34. Cachaça, lass uns reden!

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»Er ist... WAS?!«, kreische ich.

Wie eine Diashow auf Speed rauscht die letzte Nacht an meinem inneren Auge vorbei, Thors Atem an meinem Hals, seine Hände überall auf mir...

Nein.

Nein, er kann nicht... er kann einfach nicht schwul sein! Wieso hätte er dann mit mir schlafen sollen?

Antonia seufzt. »Ich verstehe nicht, warum er das tut...«

»Warum er was tut?«, frage ich wackelig. Sie seufzt abermals.

»Warum er sich mit dir einlässt. Er hatte bisher immer nur feste Freunde, nie Freundinnen

Plötzlich fällt mir wieder der Tag ein... der Tag, an dem er das erste Mal bei mir auf der Matte stand, als wir uns das erste Mal so richtig unterhalten haben... der Tag, an dem er bei mir geblieben ist, bis spät in die Nacht, und gesagt hat, dass er noch nie eine Freundin hatte.
Ich bin ja so furchtbar blöd.

»Es tut mir leid, Finja.«

Ich will sagen ›Schon okay‹, aber es ist ganz und gar nicht okay und außerdem kommt sowieso nur ein trockenes Röcheln aus meinem Hals.

Den Rest der Fahrt zurück ins Dorf verbringen wir schweigend. Es ist das unangenehmste Schweigen, das ich je erlebt habe (Der Moment, als meine Mutter ein... Gespräch mit mir führen wollte, als sie mich mit neunzehn bei meinem ersten Mal erwischt hat, rückt somit auf Platz zwei).

Thors Mutter biegt in unsere schneeweiße, vom Mond silbern beleuchtete Kies-Auffahrt ein und hält vor der geschlossenen Garage.

Als der Motor erstirbt und die Scheinwerfer ausgehen, merke ich, dass ich vor Nervosität mit den Zähnen knirsche.

»Ähm...«

»Also...«, beginnen wir gleichzeitig.

»Du zuerst«, murmle ich schwach.

Antonia verknotet die Finger auf ihrem Schoß und bläht die Nasenflügel, was mich so scherzhaft an Thor erinnert, dass ich unwillkürlich einen feinen Nadelstich in der Herzgegend verspüre.

»Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Du bist so eine tolle junge Frau, ich habe dich schon immer sehr gern gemocht. Wenn ich mir eine Freundin für meinen Sohn wünschen könnte, wärst du das. Aber... ich bin bisher davon ausgegangen, dass mein Sohn... Männer mag. Davon, dass er bisexuell wäre, hat er nie ein Wort verloren... Ich weiß nicht, ob er für Frauen überhaupt so... empfinden kann. Gott, ich bin so verwirrt. Wie muss es dir erst gehen?!«

Antonia wirft mir einen müden Blick zu. Ich schüttle schwach den Kopf. »Bitte, du darfst dich wegen mir nicht schlecht fühlen. Du kannst doch gar nichts dafür. Ich werde morgen mit Thor reden, wir klären das.«

Sie wendet den Blick ab und nickt langsam. »Gibt es noch irgendwas, das ich für dich tun kann, Finja?« Ich schüttle den Kopf.

»Nein, Antonia, danke. Schönen Abend und danke für den Tag!«, versuche ich munter zu klingen. Sie winkt energisch ab.

»Um Himmels Willen, bedank dich bitte nicht auch noch! Ich habe dich heute sehr gern gesehen...«, sie legt mir die Hand auf den Arm, »... das wird sich irgendwie wieder einrenken. Reden hilft.«

Ich nicke schwach lächelnd und steige aus.
Nachdenklich schaue ich den Rücklichtern des blauen Wagens hinterher, bis er um die nächste Kurve verschwindet.

Mit wackeligen Gliedmaßen gehe ich langsam zur Eingangstür und lasse dreimal den Schlüssel fallen, bis ich es endlich fertig bringe, aufzuschließen.

Mit einem vornehmen ›Klick‹ fällt die massive, weiße Tür hinter mir zu, ich schließe wieder ab und ich lehne mich mit dem Rücken dagegen. Mit in den Nacken gelegtem Kopf rutsche ich an der kühlen Tür herunter und winkele die Knie an.

Antonia sagte gerade: ›Reden hilft.‹ Und genau das werde ich jetzt tun: Reden...

... mit meinem Cachaça.

🔥

Das ist wirklich unglaublich harter Stoff. Mit wackelndem Sichtfeld drehe ich mich zu der Seite, auf der ich die Spirituose vermute, um mir den Alkoholgehalt anzusehen.

Ich rolle mich zur Seite und klaube die Flasche unter der Couch hervor. Leider wackelt mein Sichtfeld mittlerweile so heftig, dass ich nur schwer was erkennen kann. Mit meiner Konzentration ist es außerdem auch nicht sonderlich weit her.

Die Buchstaben auf dem Etikett verwischen ständig, wenn ich den Blick fixieren will.
Vielleicht sollte ich mal an die frische Luft...

So wanke ich also zur Tür und stehe im nächsten Moment plötzlich auf der Straße zwischen Mathildes und meinem Haus. Es fühlt sich an, als hätte ich mich geradewegs hergebeamt, oder so.

Bei Mathilde sind die Lichter aus und ich überlege schon, ganz laut nach ihr zu rufen, aber der kleine, nüchterne Rest-Abschnitt in meinem Gehirn scheint mich davon abzuhalten.

»Was tust du da?!«, ertönt plötzlich eine tiefe Stimme hinter mir. Ich drehe mich einmal schwankend um die eigene Achse, kann aber nichts (oder niemanden) erkennen.

»Hallo?«, nuschele ich.

»Ich stehe direkt neben dir.«

Als ich mich jetzt zur Seite wende, pralle ich fast gegen eine Männerbrust in einem schwarzen T-Shirt.

»Hupps!«, murmle ich und bremse gerade noch so, wobei ich das Gleichgewicht verliere.
Bevor ich jedoch hinten über kippen kann, packen mich zwei starke Hände an den Schultern.

Blinzelnd schaue ich auf – geradewegs in das vom Mondlicht beleuchtete, genervte Gesicht von Eros. Die harten Kanten in seinem Gesicht werfen dramatische Schatten auf seine Haut. Mit gekräuselten Augenbrauen taxiert er mich prüfend.

»Finja, wie viel hast du getrunken?«, fragt er ernst. ›Ach, nicht so viel‹, will ich schon antworten, heraus kommt allerdings etwas, das sich wie »Swdfghjk« anhört, kurzum: etwas total unartikuliertes.

Er schüttelt missbilligend den Kopf und grummelt: »Du musst nichts sagen.«

Dann spüre ich, wie er mir eine Hand zwischen die Schulterblätter legt und mich in Richtung seines Hauses führt.

»Ich kann dich in diesem Zustand nicht allein lassen«, erklärt er mürrisch. Ich bin zwar sturzbetrunken, doch selbst mir wird in diesem Moment klar, dass dieser Mann an einem ausgewaschenen Helfersyndrom leiden muss.

Als er die Tür aufschließt und mich vorsichtig in sein Haus bugsiert, hält er mich vorsorglich an der einen Schulter fest, während er hinter uns zumacht. So falle ich nicht längs auf den dunklen Parkettboden.

»Uuuuiiii, hasssssu 'nen schööönen Bodn!«, säusele ich. Eros seufzt und murmelt müde: »Cristo santo, halt einfach deine Klappe.«

Ich hebe beschwichtigend die Hände... Naja, zumindest versuche ich es.

Finja spuckt FeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt