihm kam. Seitdem hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Das Heim war mir sowieso nie ein Zuhause gewesen, denn wohlgefühlt habe ich mich nie und dort hätten sie mich sowieso am Tag meines 18. Geburtstages auf die Straße gesetzt. Mein Ex, ein meistens sturzbetrunkener Psychopath, behandelte mich wie den letzten Dreck, ich glaube er liebte mich nur weil ich mich nicht wehrte wenn er mich schlug, aber ohne ihm wäre ich obdachlos gewesen. Nun stand ich hier in Finnland und versuchte Fuß zu fassen. Es würde kein Kinderspiel werden, das war mir klar, aber mir ging es seit dem Tod meiner Eltern nie besser. Hier war niemand der mich aufgrund der Narben auslachte. Hier war keiner der mich schlug, so stark, dass ich im Hochsommer nur lange Sachen tragen konnte. Langsam lief mir eine einzelne Träne die Wange hinunter, ich war zum ersten Mal erleichert. Hier durfte ich sein wer ich war. Hier durfte ich einen Neuanfang wagen. Vielleicht war die Postkarte meiner Eltern, sie zeigte ein Bild von der finnischen Landschaft, ein Zeichen gewesen. Mehr als hoffen konnte ich nicht, deshalb musste ich versuchen es heraus zu finden.

Vorsichtig stieg ich aus der Dusche um mich abzutrocknen und anzuziehen. Wie sollte ich wohl aussehen wenn ich meinem zukünftigen Arbeitgeber entgegen trat? Ich entschied mich für eine simple schwarze enge Jeans, ein grau-weiß kariertes Holzfällerhemd und meine schwarzen Dr. Martens Stiefel. Meine Haare ließ ich offen und leicht gelockt, so wie sie es von Natur aus waren. Kurz musste ich feststellen, dass ich sie schon so lang nicht mehr offen getragen habe, dass ich gar nicht wusste, dass sie bereits so lang waren. Meine weißblonden Haare reichten mir mittlerweile bis zum Ansatz meiner Hüftknochen. Kurz musste ich schmunzeln bei dem Gedanken daran, wie sie im Heim immer versucht hatten mir meine Haare abzuschneiden, aber ich ließ es nie zu und versteckte mich so lange bis sie es aufgaben. Einmal hat dieses amüsante Versteckspiel 3 Tage gedauert.

Bevor ich mich auf den Weg machte, blickte ich nochmal in den Spiegel und entschloss mich doch etwas Mascara aufzutragen. Mir fiel auf, dass ich abgenommen hatte. Ich wog zwar immer schon recht wenig, nun merkte man es sogar schon bei einem Blick in den Spiegel, aber mit meiner Körpergröße von 1,65m und meinem Gewicht von nicht mal 50 Kilo ließ sich der Gewichtsverlust selbst bei meiner Kleidung nicht leugnen. Auch meine Oberweite war kleiner geworden, trotzdem hatte ich noch ein gut gefülltes C-Körbchen. Als ich fertig war schnappte ich mir meinen schwarzen, knielangen Mantel, er ähnelte etwas einem Kleid, weil er oben recht eng und unten weiter wurde, und ließ die Tür meines Zimmers ins Schloss fallen.

Unten im Erdgeschoss angekommen, entschied ich mich die ältere Damen, wie ich las hieß sie Anni, noch zu fragen wo ich am besten mit meiner Jobsuche beginnen sollte. Sie verriet mir ein kleines Café in der Innenstadt, wo ihre Schwester die Besitzerin war. Ich bedankte mich überglücklich bei ihr und sie gab mir noch eine Karte, damit ich mich nicht verlief. Der kalte Wind der Abenddämmerung bließ mir meine Haare ins Gesicht und ich bereute es , sie nicht doch zusammen gebunden zu haben, aber da musste ich nun wohl durch. Ich folgte der Karte und fand recht schnell zum kleinen Café nach dem ich suchte. Am Weg dort hin kam ich an einem Platz mit einem riesigen Brunnen vorbei. Dort wollte ich morgen mein Glück mit der Straßenmusik probieren.

Ich betrat das kleine Lokal und fand es sofort toll. Es war nicht modern eingerichtet, sondern hatte eher Möbel im Stil der 60er Jahre. Ganz viele verschiedene Muster und Farben leuchteten von den Bezügen der Sessel und Bänke, selbst die Wand war in einem angenehmen Mint-grün gestrichen. Es befanden sich hauptsächlich kleine Tische in dem Lokal, höchstens für 3 Personen pro rundes Tischchen. Pflanzen standen ebenfalls in jeder Ecke und wunderschöne Landschaftsgemälde hingen an den Wänden. Langsam ging ich auf die ältere Dame hinter der Theke zu und sie lächelte mich bereits freundlich an.

„Hallo, du musst das Mädchen sein die bei meiner Schwester wohnt. Sie hat mich eben angerufen." ihr Englisch war um einiges besser als das ihrer Schwester.

„Ja, ja das bin ich, ich heiße Elisabeth. Aber ich mag Sisi lieber, das ist kürzer", stotterte ich und versuchte dabei nicht allzu verklemmt zu wirken.

„Schön dich kennenzulernen Sisi. Das ist mein bescheidenes Café, es ist mein Lebenswerk. Bitte setz dich, dann kann ich dich etwas besser kennenlernen", sie deutete auf einen leeren Tisch in der hinteren Ecke.

Ich zog vorsichtig meinen Mantel aus und hing ihn über die Lehne des Stuhls. Bevor ich mich setzte versuchte ich nervös mein Hemd glatt zu streichen, was mir aber nicht gelang.

„Also Sisi, wie alt bist du, woher kommst du, und was genau treibt dich nach Finnland?"

„Ich komme aus Österreich, um genauer zu sein aus der Nähe von Wien, ich bin 19 Jahre alt und Finnland soll mein Neubeginn werden", dann schaute ich sie erwartungsvoll an.

„Okay, ich nehme mal an du weißt wie man serviert, Tische abwischt und Geschirr in die Spülmaschine räumt? Morgen Nachmittag darfst du beginnen, ich kann dir aber nicht allzu viel zahlen, andere Lokale zahlen sicher besser", sie blickte mich etwas mitfühlend an, als würde sie erwarten, dass ich sie um mehr Geld bitte.

Meine einzigen Worten waren „Vielen herzlichen Dank, du wirst es nicht bereuen!"

Ich verabschiedete mich von Helena, meiner neuen Chefin und verließ das kleine Geschäft. Ich war sehr erfreut, dass es geklappt hatte, denn gerechnet hatte ich damit wirklich nicht. Am Weg zurück in die Pension schlenderte ich nochmals am Brunnen vorbei und warf eine Cent-Münze hinein. Mir war es egal ob dieser Brunnen ein Wunschbrunnen war oder nicht, aber ich wollte diesen einen Wunsch dringend ausformulieren.

Leise flüsterte ich: „Ich wünsche mir nichts mehr als Glück, als die Macht daran glauben zu können, dass dieser Neubeginn funktionieren kann, dass er funktionieren wird."

Ich spazierte noch durch einen kleinen Park und war bald später auch schon wieder an der Pension angekommen. Anni, die Besitzerin, fragte mich als ich die Pension betrat, ob ich gerne mit ihr essen würde. Erst jetzt bemerkte ich wie mein Magen knurrte, immerhin hatte ich seit gestern Abend nichts mehr gegessen! Somit sagte ich ihr sofort zu und sie zeigte mir das Esszimmer. Ich nahm Platz an einem dunklen Holztisch, er war nicht gedeckt, vermutlich weil Anni nicht wusste wer überhaupt etwas essen würde. Sie servierte mir einen großen Teller mit Spaghetti und ich schaffte sogar etwas mehr als die Hälfte! Den Rest nahm ich mir mit auf mein Zimmer, obwohl ich wusste dass ich es heute sowieso nicht mehr essen konnte.

Vorsichtig streifte ich meine Stiefel ab und ging in Richtung des Badezimmers. Das Hemd hing ich auf einem Kleiderbügel auf, die Hose ließ ich einfach auf den Boden fallen. Ich frisierte meine Haare und betrachtete meine Narben im Spiegel. Schön war definitiv etwas anders, das hier war fast zu großflächig und hässlich als dass es wahr sein konnte. An manchen Stellen war die Haut noch ganz knittrig und fühlte sich an wie Leder. Auch blaue Flecken und Striemen zierten momentan meinen Körper. Am Rücken sah man es noch ganz genau was passiert war. Schnell drehte ich mich weg und musste gegen die Tränen kämpfen. Ich konnte es mir immernoch nicht eingestehen, dass dieses ganze Leid nun vorbei war, er würde mich nicht mehr schlagen können, denn er wusste nicht mal wo ich war. Als er in die Arbeit fuhr, nahm ich meine Sachen, das war nicht schwer denn ich hatte nicht viel, und fuhr richtung Flughafen. Dort schaltete ich mein Handy aus und kaufte ein Ticket nach Finnland. Apropos Handy, mir fiel ein, dass ich es wieder einschalten könnte.

Es war wie erwartet, tausende Anrufe und Nachrichten von ihm, aber ich las keine. Ich blockierte seine Nummer und löschte alle Fotos & Nachrichten. Danach stellte ich mir einen Wecker für den nächsten Morgen, denn immerhin wollte ich mein Glück am Brunnen probieren, danach schlief ich ein.

The madness - two worlds collide (Sunrise Avenue)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt