1. Der Sommer meines Lebens... nicht

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Ich liege in meinem Korbsessel, die Arme von mir gestreckt, das eine Bein über die Lehne geworfen und das Gesicht der warmen Sonne entgegen haltend. Noch ist es früh am Morgen und nicht so unerträglich heiß.

Wenn das hier ein Film wäre, hätte ich eine knallrote Sonnenbrille mit Herzchengläsern auf der Nase und würde anzüglich über den Rand schauen, die Lippen ebenso rot geschminkt... Ich würde mit hübschen Typen flirten, die an meinem Garten vorbeigehen, ganz ungezwungen und locker...

Sie würden sich wünschen, auf der anderen Seite des weißen, kitschigen Lattenzauns zu sein, nämlich bei mir...

»Finja? Komm, verabschiede dich von uns«, hallt die Stimme meiner Mutter zu mir heraus.
Ich verdrehe die Augen.

Tja, leider ist das hier aber kein Film – keine schönen Männer weit und breit. Stattdessen nur ein kleines, idyllisches Dorf mit massenweise pastellfarbenen Häusern am Stadtrand, in dem jeder jeden kennt – und auch jeder über jeden lästert. Zum Kotzen.
»Komme schon«, brumme ich.

Drinnen angekommen sehe ich meine Eltern an der Tür stehen, fertig zum Aufbruch in den Urlaub, voller Vorfreude auf die
Kreuzfahrt, als täten sie nie etwas anderes.
Aber mir soll es egal sein, ich bin zweiundzwanzig und kann gut selbst für mich sorgen.

Während ich sie so betrachte, verziehe ich unwillkürlich den Mund. Meine Alten haben wirklich zu viel Geld, das ist klar: Jeder noch so kleiner Quadratmillimeter an ihrem Körper ist von einem Designerlabel fabriziert
worden, damit auch wirklich jeder sehen kann, wie scheiße reich sie sind.

Andererseits sollte ich mich wohl nicht beschweren, schließlich habe ich mein Leben lang von ihrem Geld profitiert und tue es immer noch. Dennoch zischt eine giftige Stimme in mir, dass das ja nur recht und billig ist, dafür, dass sie nie wirklich für mich da waren.

Manchmal, da flammt Wut in mir auf. Wut auf die beiden, darauf, dass sie so selten da waren als ich sie gebraucht hätte, immer ihren Jobs oder irgendwelchen Partys und Urlauben hinterhergerannt sind.

Aber die Zeiten, in denen es mich gekümmert hat, sind vorbei. Endgültig. Meine Wut hat Gleichgültigkeit Platz gemacht. Manche Dinge ändern sich einfach nie, je eher man's checkt, desto besser.

Ich gehe auf sie zu, umarme sie kurz zum Abschied und wünsche ihnen eine schöne Zeit. Sie merken gar nicht, wie hohl meine Worte doch klingen. Nein, sie sind in Gedanken schon längst auf ihrem Luxusdampfer.

Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fällt, zucke ich leicht zusammen. Dann schüttele ich resolut den Kopf, die plötzliche Melancholie abschüttelnd, die mich befallen hat, und gehe nach oben in mein Zimmer.

Oben angekommen atme ich auf. Endlich wieder allein. Mit der Zeit habe ich gelernt, das Alleinsein zu genießen – es hat viele Vorteile.
Der eine von ihnen ist, dass niemand an einem herummeckern und dir vorschreiben kann, wie du deine verdammten Frühstücksflocken zu essen hast. Ganz einfach, weil niemand da ist.

Wenn meine Eltern mal nicht durch die Weltgeschichte reisen, tun sie nämlich genau das: Mir Vorschriften machen. Natürlich erfolglos, ich bin keine zwölf mehr.

Und Meckern, das tun sie auch unglaublich gern. Sie tun es mit einer solch beschissenen Leidenschaft, dass es mich fast schon in Erstaunen versetzt.

Sie lieben es, sich über meinen Lebensstil zu beschweren. Nicht, dass der so besonders zügellos wäre, aber zu diesem konservativen Dorf hier passt er sicher nicht.

Finja spuckt FeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt