4. In Ruhe und Unfrieden

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Hastig lege ich die Zigarette in den Aschenbecher, schlinge mir die Arme um die Brüste und lasse mich mit hochroten Wangen auf die Knie sinken.

»Dreh dich sofort um!«, rufe ich aufgeregt.
Eros hebt abwehrend die Arme. »Was denn, ich soll mich umdrehen? Du hast dich hier doch halbnackt vor mein Fenster gestellt!«

»Tu's einfach!«, keife ich entnervt.
Die Augen verdrehend kommt er meiner Bitte schließlich nach. Blitzschnell stehe ich auf, sammele mein Kleid vom Boden auf und ziehe es mir über. »Fertig«, brumme ich missgelaunt.

Nachdem ich wieder aufgestanden bin und mir meine Kippe aus dem Aschenbecher genommen habe, werfe ich einen betont ungerührten Blick in das Fenster gegenüber von mir.

Und da steht er mir wieder zugewandt: Eros, mit verschränkten Armen und diesem Gesichtsausdruck, der irgendwo zwischen Entnervung und Belustigung changiert.

Ein leises Dudeln durchbricht die abendliche Stille. Mein Handy. Als ich den Namen meiner Mutter auf dem Display stehen sehe, spiele ich schon mit dem Gedanken, sie wegzudrücken.

Ja, ja, ich weiß, seine Mutter drückt man nicht einfach weg, schon klar. Aber der Grund, aus dem ich letztendlich doch rangehe, ist folgender: Meine Alte würde es einfach so oft weiter versuchen, bis ich abhebe, das weiß ich genau – und sie weiß, dass ich es weiß.

Eros und der ganze peinliche Zirkus von eben ist schlagartig vergessen. »Schönen guten Tag, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«, trällere ich ironisch ins Handy. »Finja, lass diese dummen Späße«, nörgelt sie zur Begrüßung.

»Hallo, Mutter.« Ein nasales Seufzen ertönt. »Nenn mich doch einfach ›Mama‹ wie jedes normale Kind seine Mutter nennt.« Ich verdrehe die Augen. »Früher hast du immer ›Mama‹ gesagt«, schiebt sie noch vorwurfsvoll hinterher.

Tja, früher war sie auch noch eine Mama für mich. In den letzten zehn Jahren ist sie lediglich zu der Frau geworden, die mich geboren hat. Ich fühle mich ihr in etwa so nahe, als würde sie mir vom Nordpol aus zuwinken. Aber all das sage ich ihr nicht, es würde nichts bringen.

»So, warum rufst du an?«, frage ich schließlich geschäftig. Je eher wir diese Konversation hinter uns bringen, desto besser. 

»Also, bitte! Kann eine Mutter ihr Kind nicht einfach fragen, wie es ihm geht?« Nicht, wenn sie sowieso nie da ist. 

»Wollen wir vielleicht bitte das Thema wechseln? Danke.«

»Also, manchmal, da erkenne ich dich gar nicht mehr wieder!«

Ich presse die Zähne aufeinander.
Diese Worte tun weh. Mehr, als ich mir selbst eingestehen will. »Und dich erkenne ich schon seit Jahren nicht mehr!«, zische ich aufgebracht, bevor ich mich zurückhalten kann.

Unwillkürlich beiße ich mir auf die Unterlippe. Konnte ich mir das nicht verkneifen?! Meine Mutter wird doch nie verstehen, was ich meine. Mit solchen Aussagen erreiche ich nichts als Streit.

Ein leises Seufzen dringt an mein Ohr. »Was soll das bitte bedeuten?«, fragt sie müde.
»Vergiss es einfach«, murmle ich bitter.

Grimmiges Schweigen ist die Antwort.
Dann sagt sie mit trauriger Stimme: »Ich denke, wir sollten uns mal unterhalten, Finja.«

»Ach, ja? Wann denn, zum Beispiel? Übers Telefon? Das tun wir ja gerade.«

»Nein, ich meine persönlich.«

»Wann denn?«, wiederhole ich bissig. »Wenn dein Vater und ich wieder da sind.«

»Schön. Und wann wird das sein?«

»In vier Wochen.«

»Perfekt! Und wie lange gedenkt ihr diesmal zu bleiben? Zwei Minuten vielleicht?«

»Das ist nicht witzig.«

»Du hast recht, das ist es nicht!«, sage ich bitter, dann lege ich auf.

Achtlos werfe ich mein Handy aufs Bett, trete wieder ans Fenster und nehme meine fast komplett abgebrannte Zigarette zwischen die Finger. Mit einem Schnippen befördere ich die lange, graue Aschesäule, die sich gebildet hat, in den Aschenbecher.

»War das deine Mutter?«

Ich zucke hoch. Ach, Mist, die Spaßbremse steht ja immer noch am Fenster. Den habe ich ganz vergessen. »Geht dich nichts an«, gebe ich kalt zurück.

»Du bist traurig, weil sie nie da ist, richtig?«
Nachdenklich betrachtet er mich. Was soll das hier? Ist er mein verdammter Seelenklempner?! Ich denke nicht!

Trotzdem antworte ich: »Erstens, nein, ich bin nur genervt und das bin ich zweitens, weil sie nie da war, und drittens, steck deine Nase nicht in meine Angelegenheiten!«

Er lacht humorlos auf. »Ich habe meine Nase nirgends reingesteckt, ich denke, das ganze Dorf hat dich telefonieren gehört. Es ist schon spätabends, da liegen alle in ihren Betten – zumindest tun sie so.«

»Lass mich einfach in Ruhe, okay?«, seufze ich müde.
Abwehrend hebt er die Hände. »Ganz wie du willst. Ich habe genug eigene Probleme.«

»Gut, dann beschäftige dich doch mit denen!«

»Ich dachte nur, dass du vielleicht... reden willst, oder sowas.« Er kratzt sich am Hinterkopf, sodass die schwarzen Wellen durcheinander kommen.

»Nein, ich will nicht reden, oder sowas!«

»Gut!«

»Schön!«

Erbost nehme ich den Aschenbecher in die Hand und knalle das Fenster zu.

🔥

Am nächsten Morgen wache ich mit der Wut von gestern Abend im Bauch auf. Na fein, da hat mir dieser Eros schön in die Suppe gespuckt! Idiot.

Grummelnd stehe ich auf und tapse barfuß nach unten, um mir einen Kaffee zu machen.
Während die Maschine so vor sich hin gurgelt und brummt, sehe ich aus dem Fenster.

Die Sonne strahlt hell, der Himmel ist leuchtend blau... wenn da nur nicht diese abartige Hitze wäre. Ich zucke die Schultern. Was soll's, heute muss ich glücklicherweise nicht arbeiten, sodass ich mir den Luxus erlauben kann, bis zum Nachmittag im klimatisierten Haus zu bleiben.

Ein Klingeln an der Haustür reißt mich aus meinen entspannten Gedanken. Merkwürdig, wer mag das um zehn Uhr Morgens an der Tür sein? Kurz überlege ich, ob ich etwas bestellt habe, komme aber zu dem Schluss, dass dem nicht so ist. Hoffentlich ist es nicht Frau Inker, die wieder behauptet, dass meine Mutter sich irgendein Küchengerät von ihr ausgeliehen hätte, und es nun zurück holen will. Ein Mal habe ich den Fehler gemacht und sie reingelassen, wobei sie die Gelegenheit nutzte, um schön hier herumzuschnüffeln. 

Doch als ich dann durchs Küchenfenster nach draußen schaue, traue ich meinen Augen kaum: Es ist dieser Schwachkopf, wegen dem ich vom Fahrrad in Frau Waldners Rosenbüsche geflogen bin... und der mir danach noch einen auf Moralapostel gemacht hat, der Trottel. Thor will er genannt werden, so, so.

Die Augen verdrehend gehe ich zur Tür. Na, mal sehen, was das jetzt wird...

Finja spuckt FeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt