74. Mein offenes Herz

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Ich war noch nie in meinem Leben so angespannt, wie in diesem Moment. Meine Karten liegen offen auf dem Tisch, oder besser gesagt: Mein Herz liegt offen auf dem Tisch. Und das, obwohl ich nicht mal ›Ich liebe dich‹ gesagt habe. Das steckt also hinter der Redensart ›Jemandem sein Herz schenken‹.
Es steckt so viel Liebe in dieser Handlung, natürlich. Gleichzeitig aber auch eine Art... Loslassen. Den Sprung wagen. Das Risiko eingehen.

»Großer Gott«, murmelt er schließlich, ohne mich anzusehen. Ich stehe immer noch so dicht an ihm, dass sein Geruch alles ist, was ich wahrnehmen kann. Ich atme ihn. Und ich fühle ihn, ohne ihn dafür berühren zu müssen.

Ich starre auf seine eleganten Hände, die immer noch über der Tomate auf dem Brett schweben. Seine Finger umklammern das Messer so fest, dass die Knöchel weiß hervortreten. Am liebsten würde ich schreien: ›Sag doch was!‹... aber ich tu's nicht, natürlich.

Stattdessen wispere ich: »Glaubst du mir?« Er atmet geräuschvoll ein und murmelt gepeinigt: »Tu das nicht.« 

Ich packe ihm am Oberarm. »Was soll ich nicht tun?!« Ich bin wütend. Ich sage ihm, dass ich immer an seiner Seite sein werde, egal, unter welchen Bedingungen, und er sagt... was? Dass ich das nicht tun soll? Er schweigt und gibt mir keine Antwort auf meine Frage.

Verächtlich schnaube ich. »Du bist so ein Arschloch!«, zische ich außer mir. Plötzlich fährt er zu mir herum und bringt sein Gesicht ganz nah an meines. Weit entfernt höre ich, wie das Messer klappernd auf dem Schneidebrett aufkommt.

»Und genau das ist das Problem, Finja! Ich bin ein Arschloch! Hast du auch nur den Hauch einer Ahnung, wozu ich fähig bin?! Was ich getan habe?!«

»Ja, und ich liebe dich trotzdem!«

Augenblicklich schlage ich mir die Hand vor den Mund und sehe ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Er starrt mich schockiert an, die Zeit scheint still zu stehen. Bitte, lieber Gott... bitte mach, dass ich das gerade nicht gesagt habe!

Doch Eros Blick spricht Bände: Er verrät mir, dass ich das sehr wohl gesagt habe. Und das, obwohl ich bloß einen Schluck Wein hatte – auf den Alkohol kann ich es also auch nicht schieben.

»Kannst du bitte irgendwas sagen?«, piepse ich schließlich kläglich. Seine hellen Augen fixieren mich noch immer erschrocken, sein Mund klappt auf und zu. Und da beginne ich, zu verstehen: Er liebt mich nicht. Er weiß nur nicht, wie er mir das möglichst schonend beibringen soll.

Diesmal habe ich nicht einmal das Bedürfnis zu weinen. Es fühlt sich einfach an, als würde ich innerlich absterben. Mein Herz, welches ich so naiv auf den Tisch gelegt habe, schrumpelt zu einer kläglichen Rosine zusammen.

»I-ich muss mal kurz raus«, stammele ich wie betäubt und will mich schon an ihm vorbeischieben. Doch da packen mich seine Hände an den Schultern und er sagt ruhig:
»Ich komme mit.« Entgeistert glotze ich zu ihm hoch. Will er mich etwa noch mehr erniedrigen?!

Doch in seinen Augen kann ich nichts Unehrliches erkennen... dafür sehe ich etwas anderes: Verwirrung, ein wenig Angst und auch ein Feuer, das in ihm brennt. Jetzt ist er derjenige, der vor mir emotional blank gezogen hat.

Ich nicke schwach. Soll er mich doch begleiten, was ändert das schon? Ohne ihn anzusehen, gehe ich nach draußen. Ich höre, wie er die Regler an Herd und Ofen dreht – er schaltet beides aus. ›Gut‹, denke ich. Sonst brennt mir hier noch das ganze Haus ab, was ich zu meinem Elend nun wirklich nicht gebrauchen könnte.

Nachdem ich die Tür hinter uns geschlossen habe, frage ich mich, warum genau ich mir das eigentlich antue. Eros ist ein rechtschaffener Mann mit Empathie. Es liegt völlig auf der Hand, dass er mich begleiten will, um mir ruhig und besonnen zu sagen, dass das mit unserer Freundschaft wohl doch nichts wird, dass er meine Gefühle nicht erwidert, dass es ihm leid tut – kurzum, er wird meinem ohnehin schon geschädigten Herzen den Todesstoß verpassen. Und ich helfe ihm auch noch dabei, mich abzuservieren.

Finja spuckt FeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt