Kapitel 10

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»Gefällt es Euch im Bett des Prinzen, Mylady?« - »Es steht mir nicht zu, darauf zu antworten« Mein Bruder zog seine Augenbrauen nach oben. Mit zusammengepressten Lippen starrte ich ihn an und hoffte, dass er mich einfach gehen lassen würde. Nach diesem anstrengenden Tag brauchte ich dringend Schlaf. »Ich soll mit Euch über Familie sprechen, Mylady« - »Auf wessen Befehl?« - »Des Königs« Elisei starrte mich stumm und ernst an und ich begann unruhig von einem auf das andere Bein zu treten. »Dann erzählt mir von Euren Eltern, Hauptmann«
»Wünscht es der König, weil sich der Prinz von Prinzessin Ann scheiden lassen möchte? Damit er dann Euch heiraten könnte?«
»Warum sollte der Prinz jemanden wie mich heiraten?«
»Aber wer seid Ihr Mylady?«
Ich setzte an etwas zu sagen, stieß aber lediglich Luft aus. Noch vor einer halben Stunde habe ich dem Prinzen versprochen nichts zu sagen. Nichts gab diesen beiden Männern das Recht darüber zu bestimmen, wem ich meine Identität anvertrauen darf. »Ich darf nicht, Elisei«, sagte ich leise und schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. Er musste sich daran gewöhnen sich von meinen Geheimnissen fernzuhalten. Ansonsten würde es ihn zerstören. »Lasst uns morgen beim Frühstück über Familie sprechen, Hauptmann« sagte ich gewöhnlich laut und wandte mich ab, bevor er nochmal etwas einwenden könnte. Denn obwohl ich ihn schon so lange nicht mehr gesehen hatte, erinnerte er mich an den kleinen Jungen von damals.
Und dieser Junge würde sich nie mit all den Geheimnissen zufrieden geben. »Wenn ich Euch etwas von meiner Familie erzählt, berichtet mir von Eurer, Mylady« bat er, als ich am Frühstückstisch platz genommen habe. Für einen Moment glaubte ich, er scherzte, doch seine Lippen waren zu einem Strich zusammengepresst. Kein Scherz. »Ich habe einen Sohn« sagte ich, bevor ich länger darüber nachgedacht habe und setzt ein breites mütterliches Lächeln auf. Elisei konnte unmöglich in Erfahrung bringen, dass es der Kronprinz war. Der König achtete mit Argusaugen darauf, dass niemand auf den Gedanken kam, der einzige, illegitime Sohn des Kronprinzen sei auch noch von einer Magierin. Obwohl der Gedanke für die meisten naheliegt. »Er ist meine Familie« - »Wo ist er?« - »Auf einem hübschen Anwesen am Land. Umgeben von Gouvernanten und Lakain« Elisei schien meine Lüge nicht ganz zu schlucken, doch ich selbst hatte das Bild ganz klar vor mir. Manchmal verbrachte der Kronprinz die Sommerwochen wirklich am Land und ich konnte ihn mir vorstellen, umgeben von Gouvernanten und Lakain, die sich vor seinem Schabernack in Acht nahmen.
Elisei brauchte nicht mehr von mir, damit er mir alles über unsere Eltern erzählte. Papa schien es soweit gut zu gehen und Mama wurde sogar noch einmal schwanger und gebar einen kleinen Jungen. Elisei erwähnt seinen Namen leider nicht, aber er erzählte mir von der Familienstruktur. Wie Mama und meine Schwester sich um den Haushalt kümmerten und die Männer Holz arbeiteten und von Eliseis Einschreibung beim Militär. Niemals war es bei uns Thema, dass er zur Armee gehen könnte, aber irgendetwas schien ihm zum Gegenteil bewogen zu haben. Da ich das als Fremde schlecht wissen konnte, fragte ich nicht nach und begnügte mich mit den Informationen, die er mir gab. Wobei ich besonders das Gefühl in seinen Augen aufsog. Es war Liebe und Loyalität. Ob er die auch fühlen würde, wenn er an mich dachte? Oder zumindest and die Bruchstücke, die die Magier ihm gelassen hatten.
»Ihr habt hier weder Zeitungen noch Fernsehapparate, nicht wahr, Mylady?«
»Dafür jede Menge Bücher«
»Werdet Ihr im Schloss von politischen Ereignissen unterrichtet?«
»Über das Notwendigste. Damit ich in Konversationen in keine Fettnäpfchen trete«, ich schmunzelte ihn an. Das war beinahe die Wahrheit, »aber der König erachtet es nicht für notwendig, mich über den politischen Kurs zu unterrichten«
»Warum nicht? Ihr seid doch die Beraterin des Prinzen. Worin berät Ihr ihn, wenn nicht in Politik?«
Er wusste es doch. Ansonsten würde er mich nicht immer wieder danach fragen. Brauchte er unbedingt mein Eingeständnis, damit er es akzeptieren kann? Wütend legte ich mein Besteck zur Seite. Ich war mehr als die geliebte des Prinzen.
»Ich darf nicht darüber sprechen, Hauptmann! Diese Fragen müsst Ihr dem König stellen«
Ich erhob mich noch, während ich sprach, und verließ das Frühstückszimmer. Warum war es für die Welt so bedeutend, ob ich nun im Bett des Prinzen war? In weniger als einer Minute könnte ich eine ganze Woche der Lebenszeit meines Gegenübers durchleuchten und in einer Stunde könnte ich deren Langzeitgedächtnis auf den Stand eines Kleinkindes setzen. Niemand sollte mich behandeln, als wäre ich wehrlos. Als bis vier Uhr Nachmittags keine Botschaft aus dem Schloss gekommen ist, konnte ich aufatmen. Den ganzen Vormittag über ließ ich die letzten Gefühle des englischen Gesandten in meine Aufzeichnungen überfließen. Der Zug einiger Wörter veränderte sich. Manche wurden mit mehr Schwung geschrieben, andere bedächtig und manchmal war es so ein Gekritzel, das ich es selbst kaum noch lesen konnte. Gedankenschrift war etwas einzigartiges, obwohl sie Schemen und Mustern folgte, aber es war trotzdem immer wieder wunderbar Niederschriften durchzublättern und das Schriftbild zu bestaunen.
»Mylady, der Prinz ist hier« rief mein Kammermädchen. Ich schlug bedächtig das Buch zu und starrte sie einen Moment lang an, bis ich begriffe habe, dass meine Dienste doch noch erforderlich waren.
»Mylady scheinen müde zu sein«, seine Stimme troff vor Sarkasmus, als er neben meinem Kammermädchen in der Tür erschien. Meine Wangen färbten sich automatisch rot und ich schälte mich aus dem Berg von Decken, der mich umgab.
So elegant wie mir nur irgendwie möglich lief ich die Stiegen hinunter und sank vor ihm in einen Knicks. »Es freut mich, dass Ihr hier seid, Hoheit« begrüßte ich ihn, während er mir seine Hand reichte und ich sanft seine Fingerknöchel küsste. Ohne darauf zu antworten verflocht er seine Finger mit den Meinen. »Ich habe deine Zofe um einen Mantel geschickt, damit wir hinausgehen können« erklärte er und trat einen Schritt näher an mich. Ich hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, aber seine Hände hielten mich an seinen Oberkörper gepresst. Anfangs wusste ich nicht, was das sollte, bis ich begriff, dass er mich umarmte. Noch nie war ich von einem Mann umarmt worden. »Worüber wollen Majestät sprechen?« - »Wusstest du, dass es mehr Magier in unserem Königreich gibt?« Ja, ich kannte einen davon. Der Mann, der die Gedanken meiner Eltern manipuliert hat. Aber davon abgesehen, habe ich nie etwas von weiteren Menschen mit magischen Fähigkeiten gehört.  Es gab sicherere Orte für Magier, als unser Land. Der König duldete Magier nur im Dienste der Krone. Für ihn bedeutete sie seit jeher eine Gefahr und wurden mehr geduldet, als akzeptiert. »Ein alter Freund von mir wird uns besuchen. Er möchte sich deine Fähigkeiten ansehen« - »Er ist auch Magier?« Der Prinz nickte und ich bemerkte, wie ich er sich verspannte. Ich versuchte, einen Blick in seine Augen zu erhaschen, worauf er sich lachend von mir wegdrehte. Warum verriet er mir nicht einfach, was ihm an diesem Gedanken Unbehagen bereitete?
»Corvilnius kennt viele Magier. Die meisten aus dem Ausland und mit Fähigkeiten, die wir nicht kennen« sprach er weiter. Bisher kannte ich nur die Gedankenmanipulation und ich hatte einmal gehört, dass es Menschen geben soll, die es schafften, Regionen im Gehirn anzuregen, die Verletzungen heilten. Aber so jemanden bin ich noch nie begegnet. »Er wird dich faszinieren« prophezeite der Prinz bitter, worauf ich auflachte. War er etwas eifersüchtig auf einen Mann, den ich noch nicht Mal kannte. Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wangen. »Ihr wisst, dass ich es niemals wagen würde Euch untreu zu sein« versprach ich und der Prinz sah kurz auf mich herunter. Er hatte meinen Bruder und meinen Sohn. Es sollte ihm bewusst sein, dass ich abhängig von seiner Gunst war. Außerdem war da immer noch dieser Funken in mir, der sich nach seiner Zärtlichkeit sehnte. Ich strich ihm über die Wange und hoffte, dass er sich endlich wieder entspannte. Es gab keinen Grund sich Sorgen zu machen.
»Nun, wo wir festgestellt haben, dass der Gesandte nichts mit dem Ableben des englischen Königspaars zu tun hatte, sollst du dir den Bruder der Königin ansehen. Der blonde Mann aus dem Sitzungssaal«, erklärte er und ich seufzte auf. Er entwand sich meinem Griff und trat von mir fort. Anscheinend war das Thema für ihn beendet.
Ich konnte mich noch gut an den blonden Mann erinnern. Ein sanftes Gemüt und eine große Zuneigung zu Ann. »Er ist ein sanftmütiger Geist, Hoheit. Es schien nicht seinem Charakter zu entsprechen« erwiderte ich und der Prinz zuckte mit den Schultern. »Ich bin nur der Bote. Vater wünscht es« - »Wann werde ich ihm begegnen?« Der Prinz zuckte mit den Schultern und verflocht unsere Finger. Was wollte er eigentlich von mir? »Du gehörst mir« brummte er und ich ließ meinen Kopf an meine Brust sinken, nickte. »Ja, Hoheit. Ich gehöre Euch« bestätigte ich und zog ihn an seiner Hand näher zu mir.
Wie zum Beweis presste er seine Lippen auf meine und ließ mich seinen Besitzanspruch spüren. Ich ließ es zu und musste zugeben, dass ich es genoss. Er spielte nicht länger mit mir, sondern sagte mir klipp und klar, was er wollte. Deshalb wusste ich, dass er das hier eigentlich nicht wollte.

Weil du mir gehörstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt