Kapitel 3

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Tief atmete ich die frische Morgenluft ein.
In der letzten Nacht war ich zwischendurch öfters aufgewacht, und hatte danach immer nur schwer wieder einschlafen können.
Ich wusste, dass mich etwas bedrückte- Kein Wunder. Immer funktionieren war auf Dauer unmöglich.
Mir ging es nicht gut, und das schon seit längerem. Ich wusste, dass ich langsam keine Kraft mehr hatte- Und doch musste ich weiterkämpfen.
Für meine Mutter.
Ich wollte, dass sie stolz auf mich war.
Ein Ziel, welches ich nie erreichen würde.
Ein Problem, welches nie gelöst werden konnte.
Kämpfen schmerzte. Ja, es tat so weh, dass ich oft das Gefühl von reiner Taubheit hatte.
Manchmal wünschte ich mir, ich wäre nicht hier. Ich wünschte mir, ich wäre an einem besseren Ort. Irgendwo, wo man mich akzeptieren würde, wie ich war.
Aber auch das sollte wohl weiterhin ein Traum bleiben.

Und seit gestern Abend im Wald, seit ich diese Stimme gehört hatte, hatte ich das tiefgehende Gefühl, dass mir etwas fehlen würde. Ich konnte es mir selbst nicht erklären- Ich wusste nur, dass ich dieses Etwas so schnell wie möglich finden musste.

Doch all das war irrelevant.
Denn heute stand ein Konzert an, was bedeutete, dass ich bis kurz vor der Abfahrt zu eben diesem Violine zu üben hatte.
Nachdem ich also gefrühstückt hatte, machte ich mich an die Arbeit und übte abermals das gesamte Konzert von Mozart, und verlor mich so sehr darin, dass ich bis kurz vor sechszehn Uhr mein gesamtes Leben vergaß.
Das war eines der schönsten Dinge am Geigespielen: Sobald man erst einmal wirklich in ein Stück vertieft war, dachte man an nichts mehr. Man konnte abschalten, sich ausschließlich auf die Noten fokussieren. Wenn man diesen Effekt ab und an einmal hatte, konnte er sehr entspannend sein.

Doch durchgehend konnte ich mir nicht vorstellen, dass dies Gesundheitsfördernd sein konnte.

Bevor meine Mutter und ich gemeinsam in die schwarze Limousine stiegen, erlaubte ich es mir noch einmal, schnell meinen Toilettengang zu tätigen, und anschließend ein Glas Wasser zu trinken.

——————~——————

Und nun war es wieder soweit. Vor c.a. 1000 Menschen stand ich nun auf der Bühne, gewillt mein Konzert vorzuspielen, um die Zuschauer zu verzaubern. Mein Herz pochte wie wild in meiner Brust- So sehr, dass ich das Gefühl hatte, es würde herauszuspringen drohen.
Doch wie sollte Musik, welche nicht aus dem Herzen gespielt wurde, Menschen berühren?
Im Saal war es so still, dass man glatt eine Nadel hätte fallen lassen können. Ich setze still meinen Bogen an, schielte zu meiner Pianistin hinüber, welche mir freundlich lächelnd zunickte, und spielte den ersten Ton, woraufhin sie in meinen gespielt fröhlichen Violinengesang einstieg.
Auf der Hälfte des Konzerts angekommen stieg mir plötzlich wieder die Stimme des Mannes in den Kopf, wodurch ich abrupt ins Schwitzen kam.

Bitte, dachte ich.
Bitte, bitte lass mich mich nicht verspielen.

Doch genau das passierte.
Ungewollt rutsche ich mit meinen schwitzigen Fingern auf meiner A-Saite ab, woraufhin mein Herz nur noch schneller anfing zu schlagen, und ich die nächste Note auch noch verfehlte.
Mit gerunzelter Stirn, und wild schlagendem Herzen versuchte ich nun, mich zusammenzureißen, um nicht auch noch den Rest des Konzertes zu verpeilen.
Glücklicherweise umfing mich in genau dem Moment wieder das Vakuum des Spielens, und ich fand meinen Rhythmus wieder.

Nachdem ich den letzten Ton gespielt, und mich gemeinsam mit Gina verbeugt hatte, lief ich zurück in den Backstage-Bereich der Bühne, wo gewiss meine Mutter verärgert auf mich warten würde.
Ich war mir sicher, dass die improvisiert gespielten Töne nicht sonderlich positiv bei ihr angekommen waren, und ich sollte recht behalten.
Sobald ich mit einem schiefen Lächeln auf meine Mutter zuging, sie von unserem Manager meine Violine hatte wegräumen lassen, zog sie mich in einen etwas mehr abgeschotteten Bereich, und sah mich wütend an. „Sag mal, was zur Hölle hast du dir dabei gedacht?! Weißt du überhaupt, was du da angerichtet hast?! Ist es, weil ich dir gestern erlaubt habe, hinaus zu gehen? Ist es das?! Da bin ich einmal nachsichtig mit dir, und du nutzt es aus, ich kann es nicht glauben!...", und so redete sie sich immer weiter und weiter in Rage, ließ mich nicht zu Wort kommen, sondern nur betreten auf den Boden starren. Doch genau so lief es immer ab.

„Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?! Gott, so ein undankbares Kind bist du!"

Der erste Schlag ins Gesicht.

„In die Hölle schicken sollte man dich, du Gör!"

Der zweite Schlag fiel, die ersten Tränen flossen.

„Ich bereue es, so etwas wie dich in die Welt gesetzt zu haben!"

Und der dritte Schlag.

Gerade, als ich mich wundern wollte, weshalb meine Mutter nicht weitermachte, sah ich nach links, wo ich eine fremde Frau stehen sah.

„S...s...sie..." stotterte diese nur, und sah geschockt zwischen mir und meiner Mutter her.
„Hören Sie, gute Frau..." wollte meine Mutter sie beschwichtigen, woraufhin diese jedoch anfing, hart zu kontern.
Ich nutzte die Situation und schlängelte mich an meiner Mutter vorbei- Rannte in Richtung Ein- und Ausgangstür.

„Sie hat recht.", murmelte ich schluchzend, während ich die Tür öffnete, und so schnell wie möglich von der Konzerthalle zu entfliehen versuchte. „Ich bin eine verdammte Missgeburt..."
Meine Tränen flossen weiter, und mussten mittlerweile mein gesamtes Make-Up verwischt haben.

Weiterhin überschlugen sich meine Gedanken, Ängste und Flashbacks, als ich plötzlich in jemanden hineinrannte.
Fast hätte mein Gesicht mit dem Boden Bekanntschaft gemacht, hätte mein Gegenüber mich nicht an den Armen festgehalten.

Verheult sah ich in das Gesicht meines Retters und wollte gerade ein leises „Tut mir leid" murmeln, als das dunkle Braun seiner Augen mich fesselte.
Mein Gegenüber sah mich zuerst geschockt, dann mit einem weichen Gesichtsausdruck an, bevor er ein tiefes „Meine wundervolle Mate", von sich gab.

Und in dem Moment, in welchem ich seine tiefe Stimme hörte wusste ich, dass es der Mann aus dem Wald war.

Der Klang meiner Violine~ MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt