9. Älter, nicht blöder - eigentlich

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Ich mache uns beiden noch etwas Kaffee, den wir in einvernehmlichen Schweigen trinken. Tatsächlich ist die Stille zwischen uns nicht halb so unangenehm, wie erwartet. 

»Sag mal...«, beginne ich dann irgendwann, »... das Haus, in dem du lebst, ist doch ziemlich groß...«

»Offensichtlich«, kommt es gelangweilt von ihm. Ich sehe ihn mit hochgezogen Brauen abwartend an. Er erwidert den Blick betont ungerührt als wollte er mit einem Gesichtsausdruck ›Ja, und?‹ sagen.

»Wie kannst du dir das leisten?«, frage ich schließlich einfach direkt. Er nimmt die Tasse in beide Hände und dreht sie hin und her. »Ziemlich persönlich, diese Frage«, sagt er mit vorwurfsvollem Unterton, ohne mich anzusehen. »Stimmt.« Er hat recht, es ist eine persönliche Frage.

»Ich habe es geerbt.« Verwundert blicke ich auf. »Was, von Frau Rotbusch?«

Er macht eine wegwerfende Handbewegung. »Certamente no, so ein Schwachsinn, ich kenne diese Frau doch nicht mal!«, grummelt er energisch. Abwehrend hebe ich die Hände. Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich sein manchmal hochkochendes, grollendes Temperament irgendwie sexy oder einfach nervig finden soll.

»Es ist von meiner Großmutter, sie ist vor kurzem gestorben.«

»Mein Beileid«, sage ich schlicht und meine es auch so. Er blickt auf und sieht mich eine kleine Weile einfach nur an – ich habe das Gefühl, dass er herausfinden will, ob ich es ernst meine. Dann wendet er sich schließlich ab und nickt einmal. Test bestanden, würde ich sagen.

»Und du lebst noch bei deinen Eltern?«, fragt er. Ich nicke. »Ja, leider.«

»Läuft wohl nicht so gut?«, stellt er mehr fest, als dass er fragt. Ich nicke erneut.

»Es ist ziemlich verzwickt. Einerseits bin ich froh, dass ich mir keinen Kopf um eine eigene Wohnung oder WG machen muss, andererseits... naja. Sind meine Eltern nicht die besten. Ist fast schon besser, dass sie nie da sind.«

Diese Aussage hinterlässt einen merkwürdig schalen Geschmack in meinem Mund.
Aber wieso erzähle ich ihm das eigentlich? Es ist wie, als wäre mein Mundwerk ein undichter Wasserhahn – das ist nicht das erste mal, dass mir in seiner Gegenwart mehr rausrutscht, als mir lieb ist. Er hat einfach so eine Art...

»Ich habe auch noch bei meinen Eltern gelebt, bis vor kurzem. Dann habe ich die Stelle bei meiner Tante im Restaurant bekommen, anschließend die im Jugendzentrum. So bin ich hierher gekommen.« Interessant.

Er legt den Kopf schief. »Mir fällt gerade auf, dass du mir noch nichts von dir erzählt hast.«
Erstaunt, dass ihn das interessiert, richte ich mich auf. »Gut, du hast recht. Meinen Namen kennst du ja schon, ich bin zweiundzwanzig Jahre alt, studiere Betriebswirtschaftslehre und meine Lieblingsfarbe ist Blau. Das war's.«

»BWL, soso. Warum das?« Ich zucke die Schultern. »Mir ist nichts besseres eingefallen.«

Ich hasse es, nichts zu tun. BWL schien mir da eine gute Universallösung, da man mit dem Abschluss verschiedene Dinge machen kann. »Ist ja oft so in diesem Fach«, sagt er lediglich.

Kurz schweifen meine Gedanken zu der Unterhaltung, die ich mit Federica hatte und der Tatsache, dass sie uns beide verkuppeln wollte (oder vielleicht sogar immer noch will).

Ich schmunzele. Wenn der bloß wüsste, was in Federicas Kopf vorgeht... Bei der Vorstellung, wie er wutentbrannt zu seiner Tante stürmt und eine Erklärung fordert, könnte ich mich vor Lachen am Boden kugeln. Aber da ich keine Probleme mit meiner Chefin will, behalte ich das doch lieber für mich.

»Was ist so lustig?«, reißt mich seine Stimme aus den Gedanken. Ich winke nur ab. »Vergiss es.«

Er zuckt daraufhin die Schultern, als würde es ihn eigentlich sowieso nicht interessieren. Eros klatscht in die Hände und reibt sie dann aneinander, als würde er sich an einem unsichtbaren Feuer wärmen. »Danke für den Kaffee. Ich pack's dann mal, ciao

Er erhebt sich. Mit einem leises Schrammen schiebe ich meinen Stuhl zurück und sage:
»Ich begleite dich noch zur Tür.«

»Ich finde allein hinaus.« Das ist jetzt nicht sein Ernst.

»Ich finde allein hinaus«, äffe ich ihn nach.

Er schüttelt lediglich den Kopf über mich, als wäre ich diejenige, die sich nicht zu benehmen wüsste. Ich wollte schließlich nur höflich sein. 

Als er sich umdreht und rausgeht – wobei er beim Türrahmen leicht den Kopf senken
muss – zeige ich seinem breiten Rücken den Mittelfinger. Schließlich verschwindet er aus meinem Blickfeld und kurze Zeit später fällt die Tür leise ins Schloss.

Was für ein Heuchler! Kommt hier an mit Nachbarschaft hier, Nachbarschaft da, guter Umgang, bla, bla... Aber mein Angebot, ihn zur Tür begleiten – wie es sich für eine gute Gastgeberin nun mal gehört – scheint er ja nicht besonders geschätzt zu haben.

Vermutlich sollte och mir über derlei Kleinigkeiten nicht so aufregen. Leider scheint genau das so etwas wie meine geheime Superpower zu sein. 

🔥

»Hey, Finja. Ähm... bist du zu Hause?«

Ein träges Lächeln macht sich auf meinem Gesicht breit. »Nein, ehrlich gesagt sitze ich gerade in einem Flieger zum Nordpol. Diese Scheiß-Hitze hier ist einfach unerträglich.« Ich höre ein belustigtes Schnauben durch die Leitung.

»Es fliegen keine Passagierflugzeuge zum Nordpol.« Ich verdrehe die Augen.

»Hör auf zu klugscheißern, Streber.« Er räuspert sich.

»Kann schon sein, dass ich in der Schule ein Streber war. Aber sag mir...«, hier bekommt Thors Stimme einen genüsslichen Unterton, »... wer von uns beiden das null Komma neun Abitur hat?«

»Du bist ein Arschgesicht. Ein angeberisches, um genau zu sein!«

»Ein angeberisches Arschgesicht mit einem Durchschnitt von null Komma neun«, säuselt er.

Ich rolle mit den Augen und wechsle das Thema. »Also, wir wollten uns heute treffen.«

»Deswegen rufe ich an.«

»Ist dir was dazwischen gekommen?«, frage ich betont gleichgültig – allerdings ist mir die Antwort auf diese Frage wichtiger, als mir lieb ist.

»Nein, ich dachte nur, wir könnten ein bisschen rausgehen. Habe das gute Dorf ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.« 

»Klar, können wir machen«, willige ich ein.

»Super, hast du jetzt Zeit?«

»Ich bin eine vielbeschäftigte Frau, aber für dich räume ich mir Platz in meinen Tagesplan frei«, trällere ich hochgestochen. Er lacht. »Sicher! Wetten, du liegst gerade einfach nur halbtot vor Hitze irgendwo herum?«

Das er mit seiner Vermutung goldrichtig liegt, muss ich ihm nicht unbedingt auf die Nase binden. »Wir treffen uns um drei beim Springbrunnen. Weißt du noch, wo der ist?« Thor schnaubt. »Ich bin nur älter geworden, nicht blöder.«

»Wir sehen uns.«

Ohne seine Antwort abzuwarten, lege ich auf. Das Smartphone von einer Hand in die andere wiegend, grinse ich durchtrieben.

Dieser Mann denkt, er hat die Weisheit mit Löffeln gefressen. Das merke ich an der Art, wie er mit mir spricht. Aber er hat ja keine Ahnung, was da auf ihn zukommt...

Finja spuckt FeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt