Als ich das nächste Mal meine Augen aufschlug, konnte ich bereits wieder klar sehen. Jemand hatte seine Arme um mich geschlungen. Einen Moment war ich versucht aufzuspringen, aber es war nicht der Prinz. Also war ich in Sicherheit. »Alles ist gut, mein Engel« beruhigte mich ... Corvilnius. Sicherlich träumte ich noch. Er würde mich nach all'den Jahren wahrscheinlich nicht mal mehr wieder erkennen. Ich seufzte auf. Hätte ich bloß den Mut gehabt mich dem Prinzen entgegenzustellen. Oder Corvilnius so weit vertraut, dass ich ihm gestand, mit wessen ich Kind ich schwanger war.
»Mein Engel, ich bin hier« flüsterte weiter und ich drehte mich zu ihm um. Sofort war ich von seinen Augen gefangen. Er war es wirklich. Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Mir wurde schlecht. Die Lichtpunkte kehrten von einem Moment auf den anderen zurück. Hilflos drückte ich meinen Kopf gegen Corvilnius Brust. Es ging mir doch gut. Oder zumindest besser.
Corvilnius schrie auf und löste den Körperkontakt. Mein bester Freund die Kristallkugel fand wieder ihren Weg zu mehr. Nachdem mehrere innerhalb weniger Sekunden gebrochen waren, übergab ich mich dieses Mal wirklich. Ich spuckte Galle und Blut, aber mir war endlich leichter. Obwohl ich mir nicht mehr sicher war, wer es war, spürte ich eine vertraute Wärme, die mir Schutz versprach. Die nächste Kristallkugel klärte mein Blickfeld so weit, dass ich mein Umfeld erkennen konnte. Anns Onkel hatte einen Arm um seine Nichte gelegt und starrte mich bekümmert an. Ann selbst war ganz weiß um die Nase. Corvilnius wollte ich erst gar nicht ansehen. Mit Sicherheit war er seit meinem Eintreffen in meinem Kopf und hielt mich jetzt für völlig übergeschnappt. Wobei ich mich auch so fühlte.
»Du hast dich überanstrengt. Glaub mir, das ist alles ganz normal« tröstete mich Anns Onkel sofort. Großartig, hoffentlich waren die beiden die einzigen Seher im Haus, sonst würde ich dieses Zimmer nie wieder verlassen.
»Ihr hättet ihr von Beginn an Wachen zur Seite stellen sollen. So wie ich es Euch befohlen habe«
»Das hätte einen endgültigen Bruch mit dem Königshaus bedeutet, Sire«
»Ich schere mich nicht um Adrian oder seinen Vater«
Ich fuhr zu Corvilnius herum, als er den Vornamen des Prinzen aussprach. Seit ich am Hof war, hatte ich seinen Namen nur vereinzelt aus dem Mund seines Vaters gehört. Aber niemals von einem seiner Untergebenen. Corvilnius funkelte mich böse an. Er schien wieder einmal in meinem Kopf zu sein. Ohne es verhindern zu können, formten sich die Gedanken in meinen Kopf zu ende. Ich bewunderte Corvilnius dafür, nicht wie der restliche Hof vor dem Prinz zu Kreuze zu kriechen.
»Was geschieht mit mir?« fragte ich. War das wirklich meine Stimme? Sie klang so schwach und fremd in meinen Ohren. »Du hast die Gedanken der Wachen blockiert. Deshalb lief jeder ihrer Gedanken zu dir über. Als dein Unterbewusstsein das nicht mehr aushielt, hast du begonnen ganze Bücher in Brand zu setzen. Niemand konnte sich dir nähern, bis du ohnmächtig zusammengebrochen bist. Beinahe hätte dich die Schlosswache wieder in die Finger bekommen, aber wir konnte sie im letzten Moment überlisten«
Ich biss mir auf die Lippe. Corvilnius hatte ein einziges Mal mit mir über das Verbrennen von Büchern gesprochen. Da, wo Magie noch als Strafmaß eingesetzt wurde, konnten manche Verbrecher wählen zwischen einer Exekution oder dem Verbrennen der Gedanken. Wenn dein Unterbewusstsein und Langzeitgedächtnis ausgebrannt ist, war man auf dem Stand eines Kleinkindes. Mir stiegen Tränen bei dem Gedanken in die Augen, dass ich das jemand Fremden angetan hatte. »Die Zahl der Opfer wird ungefähr auf 20 geschätzt« fuhr Anns Onkel fort und ich erschauderte. Ich war ein Monster.
»Es waren über hundert Mann, die dich angriffen. Du wusstest nicht, was du tust« tröstete mich Corvilnius und legte einen Arm um mich. Das entschuldigte nichts. »Wo sind meine Kinder?« Ich wandte mich zu Ann um, die mir beruhigend zu lächelte. So erleichtert hatte ich sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Die Freiheit tat ihr gut. »Die beiden sind wohl auf. Eilisei ist bei ihnen. Mein Onkel hat sich um ihre Erinnerung gekümmert«
»Was bedeutet das?«
»Ich habe lediglich ein paar Dinge beschönigt. Damit sie nachts noch ruhig schlafen können«
Ich konnte den Impuls nicht unterdrücken und stieß verächtlich Luft aus. »Das war wirklich nicht schön mitanzusehen. Ich hätte nicht zugestimmt, wäre es nicht notwendig gewesen« verteidigte sich Ann und ich seufzte auf. Ich nickte kurz. Immerhin könnte ich die Manipulation in meinem Zustand schlecht rückgängig machen. Alleine diese Unterhaltung verlangte mir alles an Kraft ab, dass ich habe.
»Wir lassen dich weiter schlafen« beschloss Corvilnius und sah ihn aus großen Augen an. Diese Augen ... manchmal frage ich mich, ob er nicht Kontaktlinsen trägt, so grün, wie sie sind. »Ich möchte zu meinen Kindern« protestierte ich gähnend und Corvilnius lachte über mich. In der Zeit meiner Ausbildung hatte er nicht oft gelacht. Wenn ich es mir so recht überlegte, hat der Prinz auch nie wirklich viel mit mir gelacht. Wahrscheinlich war ich einfach eine unlustige Person. Kann schon vorkommen.
»Das ist es nicht« flüsterte Corvilnius in mein Ohr und drückte seine Lippen auf meine Schläfe. Sofort konnte ich mich entspannen. Obwohl ich den Raum aus eigenen Kräften nicht verlassen könnte, fühlte ich mich zum ersten Mal seit Jahren geborgen. »Du hattest nur immer so traurige Augen, Lacrima. Als hättest du alles Leid der Welt in deinem Herzen«
Als ich das nächste Mal aufwache, wiederholte sich das Prozedere mit den Steinkugeln. Meine Schreie klangen schrill in meinen eigenen Ohren, als die dritte der Kugeln in meinen Händen zerbarste. Leise fluchend zog mir Corvilnius die Splitter aus meinen Armen. Ich wimmerte leise. Die Übelkeit war beinahe völlig verschwunden und langsam fühlte ich mich beinahe wieder normal. Wie konnte ich mich, nach allem das ich angerichtet hatte, noch normal fühlen. Irgendetwas stimmte nicht mit mir.
»Denk nicht mehr daran, Lacrima. Du musstest deine Familie beschützen«
»Schert Euch doch aus meinen Kopf, Mylord«
Corvilnius lachte auf und drückte seine Lippen an die Stirn. Ich seufzte erleichtert auf. »Ich möchte jetzt wirklich meine Kinder sehen« verlangte ich, worauf er nur langsam nickte. Er beobachtete mich. Wahrscheinlich stank ich mittlerweile fürchterlich, hatte ein Vogelnest anstelle von Haaren auf meinen Kopf und Augenringe, die filmreif waren. Corvilnius lachte erneut auf, worauf ich ihn mit einem Kissen in meinem Bett abschoss.
Meine Gedanken Corvilnius. Ich halte mich aus deinen auch raus.
Weil ich sie dir nicht zeige und du zu schwach bist sie dir zu holen!
Es war komisch seine Stimme in meinem Kopf zuhören. Er klang viel ... ausgelassener. Als wäre eine Last von ihm abgefallen. Ich schüttelte den Kopf über mich selbst. »Wo habt Ihr mich hingebracht?«
»Wir sind in Frankreich, Lacrima. Im Hauptquatiert der Raggruppamento«
»Hast du das mit dem direttore abgesprochen?«
Corvilnius seufzte auf und setzte sich zu mir auf die Bettkante. Also nicht. Ich befand mich also mitten in einem fremden Land, in einer Vereinigung, dessen Oberhaupt mich nicht haben wollte. »Ich bin der direttore« sagte er schließlich leise. Ich fuhr aus dem Bett hoch. Schlug mir dir Hände vor's Gesicht und schüttelte langsam den Kopf. Das durfte nicht wahr sein. Warum verschlug es mich ständig in die Nähe der Mächtigen. Was stimmte nicht mit mir?
»Ändert das etwas zwischen uns?«
»Es gibt kein uns«
»Habe ich denn eine Chance?«
Ich sah überrascht zu ihm auf. Meinetwegen lag er im Streit mit dem Hof. Meinetwegen hat der König einen Hass auf jede Art der Magie. Als Oberhaupt des Raggruppamento müsste er mich eigentlich hassen. Aber er tat es nicht. »Wenn ich noch eine habe, hast du alle Chancen der Welt«
Ein strahlendes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Er zog mir näher zu sich und ich schlang dankbar meine Arme um ihn. Das Oberhaupt der mächtigsten Magiervereinigung weltweit. Ich schüttelte meinen Kopf an seiner Schulter. Das konnte nicht gut gehen.
Ich behaupte nicht, dass es einfach wird.
Ich liebte es, seine Stimme in meinem Kopf zu hören. »Wie reagiert der Hof« - »Mit einem Bann gegen das Raggruppamento« Sofort zog ich die Schultern hoch. So fiel Leid. Alles, um meine Freiheit zu erlangen. Und die meiner Kinder. Corvilnius Miene verdunkelte sich und ich griff beschwichtigend nach seiner Hand. Wir waren frei. Corvilnous Aura verdüsteret sich und ich zog überrascht die Augenbrauen nach oben. Das war es doch, wovon er mir monatelang vorgeschwärmt hat.
»Verschweigst du mir etwas?« fragte ich und Corvilnius seufzte auf. Langsam kamen wir dem Problem auf die Spur. »Annabelle ist tot«
»Das Baby?«
»Genauso«
»Das tut mir leid für ihn«
Hätte ich bloß mehr für ihn tun können.
Annabelle war nicht meine Freundin, aber bei Gott, den Tod hatte sie nicht verdient. Erst Recht nicht durch die Engstirnigkeit des Königs, keine Magier an den Hof holen zu wollen. »Du weißt, dass es mit deiner Flucht auf keinen Fall endet, nicht wahr?« Ich konnte Corvilnius hinter mir spüren, getraute mich aber nicht, mich zu ihm zu drehen. Nie wieder würde ich zulassen, dass der Prinz oder König mich oder meine Kinder zu seinem Werkzeug machen. Er hatte sich entschieden. Schlussendlich wird es auch für ihn Zeit, erwachsen zu werden und sich mit den Konsequenzen seines Tuns abzufinden.
Alleine, oder mit einer neuen Geliebten.
Das sollte nie wieder mein Problem sein.
»Ich werde nicht zulassen, dass er die Kinder oder mich irgendwohin mitnimmt« stellte ich klar und gerade in diesem Moment perlte ihr Lachen durch das Fenster. Ich schwang meine Beine aus dem Bett und lehnte mich ans Fenster. Es war bereits dämmrig, aber die beiden waren immer noch im Garten. Oana spielte mit ihrem Bruder, als hätten die beiden nie etwas anderes gekannt.
»Möchtest du zu ihnen gehen?«
»Nein, nein. Ich will dir keine Umstände machen«
»Lacrima« er lachte auf und sofort kam das Licht erneut auf mich zu. Sein Licht. Er legte seine Hände auf meine Wangen und presste seine Lippen gegen meine Stirn. »Du kannst einfach hinaus gehen. Du brauchst niemanden, der dich begleitet«
Er führte mich bis zur Balkontür. Das Gelächter der Kinder erreichte mich nur mehr leise. Als ich meine Hand auf den Türgriff legte, atmete ich tief durch. Er war von der Sonne erwärmt.
»Soll ich dich begleiten?«
»Nein, dieses Leben gehört jetzt mir«
Ich stieß mit Schwung die Tür auf und sprang barfuß ins Gras.
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Weil du mir gehörst
FantasyAbgeschlossen Schön, dass du deinen Weg zu mir gefunden hast. Ich möchte eine Geschichte mit euch teilen, die uns daran erinnern soll, das man vorsichtig sein sollte, wenn man Wünsche ausspricht. Denn manchmal gehen sie in Erfüllung. Das wundervo...