67. Lange nicht gesehen

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Ich bin hitzköpfig. Ich habe keine Geduld. Ich habe ein loses Mundwerk. Ich bin nicht gerade das, was man gewöhnlich nennt. Ich fühle mich nicht immer geliebt, trotzdem liebe ich mich selbst – meistens zumindest.

Aber ich kann definitiv keinen heilen, weil ich doch selbst irgendwie kaputt bin. Wie soll ich Eros heilen können, wenn ich mich selbst nicht heilen kann?!

»Michele...«

Er hebt die Hand um mich zu unterbrechen. »Warte, bevor du etwas sagst. Du musst auch gar nichts sagen, wenn du das nicht willst. Hör mir einfach nur zu.«

Es kommt nicht eben oft vor, dass Michele ernst ist. Das muss also etwas heißen. Vielleicht sollte ich ihm wirklich zuhören? Was habe ich schon zu verlieren? (Außer ein wenig Zeit, wovon ich in diesen Semesterferien ja mehr als genug habe.)

Er betrachtet mich eingehend. Als von mir nichts kommt, spricht er schließlich weiter: »Hör zu, Finja: Wenn du meinen Bruder nicht mehr sehen willst, ist das deine Entscheidung. Ich kann guten Gewissens sagen, dass ich alles mir mögliche getan habe. Du weißt alles und verstehst ihn jetzt vielleicht besser.«

Ja, das tue ich allerdings, ihn besser verstehen. Und ich denke, ich muss mit ihm reden. Egal, wie ich mich letzten Endes noch entscheiden werde, für oder gegen den weiteren Kontakt mit ihm, ich muss mit ihm reden. Das erkenne ich jetzt.

Ich mag Eros wirklich. Sehr sogar. Ich glaube nicht, dass ich ihn liebe, aber eine tiefe Zuneigung besteht definitiv. Auch wenn ich ihn gleichzeitig irgendwie hasse...

Es ist kompliziert.

»Ich mag ihn.«

Sowohl Michele als auch ich sind überrascht über die Worte, die plötzlich meinen Mund verlassen. Überrascht starren wir uns an.

»Also... ja. Mit ihm reden. Werde ich«, stammele ich. Gott, was ist bloß los mit mir?!
Michele sieht mich indes an, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen.

»Was, wirklich?«

»Ja«, antworte ich feierlich. Besser bei Ein-Wort-Antworten bleiben, da kann ich wenigstens nicht so peinlich herumstammeln.

Michele scheint mir meine Zweifel bezüglich meiner ›heilenden‹ Fähigkeiten an der Nase abzulesen. Er nimmt meine Hände zwischen seine und sieht mich eindringlich an.

»Allein schon dadurch, dass du du bist, tust du ihm was Gutes. Glaub mir!«

Ich hoffe so sehr, dass er recht hat. Weil... ich mag Eros wirklich. Und wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin, muss ich zugeben, dass ich ihn vermisse.

Ich hebe den Blick und erstarre.

Ist das ein Traum? Halluziniere ich jetzt schon?

Etwa fünfzehn Meter entfernt bei einem der Eingänge, die zum Sitzkreis aus Bänken um den Brunnen führen, steht Eros. Er sieht aus, als würde er vor Wut gleich in Flammen aufgehen und die Hecken links und rechts von sich in Brand stecken.

Ich reiße die Augen auf und starre auf Micheles Hände, die immer noch um meine liegen.

»Ey, das ist unfair! Es ist nicht das, wonach es aussieht!!!«, schreie ich zu ihm rüber.

Eros Blick verdüstert sich noch mehr, und seine Kiefermuskeln zucken. »ECHT nicht, versprochen! Großes Indianerehrenwort!«, rufe ich verzweifelt.

Ich reiße meine Hände aus Micheles und kralle sie ineinander. Und dann tut Eros etwas, das ich nicht kommen sehe: Er streckt mir seinen Mittelfinger entgegen, dreht sich um und geht.

Finja spuckt FeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt